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15 Monate Zeit für eine neue Kultusministerkonferenz

Meurer: Von den Ereignissen in Ägypten nach Berlin. Dort gibt es gestern und heute eine Ministerpräsidentenkonferenz, die vielleicht etwas mehr Aufmerksamkeit findet als vergangene Konferenzen, denn im Mittelpunkt steht ein Mann, der bislang eher für die leisen Töne bekannt war. Unter Christian Wulff ist aber das Bundesland Niedersachsen aus der Konferenz der Kultusminister ausgestiegen. Für diesen Paukenschlag hat Wulff Zustimmung und heftigen Protest hervorgerufen. Für uns ist er jetzt am Telefon. Guten Morgen Herr Wulff!

    Wulff: Schönen guten Morgen Herr Meurer.

    Meurer: Sie wollten ja zunächst die Rechtschreibreform stoppen. Müssen Sie einräumen, dass Ihnen das jetzt bei der Ministerpräsidentenkonferenz nicht gelungen ist?

    Wulff: Ich bin ziemlich ernüchtert über die Situation, dass die Abschaffung der alten bewährten Rechtschreibung beschlossen worden ist, jetzt aber erhebliche Probleme bestehen, die offenkundigen eingetretenen Ungereimtheiten und auch Fehlentwicklungen einzuräumen und Korrekturen vorzunehmen. Es hilft aber nichts, in solch einer Lage "Augen zu und durch" zu sagen, sondern es muss darüber gesprochen werden, inwieweit jetzt der Rat für deutsche Sprache fair und pluralistisch von Gegnern und Befürwortern zusammengesetzt wird und dann Vorschläge macht, um eben die größten Fehlentwicklungen in verschiedenen Bereichen, ob der Getrennt- und Zusammenschreibung, bei den Übertragungen der Fremdwörter oder der Trennung sowie der Zeichensetzung, doch noch zu vermeiden und zu korrigieren. Hier gibt es jetzt einfach Erfahrungen, die gemacht worden sind, die die Gegner der Rechtschreibreform haben eben nicht verstummen lassen, sondern eher bestätigt haben. Ich gehöre seit acht, neun Jahren zu den Gegnern dieser Versuche, die Rechtschreibung neu zu erfinden.

    Meurer: Sie haben ja der Kultusministerkonferenz vor Wochen vorgeworfen, sie sei borniert und abgehoben, weil sie eben die Rechtschreibreform verändern will, nicht verzögern will. Müssen Sie diesen Vorwurf jetzt an die Ministerpräsidentenkonferenz richten?

    Wulff: Ich glaube, dass die Entwicklungsgeschichte der Rechtschreibreform, wie man dort kreiert hat, ohne zu berücksichtigen, dass Sprache Kulturgut ist und die deutsche Sprache sozusagen im Bestand der Bevölkerung ist auch im Konsens weiterentwickelt werden muss, bis heute nicht zureichend von den Akteuren erkannt ist, denn wenn jetzt auf jeder Ketchup-Flasche weiter eine Bezeichnung steht, die demnächst dann als Fehler angestrichen wird, wenn an allen Restaurants "Restaurant" steht und demnächst bei den Kindern in der Schreibweise als Fehler angestrichen werden könnte, dann ist das einfach ein Auseinanderentwickeln, wo dann ja schon viele argumentieren, das ganze Thema sei unwichtig, weil eh jeder schreibe wie er schreiben wolle.

    Meurer: Aber da wird Ihnen ja vorgeworfen, gerade für die Kinder müsse man es bei der Reform belassen, um nicht ein ewiges Hin und Her zu veranstalten.

    Wulff: Diejenigen die gesagt haben, die neue Rechtschreibung kostet bei der Einführung gar nichts, weil eh die Auflagen immer wieder neu überarbeitet werden, die waren dann die ersten die gesagt haben, aber die Korrektur würde viel Geld kosten. Das Argument ist entweder einmal stimmig, also es ist immer stimmig, oder es hat nie gestimmt. Ich weiß, dass die Generationen, die jetzt die neue Rechtschreibung erlernt haben, die 5. und 6. Schuljahrgänge, dann bestimmte alte Regeln wieder erlernen müssten, aber trotzdem kann das ja kein Argument sein, Fehlentwicklungen, mangelnde Differenzierungen, Missverständlichkeiten fortzuführen, weil man sich dieses nicht zutraut beziehungsweise nicht schultern will.

    Nun sind wir ja ein Stück weiter und es gibt ganz offenkundig nur noch den Konsens, dass man zumindest versucht, über den Rat für deutsche Sprache ein wenig Korrekturen vorzunehmen. Wenn das denn heute erreicht würde in der Fortsetzung der Ministerpräsidentenkonferenz, dann wäre immerhin ein kleiner Hauch von Versuch, in dieses Thema Befriedung zu bringen.

    Meurer: Aber die Kultusminister wollten auch schon diesen Rat. Was also hat Ihr einsames Vorpreschen gebracht?

    Wulff: Wissen Sie, wenn ganz offenkundig etwas falsch läuft, dann darf man es nicht davon abhängig machen, ob man es thematisiert, ob man das alleine thematisiert oder ob man es in der Mehrheit thematisiert, denn wir hätten keine Fehlentwicklungen korrigiert, wenn nicht einzelne den ernsthaften Versuch unternehmen würden, unabhängig davon, ob die Mehrheit schon deshalb dagegen ist, weil sie seit vielen Jahren in das Thema involviert ist. Inzwischen dürfte es eine breite Mehrheit bei allen Beteiligten geben, dass man aus heutiger Sicht, wenn man das damals vorausgesehen und beachtet hätte, das ganze Thema nicht so angepackt hätte. Die Selbstkritik sollte allen inne sein, dass begeistert und stolz auf das, was hier veranlasst wurde, offenkundig so gut wie keiner ist. Das sollte uns nachdenklich stimmen, dass manchmal auch falsch vorgeprescht wird.

    Meurer: Sie haben vorgestern ja in Hannover entschieden und faktisch umgesetzt, dass es zum Ausstieg aus der Kultusministerkonferenz kommen soll. Wie geht es denn dort jetzt weiter?

    Wulff: Wir haben den Vertrag der Vereinbarung der Länder gekündigt zum 31. Dezember nächsten Jahres. Das heißt, wir haben 15 Monate Zeit, über eine neue, eine bessere, eine verschlankte, effizientere und vor allem sparsame Kultusministerkonferenz uns einig zu werden. Ich halte es für möglich, dass wir das bereits bis Dezember diesen Jahres, also ein Jahr vor in Kraft treten der Kündigung, schaffen könnten, wenn wir uns jetzt kurzfristig über Reformbedarf verständigen. 50 Millionen Euro für die Kultusministerkonferenz im Jahr, 36 Gremien, mehr Leute als manches Kultusministerium hat, das ist völlig unverantwortlich. Wenn sich alle überall zur Decke strecken, dann kann sich nicht die Kultusministerkonferenz weiter derart verselbständigt aufführen, wie das die letzten Jahre der Fall gewesen ist.

    Meurer: Aber wegen der Gehälter von einigen Beamten, muss man da gleich aus der Kultusministerkonferenz aussteigen?

    Wulff: Wissen Sie, wenn seit Jahren der Reformbedarf über diese Kultusministerkonferenz von niemandem bestritten wird und dort Gremien tagen, Kommissionen, Ministerkonferenzen und während der Phase der Sparsamkeit zu überlegen brauchen wir sechs Abteilungen, wenn andere Ministerien in Ländern vier haben, und dann ein solcher Tarifvertrag geschlossen wird, wie er geschlossen wurde, an der Ministerpräsidentenkonferenz vorbei, an den Finanzministern vorbei, deren einhellige Empörung das gefunden hat, dann ist das ein Grund zu sagen, unter diesen Bedingungen bleiben wir nicht dabei, denn wir muten unseren Lehrern nicht zu Mehrarbeit, Kürzung von Sonderzuwendungen, Streichung von Weihnachtsgeld, während die Kultusministerkonferenz sagt für uns gilt das alles nicht.

    Meurer: Über Ihre Entscheidung hat sich ja mancher oder haben sich viele gewundert. Wo ist der leise und bedächtige Christian Wulff geblieben?

    Wulff: Gewundert haben sich darüber die Betroffenen, vielleicht gar nicht so sehr, aber sie haben sich riesig aufgeregt. Diejenigen, die die Kultusministerkonferenz seit vielen Jahren in ihrer Schwerfälligkeit beobachten, die sind dankbar und froh, dass jetzt über die Einführung des Mehrheitsprinzips bei vielen Fragen gesprochen wird, die eben dann auch beschleunigen und schneller zu Entscheidungen kommen, unser Bildungssystem besser machen. Ich glaube man darf in Deutschland nicht immer nur die Stellungnahmen der unmittelbar Betroffenen einholen, sondern man muss mal die Stellungnahmen der Bürger einholen, die mehr von Bildungssystemen und Qualität an Schulen und Hochschulen erwarten als derzeit geboten wird.

    Meurer: Was sagen Sie ganz kurz zu dem Vorwurf, Wulff will sich in der CDU bundesweit profilieren?

    Wulff: Der kommt immer. Der kommt vor allem von Journalisten, die sehr stark dazu neigen, lieber zu personifizieren als über die Schwierigkeiten von Bürgerversicherung oder Gesundheitsprämie zu berichten. Das Thematische ist oft komplexer, wobei dort das DeutschlandRadio natürlich voll auszunehmen ist, komplexer als über einzelne Personen zu spekulieren. Ich mache das aus der Sache heraus. Ich möchte in Niedersachsen eine Bildungspolitik, die vorbildlich ist und die in einigen Jahren dafür sorgt, dass unsere Schülerinnen und Schüler bei Pisa ganz vorne liegen.

    Meurer: Herr Wulff, wir freuen uns natürlich über das Lob. - Danke schön Christian Wulff, der Ministerpräsident von Niedersachsen, heute Morgen im Deutschlandfunk. Auf Wiederhören nach Berlin Herr Wulff!

    Wulff: Danke!