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15 Jahre 11. September
US-Botschafter Emerson: 9/11 hat Amerika verändert

"Für meine Generation ist 9/11 das, was für die Generation meiner Eltern Pearl Harbor war", sagte US-Botschafter John B. Emerson im DLF. Nach dem Anschlag habe die Regierung auch Fehler gemacht. Eine der schlimmsten Reaktionen auf den Terrorismus sei es gewesen, Individuen zu foltern und Menschen wahllos festzuhalten.

John B. Emerson im Gespräch mit Klaus Remme | 11.09.2016
    Der US-Botschafter in Berlin, John B. Emerson.
    Emerson: "Pearl Harbor und 9/11 waren beide eine Art Weckruf." (dpa / Picture Alliance / Uwe Zucchi)
    Hier können Sie das Interview mit John B. Emerson auch in der englischen Originalfassung hören.
    Klaus Remme: Herr Botschafter, 15 Jahre sind seit diesem tragischen Tag vergangen, wo waren Sie damals, was erinnern Sie?
    John B. Emerson: Ich war damals in Los Angeles, hatte einen Flug mit United Airlines von Los Angeles nach New York gebucht. Etwa um 6 Uhr morgens schrillte der Wecker, ich hörte im Radio den Ansager sagen: 'Beim ersten Flugzeug glaubten wir, es handele sich vielleicht um einen Fehler, als das zweite Flugzeug einschlug, wussten wir, es liegt ein Terroranschlag vor.' Der Zeuge berichtete dann: 'Ja, ich sehe die Rauchwolken aus den Zwillingstürmen aufsteigen.' Meine Frau und ich wir sprangen aus dem Bett und verfolgten das Übrige dann in den Fernsehnachrichten. Selbstverständlich fiel mein Flug nach New York aus.
    Remme: Sie haben drei Töchter, erinnern die sich?
    Emerson: Sie haben durchaus Erinnerungen. Das ältere Mädchen war sieben, unsere Zwillinge waren fünf Jahre alt. Der Unterricht fiel damals natürlich aus. Wir verbrachten mit Gesprächen den Tag zu Hause. Am Abend gingen wir in einen dieser vielen spontanen Gottesdienste. Ich saß in der Kirchenbank, die jüngeren wussten nicht, worum es eigentlich ging, aber Jackie, unsere Ältere, malte während der Predigt des Priesters eine Zeichnung, wo ein Flugzeug in ein großes Gebäude einschlug, schrieb darunter "traurig" und Tränen rannen über das Gesicht eines Engels. Und ich selbst musste weinen, wie ich ganz offen gestehe, als ich das sah.
    Remme: Wie oft denken Sie heute an den Tag zurück?
    Emerson: Ich denke nicht all zu oft an den 11. September zurück. Selbstverständlich an Jahrestagen, so wie diesem hier. Das ist ja auch eine Hauptaufgabe von Jahrestagen: Sie lassen einen innehalten und nachdenken.
    Remme: Es gibt inzwischen Gedenkstätten in New York, in Washington, in Pennsylvania, bald wird es erwachsene Wähler geben, die keine persönlichen Erinnerungen an den Tag haben. Ist das eine Herausforderung?
    Emerson: Ich glaube, der 11. September ist für meine Generation etwa das, was für die Generation meiner Eltern Pearl Harbor war. Als ich jung war, sprachen meine Eltern immer von Pearl Harbor. Mir war schon klar, intellektuell, was das bedeutet, aber ich begriff es zu innerst nicht. Ich glaube, ähnlich wird es auch mit diesem Ereignis sein für die jungen Menschen, die heute aufwachsen. Vielleicht mit dem kleinen Unterschied, dass diese Videos von dem Ereignis so omnipräsent sind, dass für die heutige junge Generation dieses Ereignis wohl etwas wirklicher erscheinen wird als für uns Pearl Harbor damals war, die wir dieses Ereignis nur aus schwarz-weiß Fotografien kannten.
    "Die Untersuchungskommission zum 11. September hat gute Arbeit geleistet"
    Remme: Nach 15 Jahren und endlosen Untersuchungen gibt es noch immer diejenigen, die Antworten vermissen. Es ist einfach, die als Verschwörungstheoretiker hinzustellen, aber gibt es nicht in der Tat noch offene Fragen?
    Emerson: Ich glaube, die Untersuchungskommission zum 11. September hat gute Arbeit geleistet , die Ermittlungen ebenfalls. Es ist nicht so wie bei der Ermordung John F. Kennedys, wo trotz der gründlichen Aufklärung durch die Warren-Kommission viele Fragen offengeblieben sind. Selbstverständlich, manche stellen noch heute Fragen zum 11. September, aber für die aufgeklärten Zeitgenossen ist doch ziemlich klar, was geschehen ist und wie es sich abgespielt hat. Ein bedeutsamer Wandel, der da zu verzeichnen ist, ist ein anderer Ansatz in unserer Regierung, insbesondere, was die Geheimdienste und die Justiz und Polizei angeht. Gerade im Ergebnis dieser Ermittlungsarbeit der Kommission zum 11. September hat sich einiges geändert.
    Remme: Als Botschafter besuchen Sie hierzulande sicher Schulen. Die Kinder und Jugendlichen sehen was im Internet, sie stellen Fragen. Nehmen Sie das ernst?
    Emerson: Ich nehme alle Fragen ernst, insbesondere, wenn sie von Kindern gestellt werden. Aber ich versuche Ihnen auch zu erklären, dass man nicht alles für bare Münze nehmen sollte, was im Internet zu finden ist. Ich lehne keine Frage ab. Wenn aber allzu abwegige Fragen kommen, dann versuche ich den Kindern zu vermitteln, dass es so wichtig ist, kritisch zu hinterfragen, aus welchen Quellen man seine Kenntnisse bezieht, ob das wirklich aufgeklärte, verlässliche Informationen sind oder ob jemand nur vor sich hin fantasiert. Und ich glaube, wir verlieren mehr und mehr diesen kritischen Ansatz, je mehr die Menschen sich wahllos ihre Informationen aus den sozialen Medien oder dem Internet holen. Und ich glaube, umso wichtiger ist es, diesen Unterschied zu kennen, dass eben die Kinder merken: Man muss filtern. Man kann nicht einfach alles so annehmen aus dieser ungefilterten Masse, sondern man muss es mehr so machen wie hier zum Beispiel, in dieser Rundfunkanstalt, dass man genau überprüft, welche Quellen kommen und ob die Informationen, die man da hat, wirklich zutreffen.
    Remme: Sie haben Pearl Harbor erwähnt. Ein, zwei Stunden nach dem Einschlag der Flugzeuge damals, bezog sich unser damaliger Korrespondent auf eben Pearl Harbor als Referenz. Wie ordnen Sie den 11. September historisch ein?
    Emerson: Ich würde die beiden nicht vergleichen. Das sind beides sehr bedeutende Ereignisse in der amerikanischen Geschichte. Nun, das Verrückte ist ja bei Pearl Harbor, da sagte Franklin Delano Roosevelt: 'Dieser 7. Dezember wird als Tag der Schmach in die Geschichte eingehen' und jetzt ist es eben so, dass genau der 11. September als besonderes Datum verankert ist. Ich glaube, beide Ereignisse waren so eine Art Weckruf. Damals waren die Amerikaner ein bisschen schlafmützig geworden oder selbstgenügsam. Sie sagten: 'Ach, wir wollen uns nicht einlassen mit diesem Krieg, wir sind gerade erst aus dem Ersten Weltkrieg herausgekommen, das ist der Krieg der Japaner, der Deutschen, wir wollen damit nichts zu tun haben.' Und so ähnlich war es auch damals dann. Nach einer Periode des relativ langen Friedens, nachdem die Mauer in Berlin gefallen war, nachdem diese technologische Revolution, die Internetrevolution eingesetzt hatte, hatte sich ein Wohlbehagen ausgebreitet. Und dieser Anschlag kam als ein echter Schock.
    "9/11 führte zu einer Umstrukturierung der Geheimdienste"
    Remme: Wir schauen gleich auf die Außenpolitik. Aber vorher die Frage: Hat 9/11 die USA dauerhaft verändert und wenn ja, zum Guten oder zum Schlechten?
    Emerson: Ich würde hier nicht von einem dramatischen Wandel sprechen, aber es sind allmähliche Veränderungen eingetreten. Erstens, wie schon erwähnt, uns wurde klar: Wir Amerikaner müssen uns mehr um die Welt um uns herum kümmern. Zweitens, ganz eindeutig hatten die Nachrichtendienste, die Geheimdienste versagt, weil sie sich zu stark voneinander abgeschottet hatten und einander ihre Erkenntnisse nicht mitgeteilt hatten. Die verschiedenen Puzzleteile waren nicht zusammengefügt worden. Hätte man das gemacht, dann hätte man den 11. September verhindern können oder voraussehen und verhindern können. Das hat dann tatsächlich zu einer Umstrukturierung der Geheimdienste geführt. Und auch die Arbeit als solche wurde verändert und auch die Mittelausstattung wurde verändert. Wir sind in Folge dessen dann in zwei Kriege hineingegangen, den Afghanistankrieg und den Irakkrieg. Ganz sicher war der Afghanistankrieg eine direkte Folge dieses Anschlages.
    Remme: Kommen wir gleich drauf. Bleiben wir noch bei der Innenpolitik. Einer Umfrage des PEW-Institutes zu Folge glauben 59 Prozent der Amerikaner, Muslime werden stark diskriminiert, 76 Prozent sagen, diese Diskriminierung wird stärker. Was sagt Ihnen das?
    Emerson: Nun, bis zum 11. September hatten wir als großen Anschlag diesen Anschlag von Oklahoma City gehabt. Das war ein Täter, der in unserem Land aufgewachsen war. Der Terroranschlag vom 11. September war von einer ganz anderen Art. Und dann änderte sich auch die Einstellung. Es gab tatsächlich Diskriminierung und auch gewalttätige Übergriffe gegenüber Muslimen und auch gegenüber Sikhs, die, weil sie Turbanträger sind, auch für Muslime gehalten wurden.
    Remme: Aber das ist eine aktuelle Umfrage.
    Emerson: Nein, nein, ich sprach ja von der Zeit bis zum 11. September. Danach hat dann die Regierung, also insbesondere Präsident Bush, schnell klargestellt, dass nicht die Muslime unsere Feinde sind, sondern die Terroristen. Und er hat davor gewarnt, diese beiden Kategorien zu vermengen. Präsident Obama hat diesen Argumentationsstrang fortgeführt. Und ich glaube, dass die Umfragen von 2007 bis 2012 dann wirklich sehr viel niedrigere Ergebnisse gezeigt hätten. Jetzt haben wir etwas Neues mit dem sogenannten "Islamischen Staat" mit Terroristen, die nach Europa ausstreuen und auch nach Amerika kommen. Mit diesen Einzeltätern, von denen wir einige gesehen haben, da sind jetzt sicherlich dann die Werte wieder nach oben gegangen. Ganz offen gestanden glaube ich, ein Teil der Unterstützung für Donald Trump in den Vorwahlen kommt auch aus diesem Effekt, aus diesen neuen Anschlägen.
    Remme: Wir erinnern die Kairo-Rede von Präsident Obama. Ist es nicht überraschend, dass er mit seinen Wurzeln, seiner Biografie, nichts am Ruf der USA, vor allem im Mittleren Osten, ändern konnte?
    Emerson: Nun, es ist nicht so sehr, dass er nicht im Stande gewesen wäre, das Ansehen des Landes zu verändern. Er war nicht im Stande, diese seit mehr als 2.000 Jahren sich hinziehenden Konflikte in dieser Weltgegend einzudämmen. Und viele dieser Länder sind ja autoritär regiert, da hatte sich immer etwas aufgestaut in diesen Ländern des Nahen Ostens, die Menschen waren unterdrückt worden. Im Arabischen Frühling hatte sich dieser gewaltige Druck in dem Dampfkessel gewissermaßen entladen, als der Deckel weggeflogen war. Und diese Dynamik, die ist eben so stark, dass sie jede gute Rede noch überwältigt.
    Remme: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, wir sprechen mit John Emerson, dem amerikanischen Botschafter in Deutschland. Herr Botschafter, bitte ganz kurze Reaktionen auf Begriffe, die in den letzten 15 Jahren immer wieder aufkamen. Krieg gegen den Terror.
    Emerson: Das war sicherlich so etwas wie die umfassende pauschale Formulierung für die gesamte Politik als Reaktion der Vereinigten Staaten auf die Anschläge vom 11. September.
    Remme: Mission accomplished.
    Emerson: Das war ein Fehler.
    Remme: Waterboarding.
    Emerson: Das war ein Fehler. Und Präsident Obama hat es ja auch verboten. Man hat auch erkannt, das Schlimmste, was man als Reaktion auf den Terrorismus überhaupt tun kann ist, dass man jetzt Individuen foltert, dass man Menschen wahllos festhält, dass man Dinge macht, die einfach nicht vereinbar sind mit den amerikanischen oder westlichen Werten.
    Remme: Und letztlich Guantanamo.
    Emerson: Dafür gilt dasselbe. Präsident Obama hat zu Beginn seiner Amtszeit versprochen, das Lager zu schließen. Präsident Bush hatte ja gegen Ende seiner Amtszeit damit begonnen. Und die Hoffnung von Präsident Obama ist weiterhin, dass er bis zum Ende seiner Amtszeit das Lager schließen kann.
    Remme: Sie sind näher dran – wird Obama das Lager noch schließen können?
    Emerson: Das war alles andere als leicht, der Kongress hat sich ihm ja in den Weg gestellt. Die Zahlen der Häftlinge in Guantanamo sind aber schon wirklich zurückgegangen. Ich möchte jetzt die Wahrscheinlichkeit, ob das gelingt, nicht mit 50 oder 70 Prozent beziffern.
    Remme: 15 Jahre nach 9/11 herrscht in Afghanistan Chaos, nach Al-Kaida kam IS. Was ist schiefgelaufen?
    Emerson: Das, was schiefgelaufen ist, begann ja schon vor dem 11. September. Da gibt es ganz viel zu erwähnen. Etwa die Art, wie zu Ende des Ersten Weltkrieges die Grenzen im Nahen Osten gezogen wurden, dann die Unterdrückung durch viele autoritäre Regime in den Staaten, was bei den Menschen zu Groll und Hoffnungslosigkeit führt. Der Westen hat sicherlich in seinen außenpolitischen Ansätzen da Fehler begangen.
    "Man muss eine Konzeption für die Zeit nach dem Sieg haben"
    Remme: "Der Westen", also Bush/Cheney?
    Emerson: "Der Westen" ist im Wesentlichen die Vereinigten Staaten und Westeuropa und die Werte, wofür wir stehen. Und wir können uns auch den Irakkrieg anschauen, wir können uns den Krieg von Präsident Assad gegen sein eigenes Volk unter dem Einsatz von Chemiewaffen ansehen, dann auch die Entscheidung des irakischen Präsidenten Maliki, gegen den Ratschlag von Präsident Obama, eine Übergangsregierung einzusetzen, die keine Koalitionsregierung war, sondern die die Sunniten ausschloss. Also, es gibt jede Menge Fehler. Aber das Entscheidende ist, dieser Grundkonflikt, der dauert schon 1.600 Jahre, das ist eben der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Und der scheint jetzt auch wieder auf, in dem was wir heute sehen, im Aufkommen des Islamischen Staates.
    Remme: Sie haben den Irakkrieg erwähnt, die umstrittenste Entscheidung. Was hat man daraus gelernt?
    Emerson: Die erste Lehre, die man ziehen kann, man muss erstmal die Tatsachen feststellen, ehe man Truppen entsendet. Zweitens – und Obama war sehr gut darin, man ist immer besser beraten, wenn man in Koalitionen mit den Verbündeten vorgeht. Und das hat er auch erfolgreich gemacht. Diesen Ansatz verfolgen wir auch in der Bekämpfung des sogenannten "Islamischen Staates". Wir haben das getan und tun es im Krieg in Afghanistan. Und Drittens, man muss eine Konzeption für die Zeit nach dem Sieg haben.
    Klau Remme: Wenn das stimmt, dann ist es ja fast ironisch, dass Obama jetzt sagt, sein größter Fehler war, in Libyen nicht über die Zeit nach Gaddafi nachgedacht zu haben.
    John B. Emerson: Ja, genauso ist es. Und hier hat sich diese alte Einsicht wieder einmal bestätigt, kein Zweifel.
    Deutschland und die USA - "eine Beziehung mit Höhen und Tiefen"
    Remme: Der Krieg im Irak führte zu einem Tiefpunkt der bilateralen Beziehungen. Die letzten 15 Jahren waren diesbezüglich eine Achterbahnfahrt: Erst Solidarität mit 9/11, dann der Irakkrieg, dann die Begeisterung für Obama, dann der NSA-Skandal. Wo stehen wir heute?
    Emerson: Zunächst einmal möchte ich herausheben wie erfreut und befriedigt alle Amerikaner über dieses überwältigende Maß an Unterstützung waren, welches Deutschland sofort nach dem 11. September gezeigt hat, die Tatsache, dass Kanzler Schröder sofort von "bedingungslos an der Seite Amerikas" gesprochen hat oder die Tatsache, dass mehr als 250.000 Menschen mit Kerzen in der Hand am Brandenburger Tor ihre Solidarität bekundeten. Aber ja, es ist eine Beziehung mit Höhen und Tiefen, wie es oft bei Beziehungen der Fall ist. Ich habe ja mein Amt in einer besonders heiklen Phase angetreten, acht Wochen bevor die Sache mit dem Abhören des Handys der Kanzlerin ans Tageslicht kam. Und man fragte mich danach: 'Ja, was tust du jetzt, um die Beziehung wieder aufzubauen?' Und ich habe gesagt: 'Wie bei jeder Beziehung wollen wir das Vertrauen wiederherstellen.' Erstens, indem wir das Verhalten ändern. Präsident Obama ist unvergleichlich tatkräftig vorangegangen bei der Reform der Geheimdienste. Er hat mehr geleistet als irgendein anderer führende Politiker auf dieser Welt, einschließlich derjenigen, die heute noch im Amt sind. Zweitens, durch enge Zusammenarbeit. Wenn wir überlegen, wie grundlegend die enge Abstimmung zwischen Deutschland und den USA ist, etwa in Afghanistan oder bei der Bewältigung dieser Krise, die ausgelöst wurde durch Russland, als es in die Ukraine einmarschierte und die Krim widerrechtlich annektierte. Oder auch der Beitrag der Kanzlerin bei der Umsetzung des Minsker Abkommens. Oder die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrors in Europa, bei der Eindämmung der Ebola-Krise. Diese gute Zusammenarbeit, die wir jetzt haben oder nehmen Sie die engen wirtschaftlichen Beziehungen.
    "Rassismus ist unsere große Erbsünde"
    Remme: Das ist die positive Liste. Hier ist die negative: Starker Widerstand gegen TTIP, wir sehen Rassismus in den USA, wir schütteln den Kopf angesichts der Schießereien und den fehlenden Waffengesetzen. Sind die gemeinsamen Werte nicht doch in Gefahr?
    Emerson: Überhaupt nicht. Nehmen Sie TTIP, auch bei uns ist das eine umstrittene Sache und wir müssen uns dem auch stellen. Und ich sage da, es gibt viele Menschen, die sich durch diese Globalisierung an den Rand gedrängt fühlen, die sind durcheinander, die wissen nicht, was sie damit machen sollen und sie suchen etwas, woran sie sich festhalten können. Ich sage aber, wenn wir das gut erklären, dann kann ein gut verhandeltes Handelsabkommen auch eine Möglichkeit sein, Globalisierung zu bewältigen. Und in beiden Ländern haben wir es nicht vermocht, Sinn und Zweck dieses Abkommens genügend zu erklären. Was den Rassismus angeht: Ja, das ist nun wirklich unsere große Erbsünde, so wie Antisemitismus die Erbsünde Deutschlands ist. Und wir müssen hier wirklich dieses Thema immer wieder ansprechen. Aber allein schon die Tatsache, dass wir einen Präsidenten des Namens Barack Hussein Obama haben, der zweimal ins Amt gewählt wurde und der mit höchsten Zustimmungsraten jetzt seine zweite Amtszeit beendet, bedeutet, dass wir das Thema wirklich anpacken und bewältigen. Was das Waffenrecht angeht, so bin ich vollkommen auf Ihrer Seite. Das ist aber nicht so sehr eine Widerspiegelung unserer amerikanischen Werte als vielmehr ein Beweis für die besondere Macht einer bestimmten Interessengruppe in der amerikanischen Politik.
    Remme: Unser letztes Thema: Der Wahlkampf. Nichts regt uns mehr auf als Donald Trump. Sie haben früh gesagt: 'Nehmt den Mann ernst'. Wie außergewöhnlich ist dieser Wahlkampf?
    Emerson: Seit 1980 war ich wirklich zu innerst an allen Präsidentenwahlkämpfen beteiligt. Dieser Wahlkampf ist wirklich der außergewöhnlichste und der wirklich abgefahrenste, den ich in meinem ganzen Leben erlebt habe. Donald Trump hat so viele krasse Dinge vom Stapel gelassen, dass in jedem normalen Wahlkampf der Wahlkampf sofort beendet wäre. Aber ein Teil seines Erfolges – und er kommt ja immer wieder zurück – liegt wohl darin, dass er sich auf diesen Zorn und diese Perspektivlosigkeit eines Teils der Bevölkerung stützen kann. Außerdem hat er sich in einer Schar von 17 Kandidaten bei den Republikanern durchgesetzt. Üblicherweise setzt sich einer auf der rechten Seite der Republikaner durch und auf der anderen Seite gibt es einen Kandidaten des Establishments, der dann in der Regel auch die Nominierung gewinnt. So war es früher auch, denken Sie an Romney, McCain, Bush, Dole und wieder Bush. Hier aber hat Trump das Rennen gemacht. Er kam als Außenseiter und er hat wirklich extreme Dinge gesagt zu Beginn seiner Kampagne, insbesondere zum Problem der Einwanderung. Er hat damit eben all die Stimmen auf der rechten Seite republikanischen Spektrums auf sich vereinigt – nicht 50 Prozent, aber 20 Prozent doch immerhin – und das reichte bei 17 Kandidaten doch aus, um die ersten Vorentscheide und die ersten Vorwahlen zu gewinnen. Und jetzt ist er da und hat die Nominierung gewonnen.
    Die anstehende Präsidentschaftswahl - "Das Rennen ist total offen"
    Remme: Ist die Krise der Republikanischen Partei existenziell?
    Emerson: Nun, wir warten mal den Ausgang der Wahl ab. Wenn es eine sehr eindeutige Entscheidung gibt in der einen oder anderen Richtung, dann wird es keine existenzielle Krise sein. Wenn es aber ein knappes Rennen ist, dann könnte es zu einer existenziellen Krise kommen.
    Remme: Dann halten Sie also das Wahlergebnis für offen?
    Emerson: Das Rennen ist total offen. Wenn man die Nominierung bei einer großen Partei gewinnt, dann hat man auch eine Chance, Präsident zu werden. Aber ich sage auch, wenn Trump wirklich gewinnt, werden die Demokraten auch sehr genau in sich hineinhören müssen.
    Remme: Letzte Frage. Eine rationale Debatte zwischen Clinton und Trump ist schwer vorstellbar, die politische Auseinandersetzung wird seit Jahren giftiger. Wo liegen die Wurzeln dafür? In der Obama Wahl oder gar bei 9/11?
    Emerson: Nein, diese Kluft lässt ich sehr viel weiter zurückverfolgen, denken Sie an William James Bryan um die Jahrhundertwende oder Wendell Willkie von den Republikanern, der damals gegen Roosevelt antrat. Die haben sehr populistische Wahlkämpfe geführt. Oder denken Sie an George Wallace, der 1968 antrat, als Nixon mit großer Mühe Humphrey schlug. Das waren wirklich ausgesprochen populistische Wahlkämpfe. Es ist eine Dynamik, die man immer wieder sieht in der amerikanischen Politik, aber es ist auch ein Problem, dass man in allen Ländern immer wieder vorfindet, nämlich die Frage: Reagiert das politische Establishment wirklich auf das, was draußen im Lande vorgeht? Hören Sie hin auf die Bedürfnisse der Bevölkerung?
    Remme: Ein wenig Geschichte am Ende dieses Interviews. Herr Botschafter, danke für dieses Gespräch.
    Emerson: Herzlichen Dank.