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100. Geburtstag des Theologen Eugen Biser
Verstehen statt gehorchen

Ein katholischer Priester, der seine Doktorarbeit über Nietzsche verfasste und die Kirche immer wieder scharfsinnig kritisierte. Aus Sicht Eugen Bisers drehte sich das Christentum zu sehr um sich selbst – die katholische Kirche dürfe nicht als Hüterin der Moral daherkommen.

Von Burkhard Schäfers | 05.01.2018
    Der Religionsphilosoph Eugen Biser (1918-2014).
    "Das Christentum ist keine moralische, sondern eine mystische Religion", fand der Theologe und Religionsphilosoph Eugen Biser (1918-2014) (picture alliance / dpa / Frank Mächle)
    Eugen Biser: "Das Christentum ist keine moralische, sondern eine mystische Religion. Und damit schaffe ich mir natürlich die allergrößten Schwierigkeiten. Denn die Aussagen der Amtskirche konzentrieren sich ja seit Jahr und Tag auf den Sektor der Moralität."
    Vieles von dem, was seine Kirche verkündete, war Eugen Biser ein Dorn im Auge. Aus seiner Sicht kreiste sie oft um Randthemen, anstatt das zu thematisieren, was die Menschen wirklich bewegt:
    "Es ist notwendig, dass wir einsehen: Das Christentum ist keine asketische, sondern eine therapeutische Religion."
    Eugen Bisers Theologie wollte die Menschen nicht belehren, sondern ihre Freiheit betonen. Nach seiner Lesart sollte der Glaube den Menschen nicht drohen - mit Hölle und Jüngstem Gericht - sondern im Gegenteil die Angst nehmen:
    "Das Zentrum des Christentums, das ist irgendwo anders zu suchen. Es geht im Christentum um die Erhebung des Menschen. Und wenn man sich fragt, wie diese Erhebung vor sich gehen soll und worin sie besteht, gibt es keinen zentraleren Begriff als den Begriff der Gotteskindschaft."
    "Ein Universalgelehrter"
    Wie wurde Eugen Biser zu einem der bedeutenden Theologen des 20. Jahrhunderts, der den Glauben und das Denken vieler Zeitgenossen prägte? Geboren 1918 im südbadischen Oberbergen, studierte er in Freiburg Katholische Theologie, wurde zum Priester geweiht, promovierte in Theologie und Philosophie, lehrte als Professor in Passau, Würzburg und München. Biser war nicht nur Wissenschaftler, sondern rhetorisch versierter Prediger, Netzwerker und jemand, der über sein Fach hinausdachte, berichtet einer seiner Weggefährten, der Politikwissenschaftler und frühere Politiker Hans Maier.
    "Er hat sich nicht nur für die Wissenschaft interessiert, sondern auch für die Kunst – oder besser muss ich sagen für die Künste. Das war wohl, was zu seinem Ruf beitrug, er sei ein Universalgelehrter. Oder überhaupt ein allen Künsten, allen Wissenschaften zugewandter Mensch."
    Der Politikwissenschaftler und frühere Politiker Hans Maier.
    Der Politikwissenschaftler und frühere Politiker Hans Maier. (Deutschlandradio / Burkhard Schäfers)
    Eugen Biser, klein von Statur, mit wachen Augen und eindringlicher Gestik, hatte einen umfassenden Forscherdrang: Er beschäftigte sich mit Musik und Literatur, mit Medien und Bildender Kunst. Als Nachfolger von Karl Rahner hatte er in München zwölf Jahre lang den Romano-Guardini-Lehrstuhl für Christliche Weltanschauung und Religionsphilosophie inne. Beinahe 30 Jahre lang wirkte er an der Universitätskirche St. Ludwig als Hochschulprediger.
    Eines seiner Kernthemen – schon in seiner Habilitation an der Uni Würzburg – war die Sprache der Theologie: Glaube nicht als abstrakte Lehrsätze, sondern anschaulich erklärt und gedeutet. Biser befasste sich intensiv mit Jesus, Paulus – und Friedrich Nietzsche.
    "Nietzsche spielt in der Erweckung des wissenschaftlichen Geistes von Eugen Biser eine ganz zentrale Rolle. Also Nietzsche, der Pfarrerssohn und der bekennende Atheist, das war eine Lektüre, die für Theologen im 20. Jahrhundert, meinte Biser, eben einfach unvermeidlich sei."
    Zweifel als integrierendes Element
    Hans Maier sagt, Biser habe Nietzsche zum Gegenlesen seiner eigenen Überlegungen genutzt: Inwieweit hat der Glaube in der Öffentlichkeit noch Gewicht, beeinflusst er das Leben und Denken der Menschen? "Gott ist tot", dieser berühmte Satz Nietzsches führte Biser in die Dialektik von Glaube und Unglaube.
    "So hat Biser in seinem Glauben den Zweifel gewissermaßen als integrierendes Element mitgedacht. Und damit hat er auch viele erreicht, die nicht gläubig sind."
    Etwa mit seinen Sendungen im Bayerischen Fernsehen: In der Reihe 'Theologie der Zukunft' sprach Eugen Biser über Themen wie Sünde, Tod, Auferstehung. Und über die Glaubenskrise. Die rühre daher, dass die Kirche an ihren Glaubenssätzen festhalte und damit die Menschen nicht mehr erreiche. Denn:
    "Ich sehe eine Wende vom Gehorsams- und Autoritätsglauben zum Verstehensglauben."
    Biser unterschied die – von Menschen formulierte – Wahrheit des Christentums von der Wahrheit Jesu Christi, erklärt Richard Heinzmann, emeritierter Professor für Christliche Philosophie:
    "Es gab lange, bis vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, die Vorstellung: Ich habe das Wesen des Christentums, wenn ich die dokumentierte Lehre der Kirche vor mir habe, in Dogmen, in Symbolen und so weiter. Diese Vorstellung wurde dann im Zweiten Vatikanum aufgebrochen. Aber nach der Überzeugung von Eugen Biser ist die Kirche sehr bald wieder zurückgefallen hinter das Erste Vatikanum."
    Biser blickte weit über den katholischen Horizont hinaus
    War Biser ein Kirchenkritiker? In der Sache ja, sagt Theologe Heinzmann. Allerdings auf andere Art als seine Zeitgenossen Hans Küng und Eugen Drewermann, die die katholische Kirche öffentlich scharf angriffen. Er sei "kein Revolutionär", urteilte Biser einmal über sich selbst, meine aber "dass die Kirche im besten Sinn des Wortes unterwandert werden muss".
    Richard Heinzmann: "Eugen Biser hat immer betont, dass ein Frontalangriff auf die Kirche nicht sinnvoll ist. Sondern er war der Überzeugung, man muss von innen heraus die Mauern, die sich von selbst aufgebaut haben und die von bestimmten Leuten natürlich auch aufgebaut wurden, die muss man von innen heraus sprengen."
    Richard Heinzmann, emeritierter Professor für Christliche Philosophie und Ehrenpräsident des Stiftungsrates der Eugen-Biser-Stiftung
    Richard Heinzmann, emeritierter Professor für Christliche Philosophie und Ehrenpräsident des Stiftungsrates der Eugen-Biser-Stiftung (Deutschlandradio / Burkhard Schäfers)
    Zugleich blickte der Religionsphilosoph weit über den katholischen Horizont hinaus: Der Glaube sollte für die Gesellschaft relevant sein. Deswegen suchte er den Austausch mit Juden und Muslimen, gründete eine Stiftung, die den Dialog mit anderen Religionen und Kulturen fördern soll. An der Münchner Uni initiierte er 1987 das Seniorenstudium, das er anschließend 20 Jahre lang leitete.
    Obwohl Eugen Biser mehr als 150 Bücher und etwa 1.000 Aufsätze schrieb, galt er als lebensnaher Intellektueller – auch in religiösen Fragen:
    "Ich möchte das Christentum in der Tat neu entdecken als Antwort auf das tiefste Bedürfnis des Menschen, und das ist und bleibt die Frage nach dem Sinn seines Lebens. Und ich möchte als zweites endlich einmal klarmachen: Das Christentum ist eine einzige Liebeserklärung Gottes an die Welt."