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100 Jahre Frauenwahlrecht in Europa

Vor 100 Jahren führte Finnland als erstes Land der Welt das aktive und passive Frauenwahlrecht ein. Das Jubiläum dieser Verfassungsänderung von 1906 ist Hintergrund der Ausstellung "Von heute an für alle! Hundert Jahre Frauenwahlrecht", die am 1. Juni 2006 um 18 Uhr in der Hauptbibliothek der Helmut-Schmidt-Universität eröffnet wird.

Von Bettina Köster |
    " Finnland war ein Teil des russischen Reiches erst mal ganz autonom, aber dann gab es auch Spannungen und dann hat sich im 19. Jahrhundert ne starke Unabhängigkeitsbewegung entwickelt und die Frauen haben da eine ganz aktive Rolle gespielt und bei der Unabhängigkeit ging es halt auch um politische Rechte für alle. Und 1905 war in Russland Generalstreik 1. Revolution, die dann fehlgeschlagen ist und das griff dann auch über auf Finnland, da war dann mehrere Tage Generalstreik und der Zar wollte gern Ruhe am Rande seines Reiches und hat dann kurzfristig entschieden, ich gewähre denen mal demokratische Rechte und das wurde von allem so interpretiert, dass das eben Rechte für Männer und Frauen sind und da hat der Zar anscheinend nicht widersprochen. "

    Außerdem war die Gesellschaft in Finnland recht homogen und weniger hierarchisch als beispielsweise Frankreich oder Deutschland, meint die Historikerin Bettina Bab. In Finnland habe es auch nicht die klare Trennung zwischen dem privaten Bereich für die Frauen und dem öffentlichen für die Männer gegeben. Männer und Frauen waren hier mehr aufeinander angewiesen, da sie beispielsweise oft gemeinsam einen Bauernhof bewirtschafteten. Nach der ersten Wahl mit weiblicher Beteilung waren dann 10 Prozent Frauen unter den Abgeordneten.


    " Ich finde es interessant, dass das nicht nur bürgerliche Frauen aus besseren Kreisen waren, sondern eigentlich aus ganz einfachen Verhältnissen, ehemalige Dienstmädchen, Wäscherinnen, also Frauen, die sich in der Arbeiterschaft emporgearbeitet haben, aber die ganz konkrete Ziele hatten und wussten, was sie wollten. "

    Entsprechend engagierten sich die Parlamentarierinnen für den Arbeiterinnenschutz aber auch für mehr Rechte von Frauen und Kindern nach einer Scheidung. Ähnliche Anliegen hatten natürlich auch Frauen in anderen europäischen Ländern und sie unterstützten sich auf internationalen Treffen. Zum Beispiel beim Internationalen Frauenrat. Bettina Bab.

    " 1904 hatte dieser internationale Frauenrat ein Treffen in Berlin und dann haben einige ein paar Tage zuvor den Weltbund fürs Frauenstimmrecht gegründet, die sich damals zu dem etwas ungewöhnlichen Schritt durchringen konnten und dieser Weltbund hat sich alle 2, 3 Jahre getroffen und das war sicher ein ganz wichtiger Motor für einzelne Frauen oder Frauengruppen dort hinzufahren und sich auch auszutauschen und auch zu lernen wie sie vorgehen könnten. Petitionen eingeben, Unterschriftsammlungen und Öffentlichkeitsarbeit. "

    Schließlich mussten die Frauen ja erst einmal erproben, wie sie ihre Anliegen möglichst öffentlichkeitswirksam vorantreiben konnten.

    " Schweden war ein Land, die ganz viel auf Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit ausgerichtet haben, ihre Tätigkeiten, die hatten z.B. auch Theaterstücke, Vorträge, aber eben nicht nur so trockenes und die haben dann ein Wahlrechtsspiel herausgegeben und auch andere Länder haben ganz viele Sachen herausgegeben, Kalender, natürlich Postkarten, aber die haben auch Alltagsgegenstände als Werbeträger versehen, so steht dann auf dem Fingerhut Frauenwahlrecht ganz klein oder es gibt einen Fächer aus Frankreich, den finde ich sehr schön, da steht dann drauf je desire vote - ich wünsche zu wählen und viele schöne Kleinigkeiten. "

    Besonders erfinderisch waren die Engländerinnen auf ihrem Weg zum Frauenwahlrecht.

    " Die haben Läden aufgemacht, wo sie dann ihre Artikel verkauft haben, angefangen von Zeitschriften bis zu allem möglichen Geschirr und was man sich nur so ausdenken kann und die hatten die Farben Purpur, Weiß und Grün als ihr Zeichen und trugen dann oft weiße Kleidung und dann Streifen und Schleifen in den anderen Farben und da entstand anscheinend ne ganze Modeindustrie. "

    Erfolg hatten die Engländerinnen dann 1918 als wenigstens alle 30-jährigen Frauen wählen durften. 10 Jahre später bekamen dann alle Frauen das Wahlrecht. Eine stufenweise Einführung des Wahlrechts war keine unübliche Entwicklung in dieser Zeit, so Bettina Bab.

    " Die haben oft zunächst mal das kommunale Wahlrecht bekommen, da wollten die Politiker wahrscheinlich mal abwarten, was hat das für Folgen, gibt es erdrutschartige Veränderungen und außerdem wollten sie meistens nicht der ganzen weiblichen Bevölkerung das Wahlrecht geben. Und dann gibt es wirklich sehr unterschiedliche Vorstellungen. Die Unverheirateten und Witwen mit der offiziellen Begründung Ehefrauen sind ja sowieso durch ihren Mann vertreten. / In anderen Ländern gab es die Diskussion erst den Müttern das Wahlrecht zu geben, weil Mütter sind ja für den Staat wertvoller als die kinderlosen Frauen. "

    Die Frauen zogen keineswegs immer am gleichen Strang. Oftmals feindeten sich Arbeiterinnen und Bürgerinnen an. So auch in Deutschland. Die Sozialwissenschaftlerin und Historikerin Dr. Gisela Notz.

    " Die bürgerlichen Frauen haben zum Teil angelehnt an das, was die Männer hatten Klassenwahlrecht gefordert, also sie haben gesagt, das was die Männer haben wollen wir auch haben. / Und dann gab es auch den Flügel, der das Recht der Frauen auf Erwerb gefordert hat, wie der allgemeine deutsche Frauenverein um Luise Otto Peters und dann gab es halt den Radikalenflügel, das waren die das Wahlrecht gefordert haben. Und die proletarische Frauenbewegung, / man könnte sagen, dass die sich erst so mit der Reichsgründung rauskristallisiert haben, die haben das gleiche und freie Wahlrecht für alle Frauen und Männer gefordert. "

    " Das war natürlich Clara Zetkin allen voraus, die am bekanntesten ist und das war Luise Zietz, auch Rosa Luxemburg hat sich dazu geäußert. "

    Es gab aber auch Unterstützung von männlicher Seite. Der Sozialdemokrat August Bebel forderte bereits 1875 auf einem SPD Parteitag erstmalig ein Wahlrecht für alle. Er erntete von seinen Genossen zwar nur Kopfschütteln, blieb aber weiterhin am Ball.

    Nach dem 1. Weltkrieg, den auch zahlreiche Frauen unterstützt hatten, konnte ihnen schließlich das Wahlrecht nicht weiter vorenthalten werden. Mit der Gründung der Weimarer Republik fruchteten dann Demonstrationen und Petitionen und auch der weibliche Teil der Bevölkerung bekam das Recht seine Stimme abzugeben. Am 19.1.1919 durften sie zum ersten Mal zur Wahlurne gehen.

    Zu den Wegbereiterinnen des Frauenwahlrechts in Deutschland, gehörte auch Hedwig Dohm. Die Historikerin Dr. Valentine Rothe.

    " Sie ist also eine Ahnin der Katja Mann und sie lebte in Berlin und war verheiratet mit dem Redakteur des Kladderadatsch, das war damals eine satirische Zeitung und sie hat also selbst einen ungeheuer scharfen Verstand gehabt Sie war eine Theoretikerin, sie ist klein gewesen, sehr zierlich, sehr bescheiden, sie ist nie auf eine Tribüne getreten, / aber was sie zu verkünden hatte ist einfach bahnbrechend bis heute, dass sie sagt, Frauen lasst euch nicht alles gefallen, seht zu, dass ihr das Wahlrecht bekommt, dass ihr eure Belange im Staate selber in die Hand nehmen könnt, denn wenn ihr euch nicht helft, dann hilft euch keiner. "

    Das gilt bis heute, meint Valentine Rothe und schaut besorgt auf die aktuelle Entwicklung.

    " Wir stellen also fest, dass die Wahlbeteiligung von Frauen wieder rückläufig ist, und wir müssen schon wieder darum kämpfen, dass Frauen jetzt nicht meinen, da gibt es so ein paar Altfordere, die haben da so ein paar Rechte erkämpft und jetzt haben wir eine Angela Merkel, damit ist es nun getan es muss weitergehen und diese paar Statusfrauen, die wir haben genügen einfach nicht. "