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100 Jahre Design - viel mehr als Gebrauchskunst

Wenn Design und Kunst aufeinandertreffen, kann ein fast theatralisch anmutendes Wechselspiel inszeniert werden. Das beweist eine Ausstellung mit Werken der vor 100 Jahren geborenen Designerin Janette Laverrière in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden.

Von Christian Gampert | 28.07.2009
    Zwischen zwei Akten zieht der Theater-Künstler sich um; oder die Künstlerin. "Entre deux actes" heißt auch die Installation der mittlerweile hundertjährigen Janette Laverrière aus dem Jahr 1947, und das ganze Arrangement legt es nahe, dass in dieser Garderobe auch noch anderes stattfindet als pures Schminken und Umkleiden. Es gibt hier liegetaugliche lila Chaiselongue-Matratzen auf schwarzem Drahtgestell, die mit einem gestreiften, baldachin-artigen Vorhang intim verhüllt werden können. Dazu einige dürre Regale, ein Schminktisch, auf dem einsam ein fast obszön hochgedrehter Lippenstift steht, ein sorgsam gemusterter Beistelltisch für den Tee zwischendurch und ein Tigerfell, das vor der Bettstatt am Boden liegt.

    Ursprünglich waren all das minimalistische Designobjekte für eine Möbelmesse. Aber Janette Laverrière hat eben schon immer anderes im Sinn gehabt als nur Gebrauchskunst. Dieses Intérieur ist ein hintersinniges Arrangement von Versatzstücken, die (immerhin schon gleich nach dem Zweiten Weltkrieg) auf weibliche Emanzipation und sexuelle Unabhängigkeit verweisen - obwohl da offenbar auch ein Großwildjäger tätig war. Das Tigerfell fehlt nun in der Rekonstruktion, die Laverrières Geistesverwandte, die Konzeptkünstlerin Nairy Baghramian, im Kuppelsaal der Baden-Badener Kunsthalle präsentiert. Nur die Umrisse des Fells sind jetzt mit weißer Markierungs-Kreide auf den Rauhfaser-Teppich gemalt - so wie die Polizei die Position einer Leiche kennzeichnet. Es handelt sich also um einen Tatort. Baghramian hat die Garderobe zudem mitten in den Raum gestellt wie eine Bühne und die Wände der Kunsthalle mit kleinen Aktfotos des italienischen Universalkünstlers Carlo Mollino versehen. Durch diese Intervention gerät dann doch der erotische Aspekt des Entkleidens und Verkleidens in den Vordergrund und das Theatralische des Garderoben-Raumes, der normalerweise den Blicken entzogen ist. Auch René Pollesch filmt ja vorzugsweise die Hinterbühne.

    Janette Laverrière hat mit ihren Spiegelobjekten in Frankreich eine späte Karriere gemacht. Ursprünglich war sie Innenarchitektin, ein Beruf, den die männlich dominierte Architektur gern den Frauen zuweist - Heim und Herd und so fort. Die Ausstellung zeigt nun an diversen Beispielen aber, dass gerade die Innenräume politisch und emanzipatorisch genutzt werden können. Spätestens seit Pop-Art und Minimal-Art haben sich Künstler verstärkt mit Design befaßt, Möbel zweckentfremdet, Alltagsgegenstände ironisiert oder in neue Kontexte gestellt.

    Laverrières Thema der Garderobe, des weiblichen Rückzugsraums, der aber von begehrlichen Männerblicken umlagert ist, taucht noch einmal auf: Claes Oldenburg hat drei Kleider, Filmkostüme von Marilyn Monroe zu fadenartigen Gerippen schrumpfen lassen. Da hängen nur noch Strippen an den Bügeln, und die Absätze der Stilettos bestehen aus Nägeln - eine Frau, die sich schon aufgelöst hat, eine Abwesende, ein Opfer. Auch Martin Kippenbergers komische Laternen spielen auf Sex an, aufs Rotlichtmilieu - allerdings schlängeln sich die Laternenpfosten sarkastisch durch die Wände. Und Franz West stellt Tische auf, deren Arbeitsfläche aus Zeitungspapier und abstrakten Bildern besteht. Tischlein deck dich - die Ausstellung macht aus Alltagsgegenständen skurrile Objekte, die uns ganz leicht aus der Realität hinausrücken.