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18.03.1929 - Vor 75 Jahren

Die Höhepunkte ihres Werks sind Romane, die sich im Stoff von Zeit- und Gesellschaftsdarstellungen der künstlerischen als einer exemplarisch individuellen Existenz vergewissern. So hat sie ihrer Zeit Paroli geboten, nicht herausfordernd, nicht in heroischer Pose, aber beharrlich das Recht des einzelnen auf freie Entfaltung einklagend. Mit Nachdenken über Christa T. leitete Christa Wolf 1968 ein neues Kapitel in der Geschichte der DDR-Literatur ein. Damals lernten ihre Leser in der DDR wie im Westen eine Erzählstimme kennen, zu deren Sprech-Voraussetzungen eine nicht mehr zweifelsfrei erkennbare Wirklichkeit gehört.

Von Sibylle Cramer | 18.03.2004
    Christa Wolf: Das ist für mich das Buch, in dem ich mich wirklich zeige als Autorin, als Prosa-Autorin, und in dem ich mich selbst auch kennen lernte und zu ahnen begann, was ich machen wollte, was ich würde machen wollen. Das heißt, dass ich mich nicht einlassen wollte auf objektive Beschreibung von Wirklichkeiten, von historischen Prozessen.

    "Nachdenken über Christa T." löste das ideologisch gebundene Frühwerk aus den frühen sechziger Jahren, Moskauer Novelle und Der geteilte Himmel, ab und legte den Grundstein für eine Reihe kunstvoll erzählter Reflexionsromane, die als Grundkonflikt schriftstellerischer Arbeit die Sprachproblematik beschreiben. Damals prägte sie den Schlüsselbegriff "subjektive Authentizität", mit dem sie die Behauptung subjektiver, im Widerstand gegen gesellschaftliche Anpassungszwänge gewonnener Wahrheiten umschrieb.

    Inzwischen hat sich ihr Werk weit über den deutschsprachigen Raum hinaus Geltung verschafft. Zu ihren großen Erfolgen gehören, neben Christa T., der 1976 erschienene Roman Kindheitsmuster, ein inzwischen mustergültiges Beispiel literarischer Vergangenheitserforschung.

    Sieben Jahre später, 1983, gewann sie mit Kassandra die leidenschaftliche Anhängerschaft der Feministinnen in Ost und West, sah sich aber namentlich im Westen einiger Kritik ausgesetzt. Angriffspunkte waren die inneren Widersprüche einer Prosa, die im Tonfall feierlicher Heldengesänge der Geschichte männlicher Heldengeschichtsschreibung den Prozess macht. Auf Kassandra als griechisch-trojanischem Modell für den gesellschaftlichen Ost-West-Gegensatz folgte 1996 in Medea. Stimmen eine wiederum antik verkleidete Auseinandersetzung mit dem deutsch-deutschen Zusammenprall lebenswarm-archaischer und technokratischer Lebenswelten.

    Die Generation, der die am 18. März 1929 in Landsberg an der Warthe geborene Autorin angehört, ist die letzte, die noch den Anspruch einer Stellvertretung der Menschen durch den Dichter erhebt. Aus ihren Erzählungen ist das Bild des Künstlers nicht wegzudenken, der seine Rolle als geistiger Repräsentant und ebenbürtiger Mit- und Gegenspieler der politischen Macht verteidigt. So ging etwa der 1979 erschienene Gesprächsroman Kein Ort. Nirgends aus der als existentiell empfundenen Krise nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns hervor. Sie habe, gab Christa Wolf damals zu Protokoll, im Zustand "gesellschaftlicher Verzweiflung" und im Gefühl des "Scheiterns in der Literatur" gelebt, weil "es absolut keine Wirkungsmöglichkeit mehr zu geben schien." Heute sagt sie zurückblickend:

    Das war ja Anfang der achtziger Jahre, da war es natürlich unsere Erfahrung in der DDR, meiner Schriftstellergeneration und auch noch der nächsten, zu der Volker Braun, Christoph Hein und andere gehörten, dass diese Erwartungen, die wir ursprünglich einmal hatten, eine menschliche Gesellschaft, die sich entwickeln sollte, aus den Anfängen der DDR, dass diese Erwartungen sich nicht erfüllten, das hing zusammen mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns.

    ... und mit dem Hinweis auf ihre Korrespondenz, die an Sie herangetragenen Klagen über die Lebensverhältnisse in Ost und West:

    Ich habe damals in der DDR Dutzende solcher Briefe bekommen und Dutzende auch aus der Bundesrepublik, die sich in nichts unterschieden, so dass dieses Gefühl, nicht leben zu können, für mich damals schon ein gesamtdeutsches war, dass es bei allen großen Unterschieden Gemeinsamkeiten in Grundstrukturen geben muss.

    Zuletzt sah sie sich 1990 in eine Geschichtsdebatte verwickelt, die als "Deutscher Literaturstreit" in die Geschichtsbücher einging. Ihr äußerer Anlass war ihre 1979 geschriebene, 1989 überarbeitete Erzählung Was bleibt. Die Kritik richtete sich auf sie als vorgebliche Repräsentantin einer autoritätsgläubigen "Stillhalteliteratur" und "machtgeschützten Innerlichkeit", die das System mit ihrer halbherzigen Kritik stabilisiert habe. Von Teilen des westlichen Feuilletons und DDR-Dissidenten wie Hans Noll geführt, steuerte die Debatte auf eine Auseinandersetzung mit der deutschen Nachkriegsgeschichte zu, die zur notwendigen Einschränkung des Vergleichs der DDR mit dem Nazi-Reich führte.

    ... heute, nachdem die Wogen sich geglättet haben, antwortet sie auf die Frage nach der Zukunft:

    Worauf richtet sich eigentlich die Hoffnung? Eigentlich darauf, dass Menschen oder eine große Zahl von Menschen auf Dauer nicht genügsam sind, sich nicht mit dem zufrieden geben, was ihnen vorgefertigt wird.