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100 Jahre Volksbühne
Durch Arbeitergroschen entstanden

"Die Kunst dem Volke" stand einst in riesigen Lettern über der Berliner Volksbühne. Der Bau des Theaters wurde durch sogenannte Arbeitergroschen von den Mitgliedern des Vereins finanziert. Nun feiert das Haus sein 100-jähriges Bestehen. Ein Rückblick auf die wechselvolle Geschichte des Theaters, das heute am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz residiert.

Von Michael Laages | 30.12.2014
    Von Scheinwerfern erleuchtet ist die Fassade des Theaters Die Volksbühne in Berlin
    Die Volksbühne am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz. (Picture Alliance / dpa / Manfred Krause)
    In diesem Gemäuer steckten tatsächlich die "Arbeitergroschen". Und wer als Mitglied der vielzehntausendköpfigen Volksbühne in Berlin ein wenig Erspartes in den Bau des eigenen Vereinstheaters investiert hatte vor über 100 Jahren, folgte gern auch strengen Regeln - die Gründungsdokumente erzählen noch davon: Passende Kleidung war unverzichtbar, Husten praktisch verboten während der Vorstellung. Im Theaterbesuch manifestierte sich die Aneignung (und Verehrung!) traditionellster kultureller Werte, die der Arbeiterschaft der vorvorigen Jahrhundertwende noch durchweg vorenthalten war im höfisch-bürgerlichen Theaterbetrieb. Das neue Haus von Oskar Kaufmann (der in Berlin auch die Kurfürstendamm-Bühnen, Hebbel- und Renaissance-Theater sowie die Kroll-Oper baute, außerdem unter anderem das Stadttheater in Bremerhaven und das Habimah-Theater in Tel Aviv) war auch als Architektur eine Alternative zum herkömmlichen Theater:
    "Das ist ja eine alternative Gründung von einem Verein der Arbeiterbewegung; und es ist immer so eine Art Alternative geblieben - mehr oder weniger geglückt vielleicht, aber diesem Auftrag kann man sich nicht entziehen", sagt Gabriele Gysi, gelernte Schauspielerin, die Ende der 60er-Jahre das Haus kennenlernte - noch als Studentin "im ‚Wald' von Karge/Langhoff mit Hilmar Thate und Rolf Ludwig durfte ich Aksjuscha spielen."
    "Eigentlich immer modern"
    Sie charakterisiert das Bild, das die Novizin der 60er-Jahre von der Geschichte des Hauses mit auf den Weg bekam:
    "Die Volksbühne war eben eigentlich immer modern - egal was gerade modern war! Und ich hab' immer gedacht: Irgendwie liegt es schon im Bau. Die Bühne ist riesig groß, wahnsinnig hoch und präsentiert die Schauspieler nicht nach vorne weg als Person, sondern sie müssen in Inszenierungen präsentiert werden. Die Volksbühne verlangt auch immer eine Totale, schon wegen der Größe des Bühnenausschnitts. In dieser Riesen-Kathedrale konnte man gut verloren sein. Und das ist ja auch eine Chance."
    Finanzielle Schwierigkeiten begleiteten das Haus von Beginn an - erst mit den Arbeiten des Regisseurs Erwin Piscator gelang eine Art Konsolidierung - mit dem Bühnen-Architekten Traugott Müller kreierte der Agitator Piscator politisch-polemische Spektakel, die alle technischen Neuigkeiten der Epoche mit einbezogen: natürlich den Film und verschiedensten Formen von Bild-Projektion, aber auch rollende Laufbänder neben der stetig kreisenden Drehbühne. Die Kultur-Potentaten des Nationalsozialismus hielten die Polit-Bühne knapp, nach schweren Bombentreffern blieben nur die Außenmauer und das Portal erkennbar, erst ab 1953 war wieder Betrieb im Theater; die nach der Piscator-Zeit kreativste Epoche begann Anfang der 70er-Jahre mit Brechts Meisterschüler Benno Besson.
    Jahre mit Benno Besson
    "Als ich an die Volksbühne kam, war Benno Besson gerade Intendant geworden. Und was Besson machte, war damals das modernste und auch internationalste, was es damals auf deutschem Boden hab; neben dem Berliner Ensemble und Brecht. Er als Person war das Manifest für Modernität, und Karge/Langhoff waren die modernen Jugendlichen, oder wie es in der Zeitung stand: Die Beatles des Theaters", sagt Gabriele Gysi, Manfred Karge und Matthias Langhoff waren diese Theater-"Beatles". Besson stellte das Haus auf den Kopf und erfand neue Theaterberufe:
    "Der fand, dass wir im Theater zu wenig denken - und so hat er eine Planstelle geschaffen für einen Philosophen."
    Und den Haus-Philosophen folgten dann übrigens die Haus-Dichter, Christoph Hein etwa und Heiner Müller. Neben Besson selbst sowie Karge und Langhoff wurde der störrische, eigenwillige Fritz Marquardt zum wichtigsten Regisseur des Hauses; er ist dieses Jahr gestorben.
    Vom durchschlagenden Erfolg der Jahre mit Besson hat sich die Volksbühne bis zur Wende nicht erholt; die Kultur-Bürokratie sammelte auch fast alle Innovationen wieder ein und vertrieb Talente, wie Jürgen Gosch.
    Nach der Wende kam Frank Castorf
    Kurz nach der Wende übernahm dann der Regisseur Frank Castorf das Haus - das erste Kind der Fernseh-Generation, wie Castorfs langjährige Partnerin Gysi heute meint, brach alte wie neue Texte auf und sortierte Themen und Temperamente neu, mit wüster, grober Psychologie und forciertem Vergnügen am Exzess; er erfand auch eine Art des Umgangs mit den modernen Medien wie der Video-Kunst, die Maßstäbe setzte.
    Nur verändert hat er sich selber nie - so sehen ihn viele heutzutage immer wieder an den eigenen Maßstäben scheitern. Ob das noch was zu tun hat mit dem alten Geist der Volksbühne?
    "Den suchen die Leute auch, wenn sie da hingehen; und manchmal versuchen sie, ihn zu zerstören, und manchmal ordnen sie sich ihm unter; aber immer in einer Form der Auseinandersetzung."
    Zerstörung oder Unterordnung - nicht immer ist erkennbar, was von beiden Castorf heute sucht in dieser Auseinandersetzung; über zwei Jahrzehnte als Intendanz haben tiefe Spuren hinterlassen. Aber natürlich geht Gabriele Gysi heute gratulieren, vielleicht sogar (wie so oft) mit Bruder Gregor im Gepäck. Aber sie weiß, dass der Umbruch auch hier, am Nullpunkt der Moderne, nicht aufzuhalten ist.
    "Ich geh einfach hin und freu mich, dass sie immer noch leben - und hoffe, dass andere kommen, die da auch Räume finden; das würde ich mir schon wünschen. Denn doof genug ist alles von alleine."