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17.03.1804 - Vor 200 Jahren

...bin leidlich fleißig und arbeite an dem Wilhelm Tell, womit ich den Leuten den Kopf wieder warm zu machen gedenke. Sie sind auf solche Volksgegenstände ganz verteufelt erpicht, und jetzt besonders ist von der schweizerischen Freiheit desto mehr die Rede, weil sie aus der Welt verschwunden ist.

Von Eva Pfister | 17.03.2004
    So schrieb Friedrich Schiller im Oktober 1803. Tatsächlich war die Schweiz fünf Jahre zuvor von den Truppen Napoleons erobert worden, der auch das übrige Europa bedrohte. Aber Schillers berühmtes Freiheitsdrama, in dem sich die drei Schweizer Urkantone auf dem Rütli gegen ihre Unterdrücker verschwören, wobei Wilhelm Tells tödlicher Pfeil den Aufstand einleitet, ist nicht einfach als versteckter Aufruf zum Widerstand gegen Napoleon zu verstehen. Die Dinge lagen komplizierter. Wie andere deutsche Intellektuelle hatte Friedrich Schiller die französische Revolution freudig begrüßt, war aber im weiteren Verlauf von der Terrorherrschaft der Jakobiner enttäuscht – und von der Hinrichtung des Königs entsetzt. Als Reaktion darauf entwarf er seine Gedanken zu einer ästhetischen Erziehung des Menschen. Die Eidgenossen in seinem "Wilhelm Tell" bilden eine in diesem Sinne idealisierte Gesellschaft. In ihrem ästhetischen Reich – aber nur hier – war auch der Tyrannenmord erlaubt. Das machte Friedrich Schiller schon in der Widmung deutlich:

    Doch wenn ein Volk, das fromm die Herden weidet
    sich selbst genug, nicht fremden Guts begehrt,
    Den Zwang abwirft, den es unwürdig leidet.
    Doch selbst im Zorn die Menschlichkeit noch ehrt,
    Im Glücke selbst, im Siege sich bescheidet,
    Das ist unsterblich und des Liedes wert.


    Dass Schiller sich den Schweizer Geschichtsmythos zum Stoff erwählte, ging auf eine Anregung Goethes zurück, der sich selbst mit dem Gedanken trug, ein Tell-Epos zu verfassen. Die Sage von Wilhelm Tell, der gezwungen wird, einen Apfel vom Kopf seines Kindes zu schießen, und der mit einem zweiten Pfeil später seinen Peiniger erledigt, stammt ursprünglich aus Skandinavien, wurde aber von den Schweizern schon früh vereinnahmt. Denn dass die drei kleinen Landstätten Uri, Schwyz und Unterwalden im 14. Jahrhundert ihre Landvögte verjagten, ist zwar eine historische Tatsache, aber erst die Verknüpfung mit der Tell-Legende verlieh diesem Aufstand seine mythische Kraft.

    So ist es nicht erstaunlich, dass Schillers "Wilhelm Tell" zum Schweizer Nationaldrama wurde, das besonders gerne im Rahmen von Laien-Festspielen aufgeführt wird.

    Mit diesem zweiten Pfeil durchschoss ich - Euch,
    wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte,
    Und Eurer wahrlich hätt ich nicht gefehlt!


    Friedrich Schiller selbst ist nie in der Schweiz gewesen, 1803 war er schon zu krank, um den Schauplatz seines Dramas zu besichtigen. Er starb im Mai 1805, - "Wilhelm Tell" blieb sein letztes vollendetes Werk für das Theater. Goethe rühmte sich später, ihm das Anschauungsmaterial geliefert zu haben, aber er schilderte auch, wie genau Schiller recherchiert hatte:

    Er fing damit an, alle Wände seines Zimmers mit so viel Spezialkarten der Schweiz zu bekleben, als er auftreiben konnte. Nun las er Schweizer Reisebeschreibungen, bis er mit Weg und Stegen des Schauplatzes des Schweizer Aufstandes auf das Genaueste bekannt war. Dabei studierte er die Geschichte der Schweiz; und nachdem er alles Material zusammengebracht hatte, setzte er sich über die Arbeit, und buchstäblich genommen stand er nicht eher vom Platze auf, bis der Tell fertig war. Überfiel ihn die Müdigkeit so legte er den Kopf auf den Arm und schlief. Sobald er wieder erwachte, ließ er sich nicht, wie ihm fälschlich nachgesagt worden, Champagner, sondern starken schwarzen Kaffee bringen, um sich munter zu halten. So wurde der Tell in sechs Wochen fertig; er ist aber auch wie aus einem Guss."

    Am 18. Februar 1804 sandte Schiller das fertige Manuskript an Goethe, der sogleich mit den Proben begann. Am 17. März hatte der "Wilhelm Tell" am Hoftheater in Weimar Premiere. Die Uraufführung dauerte über fünf Stunden, ihr Erfolg lag auch an dem alpenländischen Kolorit, mit dem nicht gespart wurde. Die anhaltende Wirkung jedoch verdankt das Drama seiner Proklamierung des Rechts auf Widerstand als eines Menschenrechts. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass vier Tage nach der Uraufführung des "Wilhelm Tell" in Paris jenes Gesetzeswerk veröffentlicht wurde, das die Menschenrechte in Europa verbreitete, wenn auch mithilfe von Tyrannenmacht: Der Code Napoleon.