Ja, es ist eine Art Weiterführung von Faserland, mit Sicherheit. Also, ich glaube, es ist so, daß die Erwartungshaltung vielleicht Grundlage sein kann, um den Leser an die Hand zu nehmen und ihn in ein anderes Land zu führen. Und diese Land ist dann doch schrecklich und überhaupt nicht schön.
Doch zunächst wirkt die orientalische Umgebung auf die Jungs eher `interesting` als ´terrible`: Teheran im Jahre 1979 ist für sie nichts weiter als `amusing´ und aufregend. Daß sich der Iran 1979 im Umschwung befindet, der Schah kurz vor dem Abdanken steht und Ajatollah Khomenei an die Macht kommen wird, registrieren sie kaum. Zweier Robinsonclub-Touristen gleich, leben sie in einem luxuriösen Kokon, in dem man Parties im Haschwald feiert und sich in Pierre Cardin - Hemden auf Sofas lümmelt, die einen Bezug aus Rohseide haben. Im Cadillac braust das Paar durch die leeren Straßen Teherans. Die Plakate und Schriftzüge, die an den Häuserwänden von der bevorstehenden Revolution künden, wirken auf sie wie bedeutungslose Werbeslogans.
In `1979` schickt Christian Kracht zwei grundverschiedene Typen in den Orient, die eine Art Sado- Maso- Beziehung führen und nur noch aus Gewohnheit zusammen sind. Christopher, der von einer heimtückischen Krankheit gezeichnete Zyniker und Besserwisser, glänzt auf jeder Party. Christopher behandelt seinen Partner wie einen Punchingball und bombardiert ihn ständig mit verbalen Attacken. Der Ich- Erzähler hingegen bewundert Christopher wie ein Archäologe eine antike Statue. Manchmal hasst er Christopher, manchmal findet er ihn aber einfach nur `charming´. Doch jede seiner Gefühlsäußerungen wirkt mechanisch heruntergeleiert, so wie ein auswendig gelernter Slogan:
Ich glaube einfach, dadurch, daß er leer ist, ist er nicht wieder aufladbar. Der ist wie so eine tote Batterie, die jemand weggeworfen hat und zwar in den Müllkarton neben der grünen Kiste.
Wo nichts war, da kann auch nichts sein. Der Ich-Erzähler ist eine `Eintragung ins Nichts`, wie es in einem Lied der Hamburger Band Blumfeld heißt.
In der Nacht, in der Ajatholla Khomenei die Macht ergreift, stirbt Christopher. Der Ich-Erzähler steht alleine dar. Sein konstruiertes Bild à la `Schöner wohnen in Persien` zerfällt. Was ihm bleibt sind Christophers Berluti-Schuhe und der Entschluss, nach Tibet zu reisen, um dem Mount Kailasch zu umlaufen. Der Tod seines Freundes scheint ihn nicht weiter zu berühren. Der Ich Erzähler hat ein weißes, leeres Herz und eine hohle Seele. Kracht:
Er ist auch wie der Ich- Erzähler in `Faserland` ein Mensch, der mit Nichts etwas zu tun hat. Er existiert halt nicht. Er existiert halt nicht außerhalb Menschen und Systemen um ihn herum. Er ist einfach eine Null. Also, ich wollte das Buch ursprünglich `O` nennen, also eine Art Null, auch eine Art Kreis. Aber ich fand das dann so ein bißchen manieriert. Das habe ich dann nicht getan.
Die Symbolik des Kreises und der Null wird mit der Umrundung des Mount Kailasch wieder aufgegriffen. Wie Dante die 10 konzentrischen Kreise hinuntersteigt, läuft Christian Krachts Ich–Erzähler um den Berg herum, erträgt gelassen Schmerzen und Kälte und bestätigt mit jeder Umrundung seine Nichtigkeit. Von Läuterung und innerer Einkehr keine Spur.
Durch die von Christian Kracht gewählte emotionslose Sprache, erlebt der Leser Tibet genauso teilnahmslos nüchtern wie der Ich- Erzähler. Der Autor:
Eine Null ist ja auch immer indifferent. Sie hat ja weder eine positive noch negative Aussage. Sie ist ja einfach nur existent. Ähnliches war ja in `Faserland` auch. Da plätschert ja alles so vor sich hin. Und man hat einfach keine Meinung dazu, weil es unmöglich ist, eine Meinung zu haben, weil wer hat Recht? Ich weiß nicht, wer Recht hat. Das ist mir auch ein Rätsel. Und ich glaube, ähnlich ergeht es den Ich-Erzählern in meinen Romanen, die einfach nur stolpern und nichts wissen und nichts sehen und relativ dämlich sind.
Doch diese Dämlichkeit provoziert kein Mitleid beim Leser. Eine Null kann man einfach nicht ernst nehmen. Der Ich- Erzähler nutzt seine Chancen nicht, verhält sich fast schon autistisch und seine Wahrnehmungsfähigkeit ist vollkommen unterentwickelt. Was bleibt dem Leser anderes übrig, als an einigen Stellen einfach nur noch schmunzeln zu können. Zum Beispiel als sich die teuren Berluti- Schuhe aufzulösen beginnen.
Die edlen Teile halten einer Wanderung durch Tibet einfach nicht stand. Der Faserlandluxus beginnt abzubröckeln und wird zur label- losen Materie angesichts existentiell bedrohlicher Situationen. Kracht:
Nur ich dachte einfach, daß es möglich wäre, diese Auflösung, die der Ich- Erzähler erfährt, anhand eines für Faserland-Leser beeindruckenden Schuhs zu beschreiben. Und irgendwann ist es ja so, daß sich nicht nur die Schuhe auflösen, sondern, daß er sie austauscht mit so selbstgenähten Filzschuhen. Also, das ganze Buch ist ja eine Hommage an den Schuhfetischismus. Es gibt brennende Holzpantinen, es gibt Lager-Turnschuhe, die der Ich–Erzähler dann ganz adrett an seinen Schuhen findet.
Dieses Lager ist die Endstation in Christian Krachts Roman. Von Tibet aus wird der Ich-Erzähler in ein chinesisches Arbeitslager deportiert, in dem man ihm kein Kölnisch Wasser nach der Rasur anbietet und ihn einer Gehirnwäsche unterzieht.
Ihm werden ja mehrere Systeme angeboten, der Islam, den lehnt er ab, die Liebe, die lehnt er auch ab, der Buddhismus. Und er geht dann einfach auf in einem menschenverachtenden System, weil er die Übersysteme, die ihn retten könnten, nicht annehmen will oder kann, weil er einfach zu doof ist. Das ist auch vielleicht die kleine Gesellschaftskritik. Es muß möglich sein, wieder wohlwollende Systeme anzunehmen. Systeme, die menschenverachtend sind, sind einfach schrecklich.
Aber wie kann man wohlwollende Systeme annehmen, wenn das eigene System `Mensch` von vorne herein defekt und unterentwickelt ist ?
Christian Krachts zweiter Roman `1979` ist perfekt konstruiert und zeigt einen Menschen, der seinen Individualismus zelebriert und seinem Leben durch Äußerlichkeiten einen Halt gibt.
`Ich style mich, also bin ich` reicht als Lebensmaxime in `1979` aber nicht mehr aus und führt den Ich- Erzähler geradewegs in die Hölle.
Christian Kracht hat die `Faserland`-Ästhetik in seinem zweiten Roman konsequent weitergeführt. Nur daß der Ich- Erzähler in `1979` an seinem eigenen kalten Blick zugrunde geht und keinen Bezug zu seinen Mitmenschen hat. Der Leser begleitet einen Halbtoten auf seinem Weg zur totalen Auslöschung.
Christian Kracht hat einen äußerst ungewöhnlichen und ergreifenden Roman geschrieben, der im übertragenen Sinne ein Aufruf dazu ist, sich im Leben mindestens ein vernünftiges Paar Schuhe zuzulegen: Es leben die robusten Wanderschuhe mit dicker Gummisohle!
Doch zunächst wirkt die orientalische Umgebung auf die Jungs eher `interesting` als ´terrible`: Teheran im Jahre 1979 ist für sie nichts weiter als `amusing´ und aufregend. Daß sich der Iran 1979 im Umschwung befindet, der Schah kurz vor dem Abdanken steht und Ajatollah Khomenei an die Macht kommen wird, registrieren sie kaum. Zweier Robinsonclub-Touristen gleich, leben sie in einem luxuriösen Kokon, in dem man Parties im Haschwald feiert und sich in Pierre Cardin - Hemden auf Sofas lümmelt, die einen Bezug aus Rohseide haben. Im Cadillac braust das Paar durch die leeren Straßen Teherans. Die Plakate und Schriftzüge, die an den Häuserwänden von der bevorstehenden Revolution künden, wirken auf sie wie bedeutungslose Werbeslogans.
In `1979` schickt Christian Kracht zwei grundverschiedene Typen in den Orient, die eine Art Sado- Maso- Beziehung führen und nur noch aus Gewohnheit zusammen sind. Christopher, der von einer heimtückischen Krankheit gezeichnete Zyniker und Besserwisser, glänzt auf jeder Party. Christopher behandelt seinen Partner wie einen Punchingball und bombardiert ihn ständig mit verbalen Attacken. Der Ich- Erzähler hingegen bewundert Christopher wie ein Archäologe eine antike Statue. Manchmal hasst er Christopher, manchmal findet er ihn aber einfach nur `charming´. Doch jede seiner Gefühlsäußerungen wirkt mechanisch heruntergeleiert, so wie ein auswendig gelernter Slogan:
Ich glaube einfach, dadurch, daß er leer ist, ist er nicht wieder aufladbar. Der ist wie so eine tote Batterie, die jemand weggeworfen hat und zwar in den Müllkarton neben der grünen Kiste.
Wo nichts war, da kann auch nichts sein. Der Ich-Erzähler ist eine `Eintragung ins Nichts`, wie es in einem Lied der Hamburger Band Blumfeld heißt.
In der Nacht, in der Ajatholla Khomenei die Macht ergreift, stirbt Christopher. Der Ich-Erzähler steht alleine dar. Sein konstruiertes Bild à la `Schöner wohnen in Persien` zerfällt. Was ihm bleibt sind Christophers Berluti-Schuhe und der Entschluss, nach Tibet zu reisen, um dem Mount Kailasch zu umlaufen. Der Tod seines Freundes scheint ihn nicht weiter zu berühren. Der Ich Erzähler hat ein weißes, leeres Herz und eine hohle Seele. Kracht:
Er ist auch wie der Ich- Erzähler in `Faserland` ein Mensch, der mit Nichts etwas zu tun hat. Er existiert halt nicht. Er existiert halt nicht außerhalb Menschen und Systemen um ihn herum. Er ist einfach eine Null. Also, ich wollte das Buch ursprünglich `O` nennen, also eine Art Null, auch eine Art Kreis. Aber ich fand das dann so ein bißchen manieriert. Das habe ich dann nicht getan.
Die Symbolik des Kreises und der Null wird mit der Umrundung des Mount Kailasch wieder aufgegriffen. Wie Dante die 10 konzentrischen Kreise hinuntersteigt, läuft Christian Krachts Ich–Erzähler um den Berg herum, erträgt gelassen Schmerzen und Kälte und bestätigt mit jeder Umrundung seine Nichtigkeit. Von Läuterung und innerer Einkehr keine Spur.
Durch die von Christian Kracht gewählte emotionslose Sprache, erlebt der Leser Tibet genauso teilnahmslos nüchtern wie der Ich- Erzähler. Der Autor:
Eine Null ist ja auch immer indifferent. Sie hat ja weder eine positive noch negative Aussage. Sie ist ja einfach nur existent. Ähnliches war ja in `Faserland` auch. Da plätschert ja alles so vor sich hin. Und man hat einfach keine Meinung dazu, weil es unmöglich ist, eine Meinung zu haben, weil wer hat Recht? Ich weiß nicht, wer Recht hat. Das ist mir auch ein Rätsel. Und ich glaube, ähnlich ergeht es den Ich-Erzählern in meinen Romanen, die einfach nur stolpern und nichts wissen und nichts sehen und relativ dämlich sind.
Doch diese Dämlichkeit provoziert kein Mitleid beim Leser. Eine Null kann man einfach nicht ernst nehmen. Der Ich- Erzähler nutzt seine Chancen nicht, verhält sich fast schon autistisch und seine Wahrnehmungsfähigkeit ist vollkommen unterentwickelt. Was bleibt dem Leser anderes übrig, als an einigen Stellen einfach nur noch schmunzeln zu können. Zum Beispiel als sich die teuren Berluti- Schuhe aufzulösen beginnen.
Die edlen Teile halten einer Wanderung durch Tibet einfach nicht stand. Der Faserlandluxus beginnt abzubröckeln und wird zur label- losen Materie angesichts existentiell bedrohlicher Situationen. Kracht:
Nur ich dachte einfach, daß es möglich wäre, diese Auflösung, die der Ich- Erzähler erfährt, anhand eines für Faserland-Leser beeindruckenden Schuhs zu beschreiben. Und irgendwann ist es ja so, daß sich nicht nur die Schuhe auflösen, sondern, daß er sie austauscht mit so selbstgenähten Filzschuhen. Also, das ganze Buch ist ja eine Hommage an den Schuhfetischismus. Es gibt brennende Holzpantinen, es gibt Lager-Turnschuhe, die der Ich–Erzähler dann ganz adrett an seinen Schuhen findet.
Dieses Lager ist die Endstation in Christian Krachts Roman. Von Tibet aus wird der Ich-Erzähler in ein chinesisches Arbeitslager deportiert, in dem man ihm kein Kölnisch Wasser nach der Rasur anbietet und ihn einer Gehirnwäsche unterzieht.
Ihm werden ja mehrere Systeme angeboten, der Islam, den lehnt er ab, die Liebe, die lehnt er auch ab, der Buddhismus. Und er geht dann einfach auf in einem menschenverachtenden System, weil er die Übersysteme, die ihn retten könnten, nicht annehmen will oder kann, weil er einfach zu doof ist. Das ist auch vielleicht die kleine Gesellschaftskritik. Es muß möglich sein, wieder wohlwollende Systeme anzunehmen. Systeme, die menschenverachtend sind, sind einfach schrecklich.
Aber wie kann man wohlwollende Systeme annehmen, wenn das eigene System `Mensch` von vorne herein defekt und unterentwickelt ist ?
Christian Krachts zweiter Roman `1979` ist perfekt konstruiert und zeigt einen Menschen, der seinen Individualismus zelebriert und seinem Leben durch Äußerlichkeiten einen Halt gibt.
`Ich style mich, also bin ich` reicht als Lebensmaxime in `1979` aber nicht mehr aus und führt den Ich- Erzähler geradewegs in die Hölle.
Christian Kracht hat die `Faserland`-Ästhetik in seinem zweiten Roman konsequent weitergeführt. Nur daß der Ich- Erzähler in `1979` an seinem eigenen kalten Blick zugrunde geht und keinen Bezug zu seinen Mitmenschen hat. Der Leser begleitet einen Halbtoten auf seinem Weg zur totalen Auslöschung.
Christian Kracht hat einen äußerst ungewöhnlichen und ergreifenden Roman geschrieben, der im übertragenen Sinne ein Aufruf dazu ist, sich im Leben mindestens ein vernünftiges Paar Schuhe zuzulegen: Es leben die robusten Wanderschuhe mit dicker Gummisohle!