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10.2.1979 - Vor 25 Jahren

Wir werden niemals zustimmen in eine einseitige Verfügung mit unseren Rechten von Seiten anderer Regierungen.

Von Wolf Oschlies | 10.02.2004
    So war er: Edvard Kardelj, der am 10. Februar 1979 starb. Der 1910 in Ljubljana als Sohn eines Eisenbahners geborene Slowene war österreichischer Untertan, sprach also gut Deutsch. Der seit 1926 in der Kommunistischen Partei aktive Kardelj wollte revolutionäre Veränderungen in Slowenien, an dessen alte Verhältnisse er sich noch 1976 mit Abscheu erinnerte:

    Diese reaktionäre herrschende Schicht, diese Clique der Klerikalen, Liberalen und Kleinbürger, deren Wort auch die Kulturpolitik bestimmte.

    Und als einer der Führer des Partisanenkriegs und der Nachkriegsentwicklung empfand sich Kardelj als Repräsentant eines einmalig neuen Balkan-Staats:

    Ein historisch neues Jugoslawien entstand, nicht als unitaristisches Gebilde, sondern als Föderation freier und gleichberechtigter Völker.

    Dieses Selbstbewusstsein von Siegern und eine strahlende Zukunfts-Gewissheit besaßen auch Tito und die Politiker um ihn herum. Kardelj überragte sie alle. Lange Haftstrafen daheim in den 30er Jahren und lange Schulungsjahre in Moskau hatten ihm ideologische Illusionen ausgetrieben. Als Initiator des Geheimdienstes von Titos Partisanen kannte er die Tricks und Absichten von Stalins Sowjets. Und den Stalin-Tito-Konflikt dirigierte er 1948, eben Außenminister geworden, so geschickt, dass er schon 1954 triumphieren konnte:

    Wir bauen sozialistische Verhältnisse ohne fertige Rezepte. Aber wir jugoslawischen Kommunisten können mit größter Überzeugung sagen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. (...) Eine Pleite erlebten die Kominform-Zentren im Ausland, die auf unsere Schwäche und Uneinigkeit gehofft hatten.

    Aber auch ein geschlagener Stalin blieb ein gefährlicher Stalin. Kardelj ließ heimische Stalinisten auf der Adriainsel Goli otok internieren, trieb 1949 die Sowjets vor dem Un-Plenum mit seinen Anklagen in die Enge und prüfte Jugoslawiens Möglichkeiten für den Bau der Atombombe. 1952 zündete er eine weit wirksamere "Bombe":

    Alle feindlichen Illusionen hat unser System der sozialen Selbstverwaltung, von der Arbeitswelt bis zur Gemeinde und der neuen Rolle unserer Volksversammlungen, in Luft aufgelöst.

    Kardelj wusste, dass der gewonnene Konflikt mit Stalin nur ein halber Sieg war: Etwas Neues musste her, das stalinistische Methoden in Politik und Wirtschaft überwand. Das Neue fand er bei Marx, den er buchstäblich beim Worte nahm. Marx wollte die Produktion "assoziierten Individuen" überlassen - Kardelj übergab den Arbeitern die Leitung ihrer Betriebe: Sie durften über große Teile ihres Gewinns selber entscheiden, mussten aber auch große Teile des "Marktrisikos" tragen, um Gewinn zu erwirtschaften. So entstand die Arbeiterselbstverwaltung, womit der Bruch mit dem Osten endgültig wurde. Das hatte Kardelj gewollt, und in diesem Geiste kommentierte er den ostdeutschen Volksaufstand vom 17. Juni 1953:

    In Berlin hat die herrschende Bürokratenkaste die rote Fahne der Oktoberrevolution endgültig in den Schmutz gezogen. Nicht der Sowjetsoldat, der unter ihr in die Arbeitermassen schoss, verteidigte in Berlin diese Fahne, sondern die Berliner Arbeiter, als sie diese vom Brandenburger Tor herunterholten.

    Offiziell war Kardelj fortan der Chefideologe, tatsächlich aber das liberale Gewissen von Titos Bund der Kommunisten, den er personell und konzeptionell zu immer mehr Demokratie und Pluralität trieb - stets in Spitzenfunktionen und als Titos rechte Hand. Dessen Nachfolger sollte er werden, aber er starb 1979 ein Jahr vor Tito. Mit Kardelj schwand eine Vision, die gewiss irreal war, für ihn aber noch 1974 eine reale Perspektive darstellte:

    Der Bund der Kommunisten (...) kämpft für die ständige Vertiefung und Erweiterung demokratischer Rechte aller Bürger.