Archiv


150 Miniläden in 30 Regalen

Ob Couch-Surfing, Mitfahrgelegenheiten oder Wohnungstausch auf Zeit - Eigentum teilen und nutzen findet online schon lange großen Zulauf. Doch ein neues Phänomen des Teilens ist ganz analog und nennt sich Shop-Sharing.

Von Monika Hebbinghaus |
    "Also, ich hab’'s mal ausgerechnet - Umsatz hattest du 57,50 Euro, davon ziehen wir 11.50 Euro ab –- also unsere 20 Prozent, bleiben 46 Euro, du hast Pfand gezahlt, 20 Euro, die kriegst du jetzt ja wieder, macht 66 Euro. Wenn du mir das da einmal unterschreibst…"

    Abrechnung bei MyRegalbrett. Daniela löst ihr Warensortiment auf – zwei Wochen lang hat sie hier ihren selbst gemachten Schmuck angeboten. Diesmal lief es nicht so gut, meint die 26-jährige Bauzeichnerin, die in ihrer Freizeit gern bastelt.

    "Die anderen Male waren wesentlich besser, da waren es immer so um die 200, aber ich werde im Mai wieder neue Sachen liefern. Hab im Moment nicht so viel Zeit, viel Stress auf der Arbeit."

    Knapp einen halben Quadratmeter groß ist die Verkaufsfläche, die MyRegalbrett seinen Kunden anbietet. Ein Regal, etwa so groß wie ein Zeichenblock. Gestaltungsfreiraum: unbegrenzt. Kostenpunkt: 20 Prozent vom Umsatz und fünf bis zwölf Euro Miete pro Woche. Das hängt ganz von der Lage ab, sagt Ladenbetreiber Marc Raschke.

    "Es gibt hier wie im normalen Einzelhandel auch Bückware und Sichtware – und natürlich sind die Bückregale ein bisschen günstiger als die Sichtregale. Und entsprechend haben wir in den Mittelinseln die teuersten."

    Trotzdem waren die am schnellsten weg, sagt er. Der Laden brummt. Oder besser: die Läden. Denn 30 Regale á fünf Bretter – das macht 150 Miniläden, jeder mit eigenem Sortiment. Gefilzte Handytaschen, gestrickte Babyjäckchen, selbst gezeichnete Postkarten, Buttons mit Pilzmotiven oder Hirschgeweih.

    "Dieser Laden weckt so den Wühler im Kunden. Ist eigentlich eher eine Reizüberflutung. Ich glaube, wir Männer, wir brauchen es ja eher ein bisschen strukturierter, und wir würden hier rammdösig werden auf Dauer. Aber Frauen, die haben sofort eine Orientierung hier."

    Kein Wunder, dass es meist Frauen sind, die bei MyRegalbrett herumstöbern:

    "Ich habe eine Freundin, die Selbstgebasteltes verkauft, im Internet, und insofern selber einen Blick dafür entwickelt. Und hier schon ein paar Dinge gefunden, die einfach schön sind. Diese Pulswärmer, die ich gerade anhabe, mit einem gehäkelten Röschen."

    "Wir kaufen soviel Schrott in den Kaufhäusern, der aus China oder sonst woher kommt, und das finde ich hier sehr schön, dass wir hier junge Leute unterstützen, kreative Leute - ich glaub’', ich werde hier Stammkundin."

    Nicht nur das Angebot ist äußerst frauenaffin. Auch die Mieter sind in der Regel weiblich. Da ist die Erzieherin, die nebenher zeichnet und durch ihr Regalbrett von einem Kinderbuchverlag entdeckt wurde. Die Musiklehrerin, die ein eigenes Label für Schreibwaren und Dekoartikel entwickelt hat. Oder die Psychotherapeutin Martha, die vor einem Umzug einfach ein paar Sachen loswerden wollte:

    "Ich bin dann jeden zweiten Tag nach der Arbeit hier vorbeigegangen, und hab immer geguckt. Und da musste man sich ja auch wirklich anstrengen. Also ich musste dann schnell wieder nach Hause, neue Sachen holen und die dann wieder reinlegen, damit sich das finanziell lohnt. Es sollte dann auch eben ein Geschäft sein.".

    Aber es ging ihr nicht nur ums Geld, sagt sie. Durch ihr Regalbrett hat Martha auch neue Kontakte geknüpft. Denn der Laden ist ständig in Bewegung: neue Mieter, neue Waren, neue Bekanntschaften.

    "Also ich kam dann mit anderen Mietern ins Gespräch, oder mit Kunden, oder wenn ich mal eine Stunde hier war, dann habe ich gesagt, gucken Sie mal hier, das Buch, ist doch auch schön. Wie man das so macht. Und das ist ja der Reiz des Ladens: Das sind alles nette Leute hier. Da kommt man gerne hin."

    Für Ladenbetreiber Marc Raschke steht denn auch die soziale Idee im Mittelpunkt. Geld abwerfen muss der Laden nicht unbedingt, denn seinen Lebensunterhalt verdient er als Journalist. So kann er MyRegalbrett als kreativen Zweitberuf sehen und rund um das Ladenkonzept neue Ideen spinnen: zum Beispiel, vermehrt Künstler als Mieter zu gewinnen.
    "Problem ist natürlich auch, viele Künstler sagen, warum soll ich denn jetzt mein Werk neben selbst gemachten Handytaschen ausstellen - da haben die vielleicht dann so ein bisschen Standesdünkel. Aber den wollen wir dann auch beseitigen. Wir haben jetzt zum Beispiel vor, eine Modenschau zu machen, die wir 'Brett à Porter' nennen, und dann werden wir hier jungen Nachwuchsdesignern eine Bühne bieten - und zeigen, dass so ein Regalbrettladen mehr sein kann als klassischer Warenverkauf."