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16.1.1934 - Vor 70 Jahren:

"Wenn Rossini nicht gelebt hätte, dann hätte Marilyn Horne ihn erfunden." – so lautet ein Bonmot aus Sängerkreisen. Nun, erfunden hat sie ihn nicht, aber wieder entdeckt. Denn ihre "geläufige Gurgel", wie Mozart es nannte, erlaubte es ihr, sich rasch von einem gewaltigen, ja männlich klingenden Brustregister in leichte und zugleich satte Sopran-Höhen hinaufzuschrauben und damit dem lange Zeit nahezu ausgestorbenen Stimmfach des Koloratur-Mezzosoprans wieder zu neuem Leben zu verhelfen.

Von Sabine Fringes | 16.01.2004
    Der Musikologe Harold C. Schonberg bezeichnete sie einmal als "beste Mezzosopranistin der Welt". Und der Kritiker Robert Jacobson schrieb 1981 im Magazin "Opera News" über sie:

    So einfach ist das: Marilyn Horne ist wahrscheinlich die größte Sängerin der ganzen Welt, Spricht man über das Singen – die Anwendung aller Regeln aus der Grammatik des Belcanto, also über Elemente wie Agilität, Triller, Umfang, Farbe, Brillanz, Legato, Artikulation - , so regiert sie als alleinige Herrscherin. Nur Joan Sutherland kommt auf diesem Gebiet an sie heran.
    Hier haben wir eine Stimme!

    Die enthusiastischen Worte des Vaters über seine am 16. Januar 1934 in Bradford, Pennsylvania, geborene Tochter Marilyn Horne. Der Angestellte einer Steuerbehörde und ehrgeizige Hobby-Sänger erteilt bereits der Zweijährigen Gesangsunterricht. Mit vier schon lässt er sie vor Publikum singen und gemeinsam mit ihrer älteren Schwester als "Horne-Sisters" bei Kirchenmusikveranstaltungen und in Clubs auftreten.
    Nach Abschluss ihr
    er Schulzeit in Los Angeles erhält sie ein Stipendium an der University of Southern California.
    Als Marilyn Horne, die bis dahin vor allem lyrische Sopranpartien gesungen hatte, beim Examen gebeten wird, die Carmen zu singen, lehnt sie ab, da sie ihre Stimme für diese Rolle noch nicht für reif genug hält. Prompt lässt man sie durch die Prüfung fallen.
    Doch im Laufe ihrer einige Jahre später einsetzenden großen Karriere, sollte ihr diese Eigenwilligkeit zugute kommen: Die Fähigkeiten ihrer Stimme konnte sie sich bis ins Alter von sechzig Jahren erhalten, indem sie sie gut einzuteilen wusste. So sang sie nie mehr als 60 Aufführungen jährlich, also im Schnitt etwa fünf Aufführungen pro Monat und lehnte ihr unpassend erscheinende Partien ab.
    Doch zunächst einmal folgen ihrem gescheiterten Examen drei unspektakuläre Jahre an der Oper von Gelsenkirchen, wo sie die Mimi, Minnie, und Tatjana singt - alles hohe Sopranpartien. Erst in den sechziger Jahren, wieder zurück in den Vereinigten Staaten, entdeckt sie bei einer Probe von Rossinis "La Cenerentola" ihre tiefen Lagen.
    Mit diesem Wechsel vom lyrisch-dramatischen Sopran zu den bis dahin kaum bekannten herben Tönen des Koloratur-Mezzosoprans, wie denen der Fidès in Meyerbeers Oper "Le Prophète, bewies sie wohl den größten Mut und - Durchsetzungsvermögen.

    Dirigent und Ehemann Henry Lewis rät ihr zunächst dringend von einem Fachwechsel in das tiefere Register ab, der sie, wie er glaubt, von der Prima Donna in das Schicksal der ewig Zweiten verdammen würde. Doch nach und nach erarbeitet sich Marilyn Horne die bis dahin nahezu in Vergessenheit geratenen großen Rollen für Koloratur-Mezzosopran von Rossini, Donizetti und Bellini, etwa in " Semiramide", "Tancredi" oder "Lucrezia Borgia" .
    Über drei Jahrzehnte war Marilyn Horne nahezu die einzige Mezzosopranistin, die dieses Repertoire singen konnte.
    Vater Horne hatte also recht behalten mit seinem Ausruf: Da haben wir eine Stimme.