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1500 verschollene Kunstwerke in München entdeckt

Es ist womöglich ein Sensationsfund: Fahnder haben in der Wohnung eines 80-jährigen Münchners 1500 verschollene Gemälde von Meistern der klassischen Moderne entdeckt, darunter Bilder von Picasso, Matisse und Nolde. DLF-Experte Stefan Koldehoff ordnet die Meldung ein.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Beatrix Novy | 03.11.2013
    Beatrix Novy: Anderthalb Tausend wertvollste Werke zum Teil berühmtester Maler, von Picasso bis Nolde und Liebermann, wurden in einer Privatwohnung in München gefunden. Sie waren seit dem Krieg verschollen. Das klingt nach einer Sensation und mein Kollege Stefan Koldehoff, einschlägig spezialisiert, ist herbeigeeilt. Stefan Koldehoff, das war aber bestimmten Leuten schon länger bekannt, was wir da heute zum ersten Mal gelesen haben?

    Stefan Koldehoff: Ja das ist der komische zweite Teil dieser Meldung, dass das Ganze wohl schon 2011 im Frühjahr, also vor fast drei Jahren entdeckt worden ist, und das ist eigentlich schon erstaunlich, denn wenn man sich jetzt überlegt, wem diese Wohnung gehörte, nämlich Cornelius Gurlitt, dem Sohn von Hildebrand Gurlitt, und wenn man dann weiß, dass Hildebrand Gurlitt einer der vier Kunsthändler war, die die Nationalsozialisten beauftragt hatten, die sogenannte "Entartete Kunst", die ab 1937 aus den deutschen Museen entfernt worden war – rund 20.000 Werke schätzt man aus mehr als 100 Museen von rund 1400 Künstlern sind das gewesen -, dass Gurlitt-Vater also einer derjenigen war, die den Auftrag hatten, das gegen Devisen ins Ausland zu verscherbeln. Denn keineswegs haben die Nationalsozialisten diese unliebsame Kunst, wie es immer heißt, zerstört; darum ging es nicht, es ging darum, die Kriegskassen zu füllen, und das ging mit Kunst auch ziemlich gut), dann stellt man sich schon die Frage, hätten wir das nicht alle früher wissen wollen, denn es gibt ja schließlich eine ganze Menge auch jüdischer Erben, die mit Hilfe von zum Teil teueren Anwälten nach ihrem ehemaligen Besitz fahnden.

    Novy: Aber über diese ehemaligen Besitzer weiß man ja bis dato noch nichts?

    Koldehoff: Nein, man weiß eigentlich überhaupt noch nicht viel. Man hört ein paar Namen, die genannt werden. Von Matisse ist die Rede, Picasso haben Sie gerade genannt, deutsche Expressionisten wie Heckel und Kirchner werden genannt in diesen ersten Meldungen. Ob das aber nun alles Bilder sind, die aus ehemals deutschem Museumsbesitz stammen, oder – diese Kunsthändler waren ja durchaus vor der Aktion "Entartete Kunst" 1937 schon tätig – ob da nicht auch jüdische Raubkunst darunter ist, das ist alles noch völlig unbekannt.

    Novy: Aber der Inhaber – man kann ja jetzt nicht sagen, der Besitzer -, der Herr Gurlitt in der Münchner Wohnung, hat ja Bilder abgestoßen im Laufe der Jahre. Was weiß man über die Käufer und was wussten die Käufer?

    Koldehoff: Das ist ganz erstaunlich. Es wird bislang ein Bild vor allen Dingen genannt, das verkauft worden ist, weil es noch nach dieser Razzia, die offenbar in seiner Wohnung im Frühjahr 2011 stattgefunden hat, verkauft wurde, und zwar in einem Kölner Auktionshaus. Das ist eine Gouache, also eine Papierarbeit von Max Beckmann gewesen, und da hat im Auktionskatalog ganz offen gestanden: Galerie Alfred Flechtheim 1931, dann Dr. Hildebrand Gurlitt, Düsseldorf 1934, Helene Gurlitt, München 1967, seitdem Familienbesitz Süddeutschland. Dass dieser Familienbesitz nach wie vor die Familie Gurlitt war, das hat da zwar nicht gestanden, aber durchaus, dass es 1967 noch in der Familie gewesen ist. Das hat aber keinerlei Fragen aufgeworfen.

    Novy: …, obwohl das doch ein Alarmsignal ist, wenn da Flechtheim steht.

    Koldehoff: Ja und nein, denn jetzt wird es noch mal ein bisschen kompliziert und ein bisschen juristisch auch. Die Bilder, die 1937 aus den deutschen Museen entfernt worden sind, die sind das nach damaligem Recht und Gesetz. Es gab 1938, also ein Jahr später, ein Gesetz über die Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst. Da wurde beschlossen: Alles, was damals beschlagnahmt wurde, ist zurecht beschlagnahmt worden. Und diese vier beauftragten Kunsthändler, die vermarkten sollten, die haben die Werke vom Reichspropagandaminister, also von Goebbels, gekauft. Die haben zum Teil sicherlich Quittungen dafür. Das heißt, diese Werke haben denen damals rechtmäßig gehört und die haben die dann auch rechtmäßig weitervererbt. Juristisch ist zumindest bei den Bildern aus Museumsbesitz eigentlich kaum was zu wollen. Da kann man höchstens noch moralisch argumentieren: das war aber nicht rechtens.

    Anders sieht es aus, falls diese Händler und damit auch Herr Gurlitt Bilder aus Privatbesitz gehabt hätten. Das wäre dann klassische Raubkunst und da hat sich die Bundesrepublik ‘98/‘99 in internationalen Erklärungen verpflichtet: So etwas wollen wir erforschen. Und: Wenn wir mitbekommen, solche Werke gibt es, dann wollen wir das, bitte schön, auch öffentlich machen in geeigneter Weise. Und dann noch mal die Kritik: das hat offenbar drei Jahre lang nicht stattgefunden.

    Koldehoff: Wer wird denn diese anderthalb Tausend Werke nun daraufhin begutachten?

    Koldehoff: Es ist eine Berliner Kunsthistorikerin, eine sehr seriöse, einschlägig positiv bekannte, Meike Hoffmann, beauftragt damit, offenbar seit 2011, diese Werke zu erforschen. So jedenfalls schreibt der "Focus". Und offenbar will man tatsächlich mal erst klären, wo kommen die Werke denn her, um diplomatische Verwicklungen – es ist die Rede davon, dass ein Matisse dem großen französischen Händler Rosenberg gehört habe – zu vermeiden. Offenbar hat man sich für die Strategie entschieden, erst Klarheit schaffen und dann gehen wir an die Öffentlichkeit. Das halte ich für fragwürdig.

    Novy: Es kann also auf jeden Fall sein, dass außer Devisenvergehen und eventuell Steuerhinterziehung dem Cornelius Gurlitt nichts droht?

    Koldehoff: Theoretisch kann das sein. Er ist aufgefallen, weil er mit einem hohen Geldbetrag in der Bahn von der Schweiz nach München saß, und daraufhin ist dann die Steuerfahndung tätig geworden und hat auch die Bilder beschlagnahmt. Aber wenn es tatsächlich alles Bilder waren, die im Rahmen der entarteten Kunst aus Museen entfernt worden waren, und wenn sein Vater die alle "rechtmäßig" von der NS-Regierung gekauft hat, dann ist da möglicherweise nicht viel zu wollen. Aber das warten wir doch bitte mal erst ab, ob da nicht auch noch Privatbesitz mit dazwischen war.

    Novy: Allererste Erkenntnisse im Fall Gurlitt und anderthalb Tausend aufgefundenen Werken berühmter Maler.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.