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15.03.1829 - Vor 175 Jahren

Wie man eine brennfähige Substanz mit einem Funken Feuer anstecken und zum Brennen bringen kann, so wird ein diphtherie-empfängliches Kind durch Spuren von diphtherischen Ansteckungsstoffen angesteckt und es entwickelt sich bei ihm ein Prozess, der einhergeht mit der Produktion einer solchen Menge des gleichen Ansteckungsstoffes, dass unter geeigneten Bedingungen unzählige Individuen von demselben ergriffen werden. Der diphtherische Krankheitsprozess wird dann zu einer verheerenden Volkskrankheit, die nicht unähnlich verläuft einem Waldbrand, bei welchem das trockene Unterholz durch einen Funken ins Brennen gerät und auf weite Strecken eingeäschert wird.

Von Kay Müllges | 15.03.2004
    So charakterisierte Emil Adolph von Behring die tödliche Seuche Diphtherie. Das Löschen dieses Waldbrandes wurde sein Lebenswerk und machte ihn steinreich und weltberühmt. Etwas das dem jungen Emil Adolph keineswegs in die Wiege gelegt war, wie Kornelia Grundmann vom Behring-Archiv an der Universität Marburg weiß:

    Er war aus sehr einfachen Verhältnissen. Sein Vater war Dorfschullehrer in Westpreußen und die Familie hatte insgesamt dreizehn Kinder. Er war das fünfte Kind von der zweiten Frau seines Vaters und hatte also so viele Geschwister, dass ein Studium eigentlich überhaupt nicht finanzierbar war. Er ist aber in der Schule schon aufgefallen durch sehr gute Leistungen und hat dann ein Stipendium bekommen und konnte dann auf der Militärakademie in Berlin Medizin studieren, musste sich aber verpflichten einige Zeit, wie heute auch bei der Bundeswehr, beim Militär zu bleiben und hat dann lange als Militärarzt gedient.

    Noch als Stabsarzt wurde Behring 1890 an das berühmte Institut für Infektionskrankheiten von Robert Koch berufen. Gerade hatte man entdeckt, dass der Auslöser einer Diphtherieinfektion nicht das Bakterium selbst, sondern ein von ihm produziertes Gift war. Behring fiel bei Tierversuchen auf, dass in der Blutflüssigkeit, dem Serum, von an Diphtherie erkrankten Tieren ein Antitoxin entsteht, dass den Erreger neutralisieren kann. Kornelia Grundmann:

    Man hat also diese Kaninchen so immunisiert, das sie zwar krank wurden, aber nicht daran starben. Und diese Kaninchen entwickelten dann im Blut, im Serum, so genannte Antitoxine, heute würde man sagen Antikörper, und dieses Serum wurde dann an Diphtherie erkrankten Tieren gegeben und so konnten sich Toxin und Antitoxin zu einem Komplex verbinden und dieses Toxin wurde dadurch ausgeschaltet und die Tiere wurden wieder gesund.

    Welchen Schrecken die Diphtherie damals verbreitete ist für uns heute, dank Behrings Entdeckung, kaum noch nachzuvollziehen. Doch eine nüchterne Zahl kann ihn vielleicht verdeutlichen: vor Einführung der Serumtherapie starben in Deutschland jährlich 50. - 60.000 Kinder qualvoll an dieser Krankheit! So nimmt es nicht Wunder, dass Behring in der zeitgenössischen Presse als "Retter der Kinder" gefeiert und mit zahlreichen Ehrungen überhäuft wurde. 1901 wurde er sogar in den erblichen Adelstand erhoben und im selben Jahr erhielt er den erstmals verliehenen Nobelpreis für Medizin. Um akademische Weihen allerdings musste er kämpfen. 1895 wurde er nach langen Auseinandersetzungen gegen den ausdrücklichen Willen der Fakultät erst per Erlass des preußischen Kultusministers zum Professor für Hygiene an der Universität Marburg ernannt:

    In Marburg hat er sich am Anfang nicht sehr beliebt gemacht, denn er war kein großer Hochschullehrer. Die Lehre lag ihm weniger, er hat dann sehr schnell seinen Mitarbeiter Wernicke aus Berlin nachgeholt, der dann die Vorlesungen übernahm. Er hat ihm dafür sein Hochschullehrergehalt zum Teil abgetreten, das hatte er nicht mehr nötig, denn er hat so viel verdient, dass er als Unternehmer genügend hatte.

    In seinen Marburger Jahren wurde Behring zum Prototyp einer damals wie heute eher seltenen Spezies - des Professorenunternehmers. Produktion und Vermarktung seines Heilserums gegen Diphtherie betrieb er zunächst gemeinsam mit der Firma Hoechst, fasste aber schon früh den Plan seine eigene Fabrik zu gründen. Als Professor für Hygiene war er Mitglied der Marburger Stadtverwaltung, zwar ehrenamtlich aber keineswegs ganz uneigennützig, denn die genaue Kenntnis der Kommunalpolitik erlaubte ihm lukrative Grundstücksgeschäfte. 1904 schließlich war es dann soweit, vor allem mit dem Geld aus dem Nobelpreis, nach heutiger Währung immerhin etwa eine Million Euro, gründete er die nach ihm benannte Fabrik und stellte dort in großem Maßstab Diphtherieheilserum, und nach Ausbruch des ersten Weltkrieges, Tetanusserum, her. Am 31. März 1917 starb Emil Adolph von Behring. Beigesetzt ist er, in einem von ihm selbst geplanten, prächtigen Mausoleum auf der Elisenhöhe über der Stadt.