Opfer der mangelhaften Milchhygiene waren vor allem Kinder. In sozialen Brennpunkten wie dem Berliner Bezirk Wedding, wo im Zuge der Industrialisierung besonders viele arme Menschen strandeten, starben Ende des 19. Jahrhunderts noch an die 40 Prozent der Kinder im ersten Lebensjahr. Die Mißstände waren im Prinzip bekannt. Was fehlte, waren einheitliche Gesetze, strenge Kontrollen - und nicht zuletzt der Sachverstand moderner Lebensmittelchemiker.
Auch mit dem ersten Reichsnahrungs- und Genussmittelgesetz, das Kaiser Wilhelm I. am 14. Mai 1879 unterzeichnete, besserte sich die Situation anfangs nur auf dem Papier. Doch immerhin: Acht Jahre nach der Reichsgründung wurden Herstellung und Verkauf von gefälschten und verdorbenen Lebensmitteln zum ersten Mal in ganz Deutschland unter Strafe gestellt. Bei Panschereien mit tödlichen Folgen drohte lebenslanges Zuchthaus. Eine Zeitlang dauerte es allerdings noch, dann wurden die ersten Chemischen Untersuchungsämter gegründet, und mit ihnen kam das ganze Elend ans Tageslicht. In Berlin gab es seit dem Frühjahr 1901 systematische Kontrollen. In einer Chronik der damaligen Ereignisse heißt es, dass im ersten Jahr 36 Prozent von insgesamt 4384 beschlagnahmten Lebensmitteln "beanstandet" worden seien.
Bei Fruchtsäften waren es 58 Prozent, bei Milch 46 Prozent und bei Butter 35,5 Prozent der Proben. Fruchtsäfte waren stark mit Wasser verdünnt und zum Ausgleich künstlich mit Teerfarbstoff gefärbt. Milch war gewässert oder hatte nicht den vorgeschriebenen Fettgehalt und Butter war mit Margarine oder Kokosfett gestreckt oder hatte einen zu hohen Wassergehalt. 44 Prozent der untersuchten Malzbiere enthielten Saccharin anstatt Zucker. In 90 Prozent aller Schabefleischproben, die häufig Ursache von Fleischvergiftungen waren, wurde Natriumsulfat nachgewiesen, das durch Lagerung vergrautem Fleisch ein frisches rotes Aussehen verleihen sollte.
Jetzt wurde energisch durchgegriffen, Betrüger wurden vor Gericht gestellt. Laut Reichsnahrungsmittelgesetz konnte zudem angeordnet werden,
dass die Verurtheilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekannt zu machen sei.
In der Nähe von Geschäften, deren Besitzer verurteilt worden waren, wurden Plakate geklebt und Handzettel verteilt. Auf gleichlautenden Schildern im Schaufenster oder an der Theke las man zum Beispiel:
Bekanntmachung auf Anordnung des Königlichen Amtsgerichts I in Berlin: Der Schlächtermeister Josef Urban, Zinskirchplatz 7, ist wegen Verfälschung von Hack- und Schabefleisch durch schwefligsaures Natron-Präservesalz zu 80 Mark Geldstrafe, im Unvermögensfalle zu 10 Tagen Gefängnis verurteilt worden.
Adolf Juckenack, der unermüdliche Leiter der "Staatlichen Anstalt zur Untersuchung von Nahrungs- und Genussmitteln" in Berlin, hatte oft sechs Gerichtstermine an einem Tag. Aber: die Mühe lohnte sich. Der französische Journalist Jules Huret äußerte sich, nachdem er von 1905 bis 1907 durch Deutschland gereist war, schon ganz begeistert.
In den Fleischerläden werden Sie keinen Schinken finden, der nicht vom Gesundheitsamt gestempelt ist, wo er mikroskopisch untersucht wurde Die Milchkontrolle funktioniert gleichfalls tadellos. Täglich werden von den Inspektoren Milchwagen angehalten, die Milch wird untersucht. Erfüllt sie die vorgeschriebenen Bedingungen nicht, so wird sie einfach weggegossen und der Missetäter zu Protokoll genommen. Milchpanschereien kommen denn auch höchst selten mehr vor.
Kein Wunder, dass der Franzose darauf auch ein bisschen neidisch war:
Nach Paris zurückgekehrt, ist es ein Greuel, die von einer mehr oder weniger dicken Schmutzkruste bedeckten Milchbehälter zu betrachten, die stundenlang auf den Trottoirs dem Straßenstaub und Schmutz jeglicher Art ausgesetzt sind. Und zu bedenken, dass die von den Verkäufern selbst so zugerichtete Milch die einzige Nahrung der Kinder ist, die zu Zehntausenden an diesem Getränk zugrunde gehen!
Ähnlich hatte es früher auch in Deutschland ausgesehen. Sich solche Zustände vor Augen zu führen, kann auch in Zeiten von BSE, Nematoden und Nitrofen ganz heilsam sein. Denn bei aller berechtigten Empörung über heutige Lebensmittelskandale: Verglichen mit den Zuständen von anno dazumal leben wir in geradezu paradiesischen Verhältnissen.
Auch mit dem ersten Reichsnahrungs- und Genussmittelgesetz, das Kaiser Wilhelm I. am 14. Mai 1879 unterzeichnete, besserte sich die Situation anfangs nur auf dem Papier. Doch immerhin: Acht Jahre nach der Reichsgründung wurden Herstellung und Verkauf von gefälschten und verdorbenen Lebensmitteln zum ersten Mal in ganz Deutschland unter Strafe gestellt. Bei Panschereien mit tödlichen Folgen drohte lebenslanges Zuchthaus. Eine Zeitlang dauerte es allerdings noch, dann wurden die ersten Chemischen Untersuchungsämter gegründet, und mit ihnen kam das ganze Elend ans Tageslicht. In Berlin gab es seit dem Frühjahr 1901 systematische Kontrollen. In einer Chronik der damaligen Ereignisse heißt es, dass im ersten Jahr 36 Prozent von insgesamt 4384 beschlagnahmten Lebensmitteln "beanstandet" worden seien.
Bei Fruchtsäften waren es 58 Prozent, bei Milch 46 Prozent und bei Butter 35,5 Prozent der Proben. Fruchtsäfte waren stark mit Wasser verdünnt und zum Ausgleich künstlich mit Teerfarbstoff gefärbt. Milch war gewässert oder hatte nicht den vorgeschriebenen Fettgehalt und Butter war mit Margarine oder Kokosfett gestreckt oder hatte einen zu hohen Wassergehalt. 44 Prozent der untersuchten Malzbiere enthielten Saccharin anstatt Zucker. In 90 Prozent aller Schabefleischproben, die häufig Ursache von Fleischvergiftungen waren, wurde Natriumsulfat nachgewiesen, das durch Lagerung vergrautem Fleisch ein frisches rotes Aussehen verleihen sollte.
Jetzt wurde energisch durchgegriffen, Betrüger wurden vor Gericht gestellt. Laut Reichsnahrungsmittelgesetz konnte zudem angeordnet werden,
dass die Verurtheilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekannt zu machen sei.
In der Nähe von Geschäften, deren Besitzer verurteilt worden waren, wurden Plakate geklebt und Handzettel verteilt. Auf gleichlautenden Schildern im Schaufenster oder an der Theke las man zum Beispiel:
Bekanntmachung auf Anordnung des Königlichen Amtsgerichts I in Berlin: Der Schlächtermeister Josef Urban, Zinskirchplatz 7, ist wegen Verfälschung von Hack- und Schabefleisch durch schwefligsaures Natron-Präservesalz zu 80 Mark Geldstrafe, im Unvermögensfalle zu 10 Tagen Gefängnis verurteilt worden.
Adolf Juckenack, der unermüdliche Leiter der "Staatlichen Anstalt zur Untersuchung von Nahrungs- und Genussmitteln" in Berlin, hatte oft sechs Gerichtstermine an einem Tag. Aber: die Mühe lohnte sich. Der französische Journalist Jules Huret äußerte sich, nachdem er von 1905 bis 1907 durch Deutschland gereist war, schon ganz begeistert.
In den Fleischerläden werden Sie keinen Schinken finden, der nicht vom Gesundheitsamt gestempelt ist, wo er mikroskopisch untersucht wurde Die Milchkontrolle funktioniert gleichfalls tadellos. Täglich werden von den Inspektoren Milchwagen angehalten, die Milch wird untersucht. Erfüllt sie die vorgeschriebenen Bedingungen nicht, so wird sie einfach weggegossen und der Missetäter zu Protokoll genommen. Milchpanschereien kommen denn auch höchst selten mehr vor.
Kein Wunder, dass der Franzose darauf auch ein bisschen neidisch war:
Nach Paris zurückgekehrt, ist es ein Greuel, die von einer mehr oder weniger dicken Schmutzkruste bedeckten Milchbehälter zu betrachten, die stundenlang auf den Trottoirs dem Straßenstaub und Schmutz jeglicher Art ausgesetzt sind. Und zu bedenken, dass die von den Verkäufern selbst so zugerichtete Milch die einzige Nahrung der Kinder ist, die zu Zehntausenden an diesem Getränk zugrunde gehen!
Ähnlich hatte es früher auch in Deutschland ausgesehen. Sich solche Zustände vor Augen zu führen, kann auch in Zeiten von BSE, Nematoden und Nitrofen ganz heilsam sein. Denn bei aller berechtigten Empörung über heutige Lebensmittelskandale: Verglichen mit den Zuständen von anno dazumal leben wir in geradezu paradiesischen Verhältnissen.