Dienstag, 19. März 2024

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100. Katholikentag in Leipzig
"Wir brauchen mehr Ungehorsam in der Kirche"

Es ist der 100. Katholikentag, der am 25. Mai beginnt. Islam und Flüchtlinge – das wird eines der zentralen Themen in Leipzig sein. Katholikentage wollen der Gesellschaft Anstöße geben. Was wird als Botschaft von Leipzig bleiben? "Aus Religion und Gesellschaft" kommt am Mittwoch live aus Leipzig: eine Diskussion mit prominenten katholischen Experten.

Hubert Wolf und Joachim Frank im Gespräch mit Andreas Main | 25.05.2016
    Joachim Frank, Chefkorrespondent der DuMont Mediengruppe (l) - Hubert Wolf, Professor für Kirchengeschichte in Münster (r)
    Joachim Frank (l) und Hubert Wolf (r) (Deutschlandfunk/ Privat (l) - imago / Gerhard Leber)
    Wird die Tagespolitik alles überschatten? Können AfD-Politiker, die vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) bewusst nicht eingeladen wurden, dem Katholikentag die Show stehlen, weil alle auf jene starren, die nicht anwesend sind? Oder werden sich während der Tage in Leipzig Impulse entwickeln, die langfristig Frucht tragen?
    Immer wieder in der Geschichte der Katholikentage hat sich in dieser Veranstaltung das widergespiegelt, was die Gesellschaft beschäftigt. Das gilt auch für den 100. Katholikentag. Zu seinem 100. Jubiläum geht der Katholikentag ausgerechnet nach Leipzig – in eine Stadt, in der gerade mal 4,3 Prozent der Bevölkerung katholisch sind. Ganz bewusst soll der runde Geburtstag nicht in einer katholischen Hochburg begangen werden, sondern inmitten einer säkularisierten Gesellschaft.
    Gesprächsgäste:
    Hubert Wolf, Professor für Kirchengeschichte in Münster,
    Joachim Frank, Chefkorrespondent der DuMont Mediengruppe.
    Andreas Main: Was wird wichtig auf dem Katholikentag, wie prägen die Katholikentage die Gesellschaft, wie haben sie sich verändert, gerade auch vor dem Hintergrund, dass es ein Jubiläumskatholikentag ist. Darum soll es hier gehen in einem Gespräch mit zwei prominenten katholischen Experten – bei mir im Ü-Wagen in Leipzig. Einmal Professor Hubert Wolf, guten Abend.
    Hubert Wolf: Guten Abend, hallo.
    Main: Und Joachim Frank – auch Ihnen guten Abend.
    Joachim Frank: Guten Abend, Herr Main.
    Main: Hubert Wolf ist Professor für Kirchengeschichte an der katholisch-theologischen Fakultät der Uni Münster. Er ist Bestsellerautor und hat jetzt ein Buch vorgelegt, das die Geschichte der Katholikentage erzählerisch auslotet. Es heißt schlicht und ergreifend "100 Katholikentage." Und Joachim Frank ist Chefkorrespondent der DuMont Mediengruppe, er ist Theologe, kirchenpolitische und theologische Themen sind ein Schwerpunkt seiner publizistischen Arbeit. Schön, dass sie beide sich die Zeit genommen haben. Herzlich willkommen.
    Joachim Frank, wir sitzen hier in einem Ü-Wagen mitten in der Leipziger Innenstadt, wenige Fußminuten entfernt von einer neuen spektakulären Kirche, der Propsteikirche, Symbol für Aufbruchstimmung unter Leipziger Katholiken. Wie haben Sie die Atmosphäre hier beim Katholikentag bisher erlebt - heute Abend beim Auftakt? Aufbruchstimmung?
    Frank: Es ist zunächst mal eine abwartende Stimmung. Die Leute erschließen sich so nach und nach die Stadt. Und die Stadt – was ich so sehe, die Leipziger, sofern man sie identifizieren kann, gucken freundlich skeptisch auf das, was da so auf sie zukommt. Ich glaube, Begegnung ist genau das richtige Stichwort. Anders als etwas in der katholischen Stadt wie Regensburg muss man erst einmal sehen, wie diese fremde Welt, dieser Mikrokosmos des Katholischen hier klar kommt. Und auch umgekehrt soll es ja auch darum gehen, wie Katholiken sich in Beziehung setzen zu einem im Wesentlichen säkularen, nicht-christlichen Umfeld.
    Main: Das ist die Situation heute. Hubert Wolf, Sie als Kirchenhistoriker, Sie schreiben sich von Berufs wegen die Erinnerung auf Ihre Fahnen. Ich möchte einmal an persönliche Erinnerungen von Ihnen heran. Sie sind Jahrgang 1959, vielleicht erinnern Sie sich noch, wie das beim ersten Katholikentag für Sie war. Wie war das damals im Vergleich zu heute?
    Wolf: Also mein erster Katholikentag ist 18..., äh 1978. Achtzehnhundert sage ich natürlich, weil ich alle Hundert irgendwie besucht habe historisch. Aber mein erster, bei dem ich real dabei war, war 1978 in Freiburg. Ja – da habe ich mit vielen Jugendlichen den Katholikentag gerettet.
    Main: Wie haben Sie das getan?
    Wolf: Die Stimmung war so nach dem Katholikentag in Trier 1970: Da hatte man den Eindruck Katholikentag ist tot. 1968 - der Katholikentag in Essen - war ein großer Knatsch. Dann haben die Bischöfe riesige Angst gehabt: Was passiert da mit den Laien? Die werden aufmüpfig. 1970 hat man das bewusst klein gehalten. Ja, wer kommt jetzt eigentlich noch zu Katholikentagen? Und dann hat sich in Freiburg, als ich da zum ersten Mal hinfuhr, die Stimmung verändert – es war ein Happening. Es gab plötzlich moderne Musik, es war Begegnung, es war bunt, Mutter Teresa war da. Es war alles so ein bisschen – na – deutsches Taizé.
    Joseph Kardinal Ratzinger zusammen mit Mutter Teresa auf dem Katholikentag 1978
    Joseph Kardinal Ratzinger zusammen mit Mutter Teresa auf dem Katholikentag 1978 (picture-alliance/ KNA)
    Main: Wenn wir uns noch weiter zurück versetzen – in die Zeit des ersten Katholikentags, der war 1848 in revolutionären Zeiten, also vor 170 Jahren. Wenn Sie den vergleichen – also Katholikentag 100 mit dem Katholikentag 1 – was unterscheidet sich fundamental?
    Wolf: Also erst einmal waren heute bei dieser Festveranstaltung doch 50 Bischöfe da. Auf dem ersten Katholikentag waren überhaupt keine.
    Main: Das sagt einiges.
    Wolf: Ja, weil es natürlich Laien waren. Es waren Laien, die die von den Bischöfen und dem Papst verurteilten, bürgerlichen Freiheiten, revolutionären Freiheiten, Versammlungsfreiheit, Vereinsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit nützen, um diese verdammten Freiheiten für die Kirche einzusetzen. Und das braucht einen Schuss Ungehorsam gegenüber der Hierarchie, die möglicherweise die Zeichen der Zeit nicht erkennt. Und man würde sich heute mehr von dieser Dynamik wünschen. Das ist doch heute eher viel braver, viel angepasster, viel wohlgesettelter. Ja, man hat sich so ein bisschen eingerichtet.
    Main: Sagt ein Mann, der selbst katholischer Priester ist. Joachim Frank, wie ist es mit dem Ungehorsam in der katholischen Kirche heute?
    Frank: Er ist nicht übermäßig stark ausgeprägt. Ich sehe jetzt in der deutschen Kirche auch keine ganz großen Bruchlinien, die sofort erkennbar wären. Die könnte man aber sehr schnell wieder aufziehen, wenn man etwa über das Frauenpriestertum reden wollte. Der Papst hat jetzt beim Diakonat immerhin mal einen Stein ins Wasser geworfen – in ein ohnehin bewegtes Wasser, aber wenn es vom Papst kommt, ist es offenbar immer noch mal wieder etwas anderes. Und die Laien haben das jetzt hier schon, das ZdK auf seiner Vollversammlung, relativ begeistert aufgegriffen. Das könnte so ein Akzent für die nächsten Tage sein, wo man mal ein bisschen auch wider den Stachel löcken und sagen könnte, das muss jetzt schneller gehen, prüft das nicht alles tot oder macht endlich mal.
    Main: Katholikentag 1 im Vergleich zu Katholikentag 100 - was womöglich schwerer zu beantworten ist: Welche Ähnlichkeiten und Parallelen gibt es?
    Wolf: Er ist immer noch zunächst einmal eine Laienveranstaltung. Es sind immer noch die Laien, die einladen.
    Main: Also Ungeweihte?
    Wolf: Ja.
    Main: So nennen wir Katholiken das.
    Wolf: Okay – vielleicht sagen wir es genauer. Es sind eigentlich keine Laien mehr. Denn heute gibt es in der Kirche gar keine Laien mehr. Weil Laien wären ja solche, die für nicht nichts verstehen, wie wir schwäbisch sagen würden. Und jetzt ist es ja seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil so, das vor 50 Jahren zu Ende ging, das ja beschlossen hat, alle Christ-Gläubigen haben Anteil am dreifachen Amt Christi. Also allgemeines Priestertum. Deshalb gibt es keine Laien mehr – eigentlich.
    Main: Sie hören den Deutschlandfunk, die Sendung "Aus Religion und Gesellschaft" - live vom Katholikentag in Leipzig. Der Leitspruch dieses Großereignisses lautet: "Seht, da ist der Mensch". Herr Frank, ist das Motto ein bisschen schwammig aus Ihrer Sicht - oder lassen sich genau darunter die Herausforderungen subsummieren, die heute anstehen?
    Frank: Solche Motti sind ja immer große Gefäße, in die man möglichst viel hineinschöpfen kann. Ich finde das aber gar nicht so schlecht, weil "Seht da ist der Mensch" öffnet den Blick auf das Humanum, also nicht so eine christliche oder katholische Engführung, sondern auf Humanismus, die Werte, die jetzt zur Debatte stehen und die ja – wie wir in der Flüchtlingskrise gesehen haben – auch durchaus umstritten sind. Also, für wen gilt eigentlich die Menschenwürde? Ist das die Würde aller Deutschen oder ist das die Würde aller Menschen? Und da ist man schon ziemlich mittendrin.
    Main: 1.000 Veranstaltungen gibt es. Das umfasst alles Mögliche: Vom Gottesdienst bis hin zu Popkonzerten. Wer wo hin geht, das entscheidet jeder für sich. Aber jetzt mit Blick auf Relevanz – was ist das, was für Sie besonders spannend wird? Sie haben das Thema Flüchtlinge angeschnitten. Was wird das große Thema werden?
    Frank: Also gesellschaftspolitisch sicherlich die Frage von Flucht und Integration und wie wir das in Deutschland ausbuchstabieren und wie wir weiter mit den zunehmend auseinanderdriftenden Teilen der Gesellschaft umgehen. Innerkirchlich dann die Frage der Ökumene hier im Stammland der Reformation und mit Blick auf das Reformationsjubiläum des nächsten Jahres. Und die Begegnung eben mit Konfessionslosen, mit Ungläubigen, also mit der zunehmend säkularen Gesellschaft: Ist das hier die katholische Karawane, die hier einmal durchrauscht? Oder findet so etwas wie Begegnung, wie Austausch, wie das Aufeinander-Hören und Voneinander-Lernen statt?
    Main: Herr Wolf, Sie haben in diversen Sendungen auch bei uns im Deutschlandfunk eine Re-politisierung des Laien-Katholizismus gefordert – auch der Katholikentage. Besteht umgekehrt nicht die Gefahr, dass die Tagespolitik, die Herr Frank gerade angeschnitten hat alles überschattet, was viele Katholiken vielleicht auch suchen: Spiritualität, Selbstvergewisserung als Christ?
    Wolf: Wer das gegeneinander ausspielt, hat – glaube ich – überhaupt nichts verstanden. Es gibt einen schönen alten Satz, der heißt: "Je politischer wir sein wollen als Christen, desto spiritueller müssen wir sein." Und je spiritueller wir uns geben, desto politischer müssen wir sein. Es geht – glaube ich – gar nicht so sehr um Tagespolitik, nur um so Kurzatmiges, sondern es geht eher darum, sich mal klar zu machen: Wir haben uns zurückgelehnt und gesagt: Unser Staat funktioniert, Europa funktioniert ganz selbstverständlich. Was sehen wir im Moment? Europa funktioniert nicht. Was ist es geworden? Aus einer wunderbaren Idee? Ein Geldverteilungsmechanismus mit Neo-Nationalismen, einer ganzen Menge neuer Nationalismen unter dem Dach von Europa. Und da wird es Zeit, dass man mal einmal die grundsätzlichen Dinge klar macht: Katholiken während der Katholikentage im Kulturkampf – also in der Zeit der heftigen Auseinandersetzung mit dem evangelischen Staat - haben immer noch erkannt, natürlich wollen wir gute Deutsche sein. Aber wir haben noch ein größeres Band – wir sind nämlich katholisch. Und – wie gesagt – Bachem, einer der großen Vertreter der Zentrumspartei, hat 1902 gesagt: "Der Nationalismus ist die Häresie des 20. Jahrhunderts." Stimmt. Ich glaube, der Katholikentag muss dem Staat, muss der europäischen Idee Grundwerte zur Verfügung stellen.
    Main: Es geht also um Werte und nicht um Tagespolitik?
    Wolf: In erster Linie – ja. Aber natürlich werden dann aus diesen Werten, wird konkrete Politik abgeleitet. Aber diese Werte müssen immer wieder neu zur Verfügung gestellt werden. Denn der Verfassungsstaat beruht auf Grundsätzen, die er sich selber nicht schaffen kann.
    Frank: Ja, es geht darum, sich der eigenen Grundlagen, der eigenen Haltungen zu vergewissern und die auch noch mal in Austausch miteinander zu bringen. Es gibt bei diesen ganzen Katholiken- und Kirchentagen so einen berühmten Topos: "Hähäha, das ist immer nur Makramee und Bogenschießen und Keramik und so." Das ist genauso dieser Versuch, uns in so eine Ecke zu drängen, als sei alles beliebig und Gemischtwarenladen, was – wenn man genau guckt – nicht stimmt. Es gibt sehr viele spirituelle Angebote. Also Menschen, die religiöse Orientierung suchen, die finden hier was auf dem Katholikentag. Aber es ist eben auch keine Kuschelgruppe, keine fromme, sondern es wird auch der Blick auf die Gesellschaft und die Politik gerichtet. Und das ist die Weltverantwortung von Christen und von Katholiken. Und das wird versucht hier wahrzunehmen.
    Wolf: Aber ich wünschte mir halt dann doch mehr Kante.
    Frank: Ja, das stimmt.
    Wolf: Das Problem ist ja, es ist dann immer sehr viel, es ist sehr bunt. Natürlich ist das der Pluralisierung des Katholizismus geschuldet. Aber man wünschte sich doch manchmal: warum nicht zu dem einen oder anderen wirklich mal eine ganz klare Aussage? Nicht nur des Zentralkomitees, sondern vielleicht mal eine Resolution des Katholikentags.
    Main: Zu welchen Punkten? Wo klare Kante?
    Wolf: Also, wer sind wirklich die sogenannten Abendlands-Verteidiger? Da stehen Leute auf, da gehen die auf die Straße, verteidigen das Abendland gegen die Invasion der Muslime. Haben die eine Ahnung, was Abendland ist? Haben die jemals in die Heilige Schrift hineingeguckt? Haben die das gemacht? Wirklich? Und wo sind diejenigen Katholiken, die mit denen das Gespräch suchen – offen, offensiv?
    Frank: Ich finde auch, es wäre gar nicht schlecht, wenn man diese Abendlands-Verteidiger auch mal mit Christen konfrontieren würde oder Christen sich mit denen konfrontieren würden, dann könnte man sehr schnell erkennen, wes Geistes Kind die sind und wer auf der richtigen Seite steht.
    Main: Abendlands-Verteidiger – nennen wir mal den konkreten Namen. Es sind drei Buchstaben, an denen wir – glaube ich – nicht vorbeikommen: AfD. An Sie beide die Frage: War es richtig, dass das Zentralkomitee der deutschen Katholiken – das ZdK – keine AfD-Politiker auf Podien eingeladen hat?
    Frank: Ich habe diesen Beschluss sehr skeptisch gesehen - und glaube auch nach wie vor, dass man eine Form hätte finden können, wo man das in guter Weise hätte tun können. Es ist ja eines der Hauptargumente, wenn man das gemacht hätte, hätte man Talkshow, dann hätte man die üblichen Auseinandersetzungen, Schlachten gehabt und das hätte man nicht haben wollen. Ich glaube, das hätte man Formen finden können. Als ich jetzt angekommen bin und so durch die Stadt gegangen bin und immer wieder das Katholikentags-Logo gesehen habe, dann habe ich mich – was die Symbolik betrifft – schon gefragt, ob ich nicht auf ein Verständnis dafür entwickeln könnte, dass das ZdK gesagt hat, wir wollen nicht, dass Frauke Petry unter diesem Katholikentags-Kreuz sitzt wie jeder beliebige andere. Auf der anderen Seite glaube ich, Ausschließeritis hat noch nie gut getan für eine Auseinandersetzung. Man kann nicht Dialogfähigkeit und Dialogbereitschaft als ein Essential des Katholischen vor sich hertragen und dann aber den Dialog über eine Gruppierung führen - aber nicht mit ihr. Das finde ich nach wie vor argumentativ schwierig
    Wolf: Ich habe aber ehrlich gesagt keine Lust, mich über die AfD zu unterhalten. Wir haben – glaube ich nur fünf Minuten. Es gibt wichtigere Themen, als dieses Thema hier hoch zu kochen. Wenn Sie das gerne möchten, können wir das natürlich gerne tun.
    Main: Sie sind eben selbst auf Neo-Nationalismus gekommen.
    Frank: Und wenn man guckt, wo kristallisiert sich das und wo fokussiert sich das drauf, dann ist das nun mal die AfD. Wir wollen Zeitansage sein, wie es der Katholikentag immer sagt. Wir haben jetzt die Situation, dass die in drei Landtagswahlen in dieser Höhe nicht erwartete Erfolge gehabt haben. Und irgendwie hätte man sich da schon gewünscht, dass da eine Auseinandersetzung stattfindet, oder?
    Wolf: Ich bin nicht gegen die Auseinandersetzung. Man hätte auf dem Katholikentag – wie Sie es richtig gesagt haben – ich hätte mir auch gewünscht, dass man versucht mit Argumenten. Da wäre nämlich vielleicht relativ schnell deutlich geworden, wo die Kraft der Argumente liegt und wo es keine Argumente gibt. Aber jetzt in einer Meta-Diskussion drüber zu reden – also jetzt reden wir über die AfD... Ich würde mich dann freuen, wenn hier jemand sitzen würde – Frauke Petry – und dann würden wir mit ihr dann mal reden, mal gucken, wie weit die Abendlands-Verteidigerin dann drauf ist und welche christlichen Werte sie dann verteidigen würde. Das würde ich gerne mit ihr machen. Aber drüber reden finde ich irgendwie nicht so ganz prickelnd.
    Main: Haken wir diese drei Buchstaben ab. Manch ein Beobachter geht ja sogar noch weiter und sagt: Es werden beim Katholikentag vor allem Positionen von Grünen, SPD und CDU abgebildet. Auch konservativ-katholisches Denken, das sich eher beheimatet fühlt bei der CSU oder früher rund um Kardinal Meisner finde kaum Raum im Programm. Sehen Sie das auch so?
    Frank: Nö – sehe ich eigentlich nicht so. Es sind genug CSU-Politiker hier. Der Entwicklungshilfe-Minister ist da. Im ZdK sind eine ganze Reihe von CSU-Politikern vertreten. Und was dieses Spirituelle oder Fromme betrifft, da habe ich schon gesagt – es gibt auch in dieser Richtung sehr viele Angebote. Man muss nur hinschauen und nicht denunzieren oder polemisieren.
    Main: Ausgrenzung, Ausschließeritis haben Sie es eben genannt – wenn man mal in die Geschichte des Katholikentages gucken, wann hat das funktioniert und wann hat das nicht funktioniert?
    Wolf: Zunächst mal muss man klar sagen, dass der Katholikentag 100 Jahre lang in seiner Geschichte eine ziemlich starke Ausschließeritis betrieben hat. Es waren nämlich die papsttreuen Katholiken – also sagen wir die eher rechts orientierten, die den Katholikentag getragen haben. Alle liberalen, alle ökumenisch denkenden, alle, die auf eine Versöhnung von Kirche und Moderne aus waren, alle, die möglicherweise auch eine Zusammenarbeit mit Sozialdemokratie für denkbar gehalten haben, alle die wurden ausgeschlossen. Ganz lange. Und das hat sehr, sehr lang gedauert, bis man gemerkt hat, katholisch-sein heißt das Ganze umfassen. Wenn man nur einen Teil des katholischen Spektrums abbildet, dann ist man nicht katholisch, sondern man wird irgendwie zu einer Sekte. Deshalb hat Ausschließeritis eigentlich lange funktioniert, aber hat eben verhindert, dass die Diskussionen, die da waren in der Gesellschaft und auch innerhalb des Katholizismus auf den Katholikentagen stattgefunden haben.
    Frank: Das war jetzt die historische Expertise. Wenn ich eine mediale Expertise ergänzen darf: Ich bin ja jetzt auch schon auf diversen Katholikentagen gewesen. Das war immer das Allerspannendste zu fragen: Wer darf denn nicht teilnehmen? Wer darf nicht hinkommen? Mit wem redet man nicht? Davon haben "Kirchentag von unten" über Jahrzehnte gelebt, dass sie dann nämlich genau die geholt haben, die auf dem offiziellen Katholikentag nicht auftreten durften. Und das waren diverse – das waren Grüne, das waren Leute wie Küng und Drewermann, der jetzt auch wieder beim Katholikentag von unten dabei ist. Oder Homosexuelle und Kirche – schrecklich, schrecklich, schrecklich, die durften auf dem offiziellen Katholikentag sich nicht präsentieren über viele Jahre, waren aber dadurch für die Medien erst recht wieder interessant.
    Main: Schließen wir jetzt mal ein und nicht aus. Schließen wir die Frauen ein. Frauen als Diakoninnen – das Thema ist schon eben angeklungen – könnte ein Katholikentags-Thema werden, vor dem Hintergrund, dass Papst Franziskus soeben angekündigt hat zu prüfen, ob Frauen zum Diakonat zugelassen werden sollten. Wäre das nicht womöglich das innerkirchliche Thema, das hier angepackt werden müsste?
    Wolf: Eines.
    Main: Eines. Welches noch?
    Wolf: Bei dem würde ich jetzt klar mal sagen: Klares Votum, weil sowohl die Katholikentage als auch das Zentralkomitee auf der Würzburger Synode 1975 haben einen ganz klaren Beschluss dazu gefasst. Also muss man sich nicht auf die Laien, sondern auf die deutsche Kirche stützen. Aber Papst Franziskus hat ja ein wunderbares Schreiben gemacht über das Thema der Wiederverheiratet-Geschiedenen und hat die Kompetenz in die Ortskirchen gelegt. Ich meine: Da hat doch die Stunde geschlagen zu sagen, wie sehen wir als katholische Laien den Umgang mit Menschen, die in ihren Beziehungen gescheitert sind, die vielleicht eine andere sexuelle Orientierung haben. Wie wollen wir haben, dass hier bei uns damit umgegangen wird?
    Main: Sie erhoffen sich also Rückendeckung des deutschen Katholikentags für den Papst?
    Wolf: Nein, der Papst hat die Verantwortung auf die Ortkirchen gelegt. Er hat gesagt: Ihr in Deutschland, Ihr müsst in Eurer Kultur die Lösung finden. Denn natürlich ist der Umgang zum Beispiel mit homosexuell orientierten Menschen in Deutschland ein anderer als in der einen oder anderen afrikanischen Kultur oder in der einen oder anderen osteuropäischen Kultur. Wir haben die Aufgabe hier Lösungen zu finden – der Papst hat es vorgegeben. Es gibt nämlich Normen - und diese Normen müssen angepasst und angewendet werden. Das wäre doch ein Votum zu erwarten, um unsere Bischöfe zu ermutigen und sie zu stärken, hier vernünftige Lösungen im Sinne des Papstes zu finden.
    Main: Gehen Sie damit, Joachim Frank?
    Wolf: Genau. Bei der Frauenfrage, dass da noch mal Dampf in den Kessel kommt, wenn man so will. Auch im Bereich der Wiederverheiratet-Geschiedenen und der Homosexuellen – da hat nämlich – weil Sie das Papstschreiben erwähnen – der Papst vielleicht die größte Lücke gelassen. Und wäre das jetzt nicht auch ein guter Anlass zu sagen: Hier wollen wir weiter gehen! Und da muss auch was passieren aus gesellschaftlichen Gründen und auch aus religiösen Gründen. Das ist eine eminent religiöse, christliche Frage, wie die Kirche sich da aufstellt. Und da sind viele Bischöfe sehr zurückhaltend. Da könnten die auch noch gut einen Push gebrauchen. Da wären wir wieder bei diesem Stachel, den die Laien den Bischöfen ins Fleisch setzen könnten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.