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1.3.1904 - Vor 100 Jahren

Sein Orchester war die kommerzielle Seite des Swing – mit perfekt arrangierten Bläsersätzen, eingängigen Melodien, einem leicht verhangenen Sound – mit gerade soviel Jazz, dass es richtig swingt, aber so geschliffen, dass keinem dabei zu heiß wird. Glenn Miller hat den Soundtrack geschrieben für die Vereinigten Staaten der Vorkriegszeit, weiß und unterhaltsam – so wie jeder Amerikaner Chesterfield rauchen oder Ritz Crackers essen wollte, wollte er Glenn Miller and his Orchestra hören: ein bisschen nostalgisch, ein bisschen hip. Die Swingeuphorie war Ende der 30er Jahre bereits in vollem Gange, doch kein Duke Ellington, kein Count Basie, nicht einmal Benny Goodman hatte so abräumen können wie Glenn Miller mit seiner Tanzmusik.

Von Simonetta Dibbern | 01.03.2004
    Vier Posaunen und ein Saxophonsatz, angeführt von einer Klarinette, die dem Satzklang etwas leicht süßliches verleiht, die Trompeten halten sich gedämpft im Hintergrund. Ein Ensembleklang wie aus einem Guss - kein Solist, der sich in den Vordergrund spielt oder irgendwie aus dem Rahmen fällt.

    Glenn Miller: Posaunist, Komponist, vor allem aber: Arrangeur. Und als solcher ein Genie: mit wenigen aber effektiven Griffen in die Kiste der Orchestrierung erfand er einen, seinen, Bigband-Klang und traf damit genau den Geschmack des großen, kaufkräftigen Publikums. Bis zu 13 Auftritte hatte die Band pro Woche, Anfang der 40er Jahre lagen die Wochengagen zwischen 3 und 5000 Dollar, dazu unzählige Radioshows und zwei Hollywoodfilme: Die Musik zu "Sun Valley Serenade" 1941 brachte dem Bandleader 1 Millionen verkaufte Schallplatten ein: Chattanooga Choo Choo war der erste große Hit der Popmusik.

    Ehrgeizig und perfektionistisch hatte Glenn Miller sich diesen Erfolg erarbeitet: Geboren wurde er am 1.März 1904 in einem Provinznest im US-Bundesstaat Iowa, sein Vater, Wanderarbeiter, zog mit der sechsköpfigen Familie mehrmals um, bevor er sich in Colorado niederließ. Alton Glenn bekam als 10jähriger eine Mandoline geschenkt, die er aber heimlich gegen eine gebrauchte Posaune tauschte.

    Er schlägt sich als Studiomusiker durch, beginnt zu arrangieren – und gründet 1937 sein erstes eigenes Orchester. Der schnelle große Erfolg steigt weniger dem jungen Bandleader zu Kopf als seinen Musikern: Glenn Miller trennt sich nach wenigen Monaten von den ständig betrunkenen, mit Star-Allüren-behafteten Instrumentalisten und sucht nicht bessere sondern: verläßlichere.

    1938 tritt das neue Glenn Miller Orchestra zum ersten Mal in neuer Besetzung auf. Quasi über Nacht beginnt fast eine ganze Nation, sich in seinen süßswingenden Klängen zu wiegen. Die Musiker jedoch tanzen vor allem nach der Pfeife des Bandleaders.

    Mit militärischer Strenge führt Glenn Miller seine zweite Bigband zum Ruhm: für ungeputzte Schuhe oder ungebügelte Hosen müssen die Musiker 5 Dollar Strafe zahlen, fürs Zuspätkommen 10.

    "Den Fisch" nennen sie ihren kühlen und pedantischen Kapellmeister. Schwarze Musiker gibt es bei Glenn Miller nicht.

    Trotz des überwältigenden Erfolges gibt Glenn Miller 1942 sein Orchester auf für den Dienst am Vaterland. Als Captain der American Airforce ist er zuständig für die musikalische Betreuung der alliierten Truppen, mit Konzerten und speziellen Radiosendungen, die von England aus auch auf deutsch ausgestrahlt werden, unter dem Titel: Music for the Wehrmacht. Erkennungsmelodie ist Millers einziges selbst geschriebenes Stück: Moonlight Serenade.

    Good evening deutsche Soldaten, ich spreche wenig und lasse immer gern Musik für mich sprechen. america means freedom. There is no expression of freedom so sincere than there is in Music.

    Im Dezember 1944 hat The American Band of the Allied Expeditionary Forces einen Auftritt in Paris – aufgrund des schlechten Wetters sind Flug- und Funkverkehr eingestellt. Glenn Miller fliegt trotzdem am 15. Dezember zusammen mit zwei Piloten in einer einmotorigen Maschine über den Ärmelkanal. Neun Tage später meldet die BBC, dass das Flugzeug vermutlich abgestürzt sei.

    Sowohl seine Blitzkarriere als auch sein ungeklärter Tod eigneten sich bestens zur Legendenbildung – 1953 erschien "The Glenn Miller Story" mit James Stewart in der Hauptrolle. Die Musik von Glenn Miller war aber nicht nur Soundtrack für diesen Erfolgsfilm: Glenn Miller hat mit seiner geradezu postmodernen Mischung aus Swing und leichter Tanzmusik die musikalische Begleitung für eine ganze Ära geliefert.