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1500 Jahre älter als die Pyramiden

In Bulgarien ist eine thrakische Goldmaske aus dem vierten Jahrhundert vor Christus entdeckt worden. Bulgarische Archäologen machten den Fund am Samstag während Ausgrabungen in der Nähe von Sliwen. Dieser zweite Fund einer Goldmaske innerhalb der vergangenen Jahre in Bulgarien beweise, dass sich das "Tal der thrakischen Könige" über ein großes Gebiet erstreckt habe, so die Archäologen.

Von Simone Böcker |
    Majestätisch auf einem Gipfel ruhend, inmitten bewaldeter Hügellandschaft, ragt ein Felsquader empor. In die eine Seite ist eine halbkreisförmige Grabnische gehauen, eine weitere sarkophag-artige Nische ist oben in den Felsblock eingelassen, in den Stein gemeißelte Treppenstufen führen zu einer Opferplatte hinauf. Der Felsenkomplex Tatul, soviel weiß man jetzt, war eine Kultstätte der Thraker. In den 60er Jahren entdeckt, wurde sie erst jetzt gründlich erforscht. Zdravko Dimitrov vom archäologischen Museum in Sofia war Teil der Expedition.

    "Wir haben drei Jahre in Tatul geforscht, und die große Überraschung ist, dass wir Funde aus insgesamt sieben durchgehenden Epochen gemacht haben. Die erste Epoche ist die Kupferzeit von 3800-3500 v. Chr. Wir haben Hinweise auf Wohn- oder andere Gebäude aus dieser Zeit gefunden - außerdem Tongefäße und Keramiken mit Ornamenten. Die Fundstücke aus dieser Zeit sind um 1500 Jahre älter als die ägyptischen Pyramiden."
    "Tatul - älter als die ägyptischen Pyramiden" - diese Meldung sorgte in den bulgarischen Medien für großes Aufsehen. Doch tatsächlich stammt nicht die Kultstätte selbst aus dieser Zeit, sondern Reste von Gebäuden und Gefäßen. Sie deuten darauf hin, dass es bereits vor 6000 Jahren ein hoch entwickeltes kulturelles Leben in Tatul gegeben hat. Damit wäre ein weiterer Beweis erbracht, dass die Thraker bereits in der prähistorischen Zeit eine Hochkultur waren, so der Wissenschaftler.

    "Ein großes Problem für bulgarische Wissenschaftler ist aber, dass obwohl die Thraker eine große Gemeinschaft waren und großen Einfluss auf die europäische Kultur hatten, man im Allgemeinen nicht viel über sie weiß. In Ausstellungen und Filmen werden die Thraker nur mit ihren Goldschätzen verbunden. Aber die Thraker waren vor der Römerzeit und auch danach eine alte und bedeutende Kultur. Sie haben die schönen Städte der Römer aufgebaut, deswegen waren sie auch für ihre städtische Architektur bekannt."
    In der "Ilias" werden die Thraker als mächtige Gegner der Griechen geschildert. Doch bestanden sie aus etwa 90 verschiedenen Stämmen, weshalb sie nie zu großer Macht kamen. Thrakien war jedoch nicht nur berühmt für seine Krieger und Kriegskunst, von der die vielen reich verzierten und kunstvoll gefertigten Helme, Waffen und Schilder zeugen. Auch seine Sänger und Dichter sind Legende. Und diese leben auch heute noch im Bewusstsein vieler Bulgaren. Der Bekannteste ist sicherlich der Sänger Orpheus, der die Welt mit seiner Musik verzauberte. Dass er ein Thraker war und aus den bulgarischen Rhodopen stammen soll, wissen in Westeuropa nur die Wenigsten. Von den Thrakern wurde Orpheus als Halbgott verehrt, und Tatul galt manchen Archäologen lange Zeit als seine mögliche letzte Ruhestätte. Doch, so ein weiteres Ergebnis der Ausgrabung: Es handelt sich um eine Kultstätte für den berühmten Thraker, wo in bislang wenig bekannten Riten Opfer dargebracht wurden.

    "Der Kult für Orpheus hat eine Bedeutung für alle thrakischen Stämme, nicht nur in den Ost-Rhodopen. Und die Sagen berichten davon, dass für sie Orpheus die Verbindung zwischen den Lebendigen und den Göttern ist. Dieses Felsgrab in Tatul ist ein symbolisches Grab für Orpheus. Es stellt eine Verbindung zwischen der Erde und dem Himmel dar."
    Tatul ist nicht der einzige Ort von großer Bedeutung für die Thrakologen, betont Zdravko Dimitrov. Aber vieles muss erst noch erforscht werden. Aufgrund der politischen Situation war das Land lange abgeschnitten, besonders die südliche Region war Grenzgebiet und dadurch den Forschern nahezu unzugänglich. Bulgarien ist deswegen doch noch eher eine Herausforderung für Archäologen als ein Schlaraffenland.

    "In Bulgarien gibt es keine Investitionen in Kulturtourismus und in archäologische Objekte wie in anderen Ländern. Obwohl es in Bulgarien so viele interessante Objekte gibt, fehlen bislang noch die finanziellen Mittel, sowohl für deren Erforschung als auch für die Erhaltung. Es ist jetzt die Aufgabe, diese Funde populärer zu machen."