Zehn Punkte gibt’s zunächst mal für Originalität – kein Stück über Müller und erst recht keines etwa in Stil oder Duktus des Dramatikers ist da zu erleben, sondern etwas, was sich im besten Fall als "literarische Recherche" beschreiben ließe:
Thomas Oberender, zuletzt als Dramaturg und Autor Chef-Ideologe des Erfolgsintendanten Matthias Hartmann in Bochum und demnächst erstaunlicherweise Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele, sowie Moritz von Uslar, ursprünglich als journalistischer Poltergeist in der Glossenfabrikation tätig, haben sich unter einigen von Müllers besonders getreuen Weggefährten umgehört und mit einer bestimmten Absicht und Verabredung Fragen gestellt; und Müllers ältere und jüngere Freunde, der Dramatiker-Kollege Lothar Trolle etwa und die Regisseure Dimiter Gotscheff und B.K. Tragelehn, die Wissenschaftler Dirk Baecker und Frank Hörnigk oder die Dramaturgen Carl Hegemann und Frank Raddatz sowie enge Mitarbeiter am alten "Berliner Ensemble", sollten die Fragen so beantworten, wie sie – in ihrer Vorstellung - Müller selber beantwortet hätte, wenn er noch am Leben wäre und am 9. Januar den 77. Geburtstag feiern könnte. So weit, so munter und verspielt.
Nochmal zehn Punkte gibt’s für das szenische Entree dieses Abends – der nämlich als "Séance" verstanden werden möchte, also als Geister- und Toten- und jedenfalls irgendwie Jenseits-Beschwörung, mit Kerzenschein und Tischerücken; der darum schon vor dem Theater beginnt, mit Fackeln, die den Weg markieren im Schnee auf dem Bertolt-Brecht-Platz am Schiffbauerdamm, und der dann im Kassenfoyer wie auch noch in den Umgängen des Theaterhauses selbst fortgesetzt wird in fast völliger Finsternis. Nur die Programmverkäufer und das Personal an der Garderobe verfügen über Taschenlampen – und sie sind offenkundig gehalten, deren Lichtkegel fleißig und schön rätselhaft kreisen und wirbeln zu lassen. Ach wie gut das tut: eine Premiere ganz ohne die Allgegenwart des Schickeria-Gelichters und all der Larven und Masken im Berliner Publikum, mangels Leselicht auch kein neunmalkluges Vorweg-Palaver mit Blick ins Programmheft; Verwirrung statt dessen – und im günstigsten Fall die ganz private Entscheidung bei Herrn und Frau Jedermann, nur mit der eigenen Erinnerung an Müller das kleine Abenteuer anzutreten.
Dann aber müssen wir (leider!) den Theatersaal betreten – und mit diesem Anfang ist schon alles aus. Das schöne Entree hat für einen zum Glück recht kurzen Abend keinerlei Folgen nach sich gezogen, nicht mal bei der Beleuchtung; was aber zwingend nötig gewesen wäre, um dem Konstrukt der Autoren wenigstens ein bisschen festen Unter- oder gar Abgrund zu verpassen. Nun erweist sich diese "Recherche" als das, was sie (mit etwas weniger Wohlwollen betrachtet) auch vorher schon war: als potenziell hanebüchener Schnickschnack nämlich, der ein paar mehr oder minder ernsthaften Kumpels von früher die Gelegenheit gibt, sich an der nachglühenden Sonne des Meisters zu wärmen – falls die Fragen der Herren Oberender und von Uslar das denn zulassen. Was sie natürlich nicht tun – da schwimmt ein Haufen quasi-journalistischer Platitüden über den Gang der Dinge und den Lauf der Zeit seit Müllers Tod in einem Sud aus Anekdötchen; und im schlimmsten Fall lavieren sich die Herren Autoren wie durch eins dieser unerträglich dämlichen Pop- und Prominenten-Interviews sagen wir mal im "Spiegel". Und auf Dauer hilft gegen all das Geschnarre und Geplapper auch Müllers altvertrauter Grund-Zynismus nicht, der immerhin wusste, dass auf dem Kultur-Markt all dies gleich wertig und also gleich überflüssig ist.
Nachdem er zu Beginn den ersten Müller-Imitator (schwarz gewandet und mit schwarzer, dickrandiger Brille unter hoher Stirn) per Schattenspiel verfünffacht hat, nicht ganz so, wie es im Regiebuche steht (das sieben Müllers fordert), hat dann auch Regisseur Philipp Tiedemann offenbar alles Pulver verschossen – und organisiert von nun an den Ablauf vom Blatt. Die Autoren trennen immerhin noch Zeugenaussage und Kommentar, für Tiedemann und das Müller-Quintett wird sehr schnell alles eins: dröge, banal, nicht mal so komisch wie immer alle vom Witze-Erzähler Müller berichten. Keine Erkenntnis, nirgends; kein neuer Blick, keine interessante, gar funkelnde Idee davon, was Müller war und – ja darum müsste es doch wohl auch und vor allem gehen! - was Müller heute noch oder wieder oder überhaupt erst sein kann!
Und spätestens hier wird dann auch die peinlich-rattenfängerische Methode hinter der ineffektiven Machart unübersehbar – Müller wirklich gewollt nämlich hat an diesem Abend keiner. Die zeitgeisternden Autoren nicht, und schon gar nicht das Theater, dieses Haus, das einen seiner stärksten Geister einmal mehr auszutreiben versucht, indem es ihn zu beschwören vorgibt. Das ist perfide! Und dafür sammeln wir auch alle Pluspunkte wieder ein und verteilen 100 Miese.
Thomas Oberender, zuletzt als Dramaturg und Autor Chef-Ideologe des Erfolgsintendanten Matthias Hartmann in Bochum und demnächst erstaunlicherweise Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele, sowie Moritz von Uslar, ursprünglich als journalistischer Poltergeist in der Glossenfabrikation tätig, haben sich unter einigen von Müllers besonders getreuen Weggefährten umgehört und mit einer bestimmten Absicht und Verabredung Fragen gestellt; und Müllers ältere und jüngere Freunde, der Dramatiker-Kollege Lothar Trolle etwa und die Regisseure Dimiter Gotscheff und B.K. Tragelehn, die Wissenschaftler Dirk Baecker und Frank Hörnigk oder die Dramaturgen Carl Hegemann und Frank Raddatz sowie enge Mitarbeiter am alten "Berliner Ensemble", sollten die Fragen so beantworten, wie sie – in ihrer Vorstellung - Müller selber beantwortet hätte, wenn er noch am Leben wäre und am 9. Januar den 77. Geburtstag feiern könnte. So weit, so munter und verspielt.
Nochmal zehn Punkte gibt’s für das szenische Entree dieses Abends – der nämlich als "Séance" verstanden werden möchte, also als Geister- und Toten- und jedenfalls irgendwie Jenseits-Beschwörung, mit Kerzenschein und Tischerücken; der darum schon vor dem Theater beginnt, mit Fackeln, die den Weg markieren im Schnee auf dem Bertolt-Brecht-Platz am Schiffbauerdamm, und der dann im Kassenfoyer wie auch noch in den Umgängen des Theaterhauses selbst fortgesetzt wird in fast völliger Finsternis. Nur die Programmverkäufer und das Personal an der Garderobe verfügen über Taschenlampen – und sie sind offenkundig gehalten, deren Lichtkegel fleißig und schön rätselhaft kreisen und wirbeln zu lassen. Ach wie gut das tut: eine Premiere ganz ohne die Allgegenwart des Schickeria-Gelichters und all der Larven und Masken im Berliner Publikum, mangels Leselicht auch kein neunmalkluges Vorweg-Palaver mit Blick ins Programmheft; Verwirrung statt dessen – und im günstigsten Fall die ganz private Entscheidung bei Herrn und Frau Jedermann, nur mit der eigenen Erinnerung an Müller das kleine Abenteuer anzutreten.
Dann aber müssen wir (leider!) den Theatersaal betreten – und mit diesem Anfang ist schon alles aus. Das schöne Entree hat für einen zum Glück recht kurzen Abend keinerlei Folgen nach sich gezogen, nicht mal bei der Beleuchtung; was aber zwingend nötig gewesen wäre, um dem Konstrukt der Autoren wenigstens ein bisschen festen Unter- oder gar Abgrund zu verpassen. Nun erweist sich diese "Recherche" als das, was sie (mit etwas weniger Wohlwollen betrachtet) auch vorher schon war: als potenziell hanebüchener Schnickschnack nämlich, der ein paar mehr oder minder ernsthaften Kumpels von früher die Gelegenheit gibt, sich an der nachglühenden Sonne des Meisters zu wärmen – falls die Fragen der Herren Oberender und von Uslar das denn zulassen. Was sie natürlich nicht tun – da schwimmt ein Haufen quasi-journalistischer Platitüden über den Gang der Dinge und den Lauf der Zeit seit Müllers Tod in einem Sud aus Anekdötchen; und im schlimmsten Fall lavieren sich die Herren Autoren wie durch eins dieser unerträglich dämlichen Pop- und Prominenten-Interviews sagen wir mal im "Spiegel". Und auf Dauer hilft gegen all das Geschnarre und Geplapper auch Müllers altvertrauter Grund-Zynismus nicht, der immerhin wusste, dass auf dem Kultur-Markt all dies gleich wertig und also gleich überflüssig ist.
Nachdem er zu Beginn den ersten Müller-Imitator (schwarz gewandet und mit schwarzer, dickrandiger Brille unter hoher Stirn) per Schattenspiel verfünffacht hat, nicht ganz so, wie es im Regiebuche steht (das sieben Müllers fordert), hat dann auch Regisseur Philipp Tiedemann offenbar alles Pulver verschossen – und organisiert von nun an den Ablauf vom Blatt. Die Autoren trennen immerhin noch Zeugenaussage und Kommentar, für Tiedemann und das Müller-Quintett wird sehr schnell alles eins: dröge, banal, nicht mal so komisch wie immer alle vom Witze-Erzähler Müller berichten. Keine Erkenntnis, nirgends; kein neuer Blick, keine interessante, gar funkelnde Idee davon, was Müller war und – ja darum müsste es doch wohl auch und vor allem gehen! - was Müller heute noch oder wieder oder überhaupt erst sein kann!
Und spätestens hier wird dann auch die peinlich-rattenfängerische Methode hinter der ineffektiven Machart unübersehbar – Müller wirklich gewollt nämlich hat an diesem Abend keiner. Die zeitgeisternden Autoren nicht, und schon gar nicht das Theater, dieses Haus, das einen seiner stärksten Geister einmal mehr auszutreiben versucht, indem es ihn zu beschwören vorgibt. Das ist perfide! Und dafür sammeln wir auch alle Pluspunkte wieder ein und verteilen 100 Miese.