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17.2.2004 - Vor 100 Jahren

Wie so manches große und später hoch gerühmte Werk der Musikgeschichte, so bescherte auch die "Madama Butterfly" ihrem Komponisten bei der Uraufführung ein Desaster: Am Teatro alla Scala kam es am 17. Februar 1904 – heute vor 100 Jahren – schon während der Vorstellung zu Tumulten. Am Schluss des zweiten Akts dann das vollständige Fiasko. Giacomo Puccini hatte der Kundschaft in Mailand zu viel zugemutet.

Von Frieder Reininghaus | 17.02.2004
    Das allzu reichliche Maß an Sozialkritik, das diese Tragedia giapponese kolportierte, missfiel offenkundig nicht nur einigen kolonial gestimmten hochgestellten Herren zu Beginn des letzten Jahrhunderts, sondern auch der ganzen kleinbürgerlichen Claque. Puccini wusste ja durchaus und auch aus eigener Erfahrung, was da seiner Musik zugrunde lag. Ganz vorsätzlich hatte er dem Heldentenor keine positive Rolle zugeschrieben: Mit seinem Hang zu Verismo beglaubigte er den westlichen Herrenmenschen, der sich in der Dritten Welt Sex kauft und der in seinem Liebesverrat ziemlich schäbig dasteht. Damit das Stück aber, in das der Komponist so viel und intensive Arbeit investierte - er hatte eigens japanische Musik studiert! - dann doch noch "funktionierte", schrieb er es rasch um.

    Und von Brescia aus, wo die gemilderte und auch sonst überarbeitete Version bereits vierzehn Wochen nach dem Mailänder Debakel auf die Bühne kam, trat das Werk seinen Triumphzug an. Kaum eine der großen Sängerinnen des 20. Jahrhunderts ließ es sich nehmen, die Rühr-Potentiale der Titelpartie zu nutzen. Selbst Maria Callas verdingte sich 1953 als Geisha – dazu rührte Karajan das Orchester der Scala an:

    Die Geschichte der Geisha in Nagasaki hat mehrere Mütter. Nachdem bereits Camille Saint-Saens mit seiner "Gelben Prinzessin" nach Japan ausgeschweift war, wurde der Butterfly-Stoff im Gefolge von Pierre Lotis autobiographischem Roman Madame Chrysanthème verschiedentlich für die Bühne adaptiert – u.a. von André Messager und Sidney Jones.

    Als dann John Long, ein Rechtsanwalt in Philadelphia, im Magazin Century eine ähnlich strukturierte Lebensbeichte ablegte, entwickelte sich ein wahrer Butterfly-Boom. Puccini kam im Sommer des Jahres 1900, als er sich zur Einstudierung seiner "Tosca" in London aufhielt, in den Sog – im Duke of York's Theatre lernte er David Belascos einaktiges Erfolgsstück kennen. Und wusste sofort: Das war auch sein Stoff.

    Neu war zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Schroffheit des ganz in der "privaten Sphäre" zur Geltung kommenden interkulturellen Konflikts. Das erschütternd schlichte Handlungsschema in Kombination mit der coleur local lässt der inszenatorischen Deutung wenig Spielraum. Mit der zeitlichen Verpflanzung in die Gegenwart müsste sinnvollerweise auch eine geographische einhergehen, z.B. das Outfit eines Landes angedeutet werden, in dem derzeit der Sex-Tourismus blüht. Nähme man allerdings statt Nagasaki z.B. Bangkok, würde dies wiederum mit den "typisch japanischen" Intonationen Puccinis kollidieren. [Alle "Übersetzung" und "Aktualisierung" dieses Stücks bleibt prekär – es sei denn, sie wird ins Zeit- und Ortlose vorgenommen wie von Robert Wilson.

    Bevor jedoch das Regie-Theater seine Segnungen der Transformation zum Einsatz bringen konnte, bedurfte es der flächendeckenden Durchsetzung des Werks in historistisch-japanischen Hüllen – und mit den großen Stimmen. Keine Frage, dass auch die Callas-Rivalin Renata Tebaldi die Gunst der besonderen Wirkung zu nutzen suchte. "Un bel dì vedremo" – zumindest die Highlights aus Puccinis "Butterfly" sind in den Kanon der großen Kunst eingerückt. Trotz - oder gerade auch wegen - des Skandals, den diese Oper vor hundert Jahren auslöste.