Archiv


100 Milliarden für Banken, aber keine zehn Milliarden für die Natur

Damit die Biosphäre erhalten bleibt, ist Artenschutz ein wichtiges Instrument, sagt Professor Eduard Linsenmair, Biodiversitätsforscher Universität Würzburg. Dass der Artenschwund aber bis 2020 gestoppt werden könnte, hält er für "nicht realistisch".

Eduard Linsenmair im Gespräch mit Theo Geers |
    Theo Geers: Wir bleiben beim Thema Artenschutz, denn so richtig ernst genommen wird der Artenschutz häufig nicht. Anderes ist vermeintlich oft wichtiger. Dabei schütteln wir Deutsche durchaus den Kopf über Länder, die den Regenwald abholzen, weil sie sich wirtschaftlich entwickeln wollen und dabei natürlich unseren Lebensstandard vor Augen haben. Aber wenn bei uns eine Autobahn nicht weiter gebaut werden darf, weil die Strecke vielleicht durch ein Feuchtgebiet führt, in dem seltene Tiere und Pflanzen leben und Umweltschützer deshalb den Bau gerichtlich stoppen lassen, dann müssen sich auch diese Umweltschützer auf einiges gefasst machen. Zwei Beispiele, die zeigen, wie es um den Artenschutz in der Welt steht und welche Probleme es gibt.

    – Vor der Sendung habe ich deshalb mit Professor Eduard Linsenmair gesprochen. Er ist Tropenbiologe und Biodiversitätsforscher an der Universität Würzburg und seit Jahrzehnten ein Vorkämpfer für den Erhalt der Artenvielfalt. Ich fragte ihn: Warum ist Artenschutz eigentlich so wichtig?

    Eduard Linsenmair: Artenschutz ist ein ganz wichtiges Instrument, um letztlich die Funktionsfähigkeit der Biosphäre zu erhalten. Schließlich sind es die Interaktionen zwischen den verschiedenen Organismen, die lokal angepasst sein müssen, die dazu führen, dass wir Stoffkreisläufe haben, dass wir Wasserkreisläufe haben, dass wir Produktivitätsböden haben und all diese Dinge. Man muss sich klar machen, dass ohne Biosphäre ein Leben des Menschen hier vollkommen ausgeschlossen wäre.

    Geers: Das heißt, wenn wir den Schwund von Pflanzen und Tieren so weiter zulassen würden wie bisher, dann sägen wir den Ast ab, auf dem wir sitzen?

    Linsenmair: Ganz genau.

    Geers: Sie waren jetzt ja als Biodiversitätsforscher, Herr Professor Linsenmair, vor allem in Afrika unterwegs. Und Afrika wiederum, das ist dann für viele hierzulande weit weg. Warum ist es denn so wichtig, die Vielfalt von Pflanzen und Tieren auch in Afrika zu erhalten, oder im Regenwald im Amazonas, Regenwald in Südamerika? Geht uns das in Deutschland auch etwas an und gibt es da vielleicht ein Beispiel, dass man das Mal deutlich machen kann?

    Linsenmair: Das geht uns sehr viel an. Man muss sich klar machen, dass zum Beispiel die großen Motoren des Wetters, der Stoffumsätze, der Wasserumsätze in den Tropen liegen. Die Tropenwälder verdunsten ungeheuere Mengen von Wasser, regulieren dabei die Temperatur, versorgen die Atmosphäre mit Wasser und sorgen schließlich für Regenfälle in weiten Bereichen. Und insofern geht uns das sehr viel an. Wenn wir irgendwo tiefer eingreifen, wenn wir zum Beispiel den Amazonas-Regenwald oder den afrikanischen Regenwald komplett eliminieren, würde das drastische Veränderungen des Klimas mit sich bringen, die uns auch unmittelbar betreffen.

    Außerdem ist natürlich die Diversität, die Artendiversität, die Biodiversität Quelle vielfacher Nutzung, denken Sie an Medikamente. 50 Prozent der Medikamente stammen ursprünglich aus Pflanzen, Tieren, Mikroorganismen, mindestens 50 Prozent. Und denken Sie an die ganze Produktivität, landwirtschaftliche Produktivität. All das würde nicht funktionieren ohne vielfache biologische Prozesse, Bodenorganismen, die den Boden fruchtbar machen, ihn auflockern, seine Wasserhaltefähigkeit und Wasserabsorbtionsfähigkeit beeinflussen und so weiter und so weiter.

    Geers: Nun wurde ja vor acht Jahren auf der damaligen Weltnaturschutzkonferenz das Minimalziel formuliert, bis 2010 den Artenschwund abzubremsen. Dieses Ziel – das sagen alle – ist verfehlt worden und jetzt muss ja auf der Konferenz in Nagoya ein neues Ziel für die Zeit bis 2020 formuliert werden. Kann man jetzt einfach sagen, das Ziel für 2010, den Artenschwund zu stoppen, wurde verfehlt, jetzt nehmen wir uns das für 2020 vor?

    Linsenmair: Das Ziel 2010 war ein absolut überambitioniertes. Jeder vernünftige Mensch, der ein bisschen etwas versteht von der Situation, weiß, dass das nicht realistisch ist. Es ist auch nicht realistisch zu sagen, wir schaffen bis 2020 einen Stopp. Aber wir müssen eben versuchen zu bremsen. Und da könnte viel passieren. Aber da müsste natürlich endlich eingesehen werden, dass man nicht nur redet über die Dinge, sondern wirklich handelt. Die artenreichsten Länder sind natürlich die der Tropen, und die sind wirtschaftlich bekanntermaßen im Allgemeinen nicht so besonders gut gestellt. Da müsste Hilfe erfolgen, aber nicht in der Art und Weise, dass wir Billigst-Lebensmittel hinliefern und die Märkte dort ruinieren, sondern dass zum Beispiel eben Nationalparks gefördert werden, dass sehr viel mehr in eine nachhaltige Landnutzung investiert wird. Da gibt es viele Defizite noch und da könnte man vieles verbessern.
    Ein Thema muss man natürlich auch unbedingt ansprechen: Das ist die Bevölkerungsexplosion, letztlich das Grundproblem überhaupt. Wenn man sieht, was in den letzten 50 Jahren passiert ist und jetzt das hochrechnet auf neun Milliarden oder mehr Menschen, dann verzweifelt man eher etwas.

    Geers: Das hört sich etwas ratlos an, Herr Professor Linsenmair. Das heißt, viele Fragen sich auch, wie könnten denn entsprechende Zielvereinbarungen aussehen. Gibt es vielleicht Minimalziele, auf die man sich mindestens in Nagoya verständigen müsste?

    Linsenmair: Ich denke schon, dass es diese Ziele gäbe. Es wäre zum Beispiel eines der Ziele, dass die Schutzgebiete, die auf dem Papier existieren, zu tatsächlichen Schutzgebieten gemacht werden. Dass dafür gesorgt wird, dass wir Methoden der Landnutzung entwickeln, die nicht kollidieren mit dem Schutz der Biodiversität, sondern dass man da versucht, Kompromisse zu finden. Das wird natürlich immer dazu führen, dass wir Arten verlieren, aber man könnte den Artenschwund wesentlich reduzieren. Und ich begreife einfach nicht, warum das Publikum nicht versteht!

    Geers: Braucht es auch mehr Geld? Ich frage das deshalb, weil gerade am vergangenen Donnerstag die EU-Umweltminister getagt haben. Und hinterher fand ich eine Meldung, die da lautete, die EU ist sehr alarmiert über den immensen Verlust vieler Tier- und Pflanzenarten. Aber mehr Geld für den Artenschutz gibt es vorerst nicht, denn die Nachwehen der Wirtschafts- und Finanzkrise ließen das nicht zu. Ist das typisch für unser Denken heutzutage?

    Linsenmair: Ja, das ist absolut typisch für unser Denken. In dem Moment, in dem es wirklich zur Kollision zwischen der Ökonomie und der Ökologie kommt, wird immer die Ökonomie vorgezogen. Man kann ohne Weiteres 100 Milliarden aufbringen, um Banken zu retten; zehn Milliarden, die wir bräuchten, um weltweit Schutzgebiete zu erhalten, die sind offensichtlich nicht aufzutreiben.

    Geers: Hunderte Milliarden für die Banken, aber keine zehn Milliarden für den Naturschutz. Der Tropenbiologe Eduard Linsenmair fordert mehr Geld und vor allem mehr Bewusstsein für den Artenschutz.