Durak: Womit rechnen Sie für die Grünen in Niedersachsen und Hessen?
Sager: Ich gehe davon aus, dass wir uns verbessern werden, in beiden Landtagswahlen.
Durak: Die Umfragen geben Ihnen Recht, Frau Sager. Wie fällt denn nun aber Ihre 100-Tage-Bilanz aus Sicht der Grünen aus, wenn wir vor allem daran denken, dass es möglicherweise eine Denkzettelwahl für Berlin werden soll?
Sager: Wir hatten natürlich aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung zu Anfang einige sehr unbequeme, aber sehr notwendige Entscheidungen zu treffen. Wir mussten den Haushalt konsolidieren, den Haushaltsentwurf 2003 auch auf solide Füße stellen und wir mussten die Beitragssätze zu den sozialen Sicherungssystemen auch stabilisieren. Das war natürlich auch mit Maßnahmen verbunden, wofür es Kritik gegeben hat, aber es hat dazu auch keine echten Alternativen gegeben, weil sonst wäre uns der Haushalt aus dem Ruder gerannt und die Beitragssätze wären deutlich höher ausgefallen. Wir haben aber gleichzeitig auch die Weichen gestellt für die Reformschritte, die wir machen wollen jetzt im nächsten und übernächsten Jahr, und das sind die entscheiden Strukturreformen, die auch von Brüssel erwartet werden, nämlich die Strukturreformen in den sozialen Sicherungssystemen, das heißt bei der Rente, in der Gesundheit und auch in der Pflege. Das heißt aber auch, dass wir die Finanzierung der Kommunen in der Gemeindefinanzreform auf eine andere Grundlage stellen müssen und dass wir Kinderbetreuung und Ganztagsschulen in Deutschland anschieben wollen. Damit haben wir aus meiner Sicht auch zusammen mit der Reform des Arbeitsmarktes durch die Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission doch ganz wesentlich die richtigen Probleme aufgegriffen und die richtigen Weichen fürs Reformjahr 2003 gestellt.
Durak: Frau Sager, alternativlos für die Koalition scheint ja Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement zu sein. Nun hat er mit seinem Jahreswirtschaftsbericht gestern eine Allianz für Erneuerung ausgerufen und dazu aufgerufen, hat einen Neustart mit schmerzhaften Umbaumaßnahmen angekündigt. Die Frage an Sie: wie viel von diesen schmerzhaften Umbaumaßnahmen tragen die Grünen reinen Herzens mit, beispielsweise den Kündigungsschutz lockern, betriebliche Mitbestimmung einschränken und anderes mehr?
Sager: Das kommt jeweils auf die konkreten Vorschläge an. Ich kann sagen: wir selber haben ja Dampf gemacht, dass man runter muss mit den Lohnnebenkosten bei den Beitragssätzen zu den sozialen Sicherungssystemen, weil das für das kleine und mittlere Gewerbe und für die Unternehmen besonders wichtig ist. Bei den anderen Themen, die Sie eben angesprochen haben, gibt es bisher gar keine Festlegung von Seiten des Wirtschaftsministeriums selber. Die Sachen sind in die Diskussion gebracht. Es wird in den Apparaten an Vorlagen gearbeitet. Ich denke wir werden hier zumindest über Flexibilisierung reden müssen. Ich gehe nicht davon aus, dass wir hier von Abschaffung der Regelungen reden müssen, sondern dass wir von Flexibilisierungsregelungen sprechen müssen. Das Ziel, das wir versuchen müssen, durch mehr Flexibilität auch mehr Bewegung in den Arbeitsmarkt zu bringen und Beschäftigungsschwellen bei kleinen und mittleren Unternehmen zu überwinden, das tragen wir mit und die Grünen haben auch selber im Zusammenhang mit der Erleichterung von Selbständigkeit und Unternehmensgründung sehr massiv darauf gedrängt, dass wir auch Flexibilisierung brauchen bei der Handwerksordnung.
Durak: Da wird es ja wohl deutlichen Widerstand vom Handwerk geben, bei anderen vielleicht auch. Nun haben wir heute an diesem Donnerstag schon wieder neue Informationen, wenn sie denn zutreffen, aus dem Wirtschaftsministerium. Dort denkt man darüber nach - das ist zwar nicht neu in der Diskussion, aber nun soll es wohl Hand und Fuß bekommen -, die Arbeitslosenhilfe an den Sozialhilfesatz anzunähern. Zehn Prozent soll er nur noch drüberliegen, so wird überlegt. Das wird auch sicher diskutiert, Frau Sager, aber wäre das ein Vorschlag, der auch die Grünen zu Beifall anleiten könnte?
Sager: Es ist ja so: in den Apparaten wird jetzt alles mögliche erarbeitet und das muss man sich in Ruhe angucken. Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe im Arbeitslosengeld neuen Typus, das ist auch Teil des Kommissionsauftrages der Kommission, die sich mit der Gemeindefinanzreform befasst. Die werden sich sicher auch mit diesen Fragen beschäftigen. Für uns als Grüne ist klar: wir können nicht davon ausgehen, dass wir jetzt die Sozialhilfe für alle Arbeitsfähigen hochheben auf das Niveau einer relativ gut dotierten Arbeitslosenhilfe, sondern wir werden da sicher einen Mittelweg gehen müssen. Wenn es gelingt, diesen Mittelweg zu gehen, dann werden wir den sicher auch mitgehen. Aber sich jetzt auf Zahlen festzulegen, bevor sich die zuständige Kommission mit den Vorschlägen befasst hat, das halte ich für zu verfrüht.
Durak: Prinzipiell aber sind Sie dort diskussionsbereit. So habe ich es herausgehört, Frau Sager. Was ist denn mit folgenden Vorschlägen und Überlegungen, die ja unter die Leute kommen und dann auch diskutiert werden, und die Leute wollen wiederum Antworten haben und können irgendwie nicht warten? Die letzte Stufe der Steuerreform von 2006 auf 2004 vorziehen. Das ganze würde 20 Milliarden Euro bringen, wird diskutiert. Könnten Sie dem etwas abgewinnen?
Sager: Ich halte diese Diskussion für beendet. Wir haben ganz klar gesagt, diese Steuererleichterungen werden kommen. 2004 und 2005 werden sie kommen. Das ist eine ganz gewaltige Absenkung der Einkommensteuersätze. Wir werden das aber nicht vorziehen können, weil uns aufgrund der Maastricht-Kriterien und der Verpflichtungen, für Stabilität zu sorgen, der Weg versperrt ist, solche Steuergeschenke zu finanzieren mit einer erhöhten Verschuldung. Das ist ja der amerikanische Weg, dass man in die Verschuldung geht und über die Verschuldung Steuergeschenke finanziert. Das können wir in Deutschland nicht machen, weil wir hier auch zur Stabilität verpflichtet sind und dort die Kriterien möglichst auch einhalten wollen. Wir könnten also nur den Weg gehen, Steuergeschenke über Steuergeschenke zu finanzieren. Dann müssen wir uns aber fragen, wäre das noch sozial gerecht. Ich sage ganz klar: ich erteile der Diskussion, eine Mehrwertsteuererhöhung vorzunehmen, um bei der Einkommensteuer vorgezogene Geschenke zu erteilen, eine klare Absage, weil das würde bedeuten, dass man bei den Menschen, denen es nicht so gut geht, die Möglichkeit zum Konsum einschneidet, um bei den Menschen, denen es relativ gut geht, die hohen Einkommensteuersätze vorzeitig abzusenken. Das wäre eine Umverteilungsaktion, die sicher nicht sozial gerecht wäre. Sie wäre aber auch Gift für die Wirtschaft, weil die Konsumkraft in einer Zeit abschneiden würde, wo im Moment sowieso wenig konsumiert wird.
Durak: Frau Sager, lassen Sie uns zum Abschluss unseres Gesprächs noch einmal den grünen Blick auf den roten Koalitionspartner werfen. Wie sehen Sie denn die SPD? Befindet sie sich im Augenblick tatsächlich im Richtungsstreit, vor einer Richtungsentscheidung, mit Clement sozusagen an der Spitze, oder doch links, wo das Herz schlägt?
Sager: Aus meiner Sicht hat sich unser Koalitionspartner doch jetzt nach Weihnachten ganz klar berappelt. Die ganzen Diskussionen über die Person des Bundeskanzlers sind vorbei. Man sieht ganz klar: der Bundeskanzler hat sozusagen zu seiner guten Laune zurückgefunden und packt die Probleme an. Er macht auch ganz klare Ansagen, und da spricht er mit Sicherheit für die gesamte Koalition, dass wir die notwendigen Probleme anpacken werden und die notwendigen Strukturreformen anpacken werden. Insofern sehe ich ganz klar: es wird natürlich aus allen Lagern Proteste geben, wenn es um Einzelmaßnahmen geht. An einem Punkt werden die Gewerkschaften protestieren, an einem anderen Punkt werden die Innungen und Kammern protestieren. So ist das ja immer, wenn man Reformen macht. Aber die Koalition insgesamt hat Tritt gefasst und sie bewegt sich in die richtige Richtung, die schwierigen Probleme und Strukturreformen anzugehen. Ob das jetzt bei den Wahlen schon honoriert wird für die SPD, das werden wir abwarten müssen. Ich bin ganz sicher: es wird sich zumindest mittelfristig auszahlen und es wird auch mittelfristig ins Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger hineinrücken, dass diese Koalition alternativlos dasteht, weil sie die Probleme anpackt - die Opposition hat da ja nichts zu bieten -, und weil sie auch in so schwierigen Fragen wie Irak-Politik in die richtige Richtung geht.
Durak: Krista Sager, die Fraktionsvorsitzende im Bundestag von Bündnis 90/Die Grünen. - Schönen Dank Frau Sager für das Gespräch!
Link: Interview als RealAudio