Die ZEIT-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff erklärte später: Nie sei ein Artikel folgenreicher gewesen als Kennans Analyse über "Die Ursprünge des sowjetischen Verhaltens". Allerdings stimmte die Wirkung dieses Textes schon bald nicht mehr mit den Absichten des Autors überein. Denn ausdrücklich ging es Kennan nicht um eine Dominanz des Militärischen bei seiner Politik der Eindämmung. Doch bald sah er, dass auch im Namen seiner Konzeption der Ost-West-Gegensatz zum Kalten Krieg vertieft wurde. Während die Absicht seines Programms gerade darin lag, diese Spaltung zu verhindern. Deshalb verurteilte er auch die Gründung der NATO als einen kapitalen Fehler.
Einige Jahre noch blieb Kennan an führender Stelle im US-Außenministerium tätig. Doch seine Bedenken über die Realpolitik verschärften sich. 1955 hielt er in Berlin eine Rede, die nahezulegen schien, die entscheidenden historischen Kräfte auf einem anderen Feld als dem der aktuellen Politik zu suchen. Er sagte:
Doch kann ich Ihnen nur sagen, so ernst und schwierig die konkreten Probleme der Gegenwart auch scheinen, mich bewegt am Tiefsten etwas, was ich bei Ihnen wie bei uns zu beobachten meine: einen durchdringenden, überhand nehmenden Materialismus.
Folgerichtig quittierte Kennan den diplomatischen Dienst und zog sich als Professor nach Princeton zurück. Er verfaßte mehrere bedeutende historische Studien, wie zum Beispiel seine "Geschichte der US-Diplomatie". Auch als unbequemer Analytiker der politischen Aktualität blieb er gefragt. Seine mehrbändigen Memoiren zählen zur großen politischen Prosa des 20. Jahrhunderts.
Im Laufe der Jahre wurde Kennan zum unermüdlichen Warner vor dem nuklearen Overkill und der absurden Hochrüstung in Ost und West in den 70er und 80er Jahren. Dafür erhielt er 1982 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. In seiner Rede in Frankfurt sagte er unter anderem:
Tatsache ist, dass weder für die Nato-Länder noch für die Mitglieder des Warschauer Paktes ein neuer Krieg die Lösung bringen würde oder könnte. Dieser Knoten, der vor 37 Jahren hier in Zentraleuropa auf so unglückselige Weise geknüpft wurde, ist einfach nicht kurzfristig und erst recht nicht durch Krieg zu lösen. Hier kann nichts anderes helfen als die Geduld, die Bescheidung, die Bereitschaft mit kleinen Schritten vorwärts zu kommen.
George F. Kennan, der heute 100 Jahre alt wird, hat nicht aufgehört, sich kritisch zur aktuellen Politik zu äußern. Noch im letzten Jahr hat er die neue amerikanische Doktrin des Präventivkrieges, mit der die Regierung Bush den Krieg gegen den Irak begründet hat, scharf verurteilt.