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180 Kubikmeter Wasser pro Sekunde

Energie.- Norwegen verdankt seinen Aufstieg zur modernen Industrienation vor allem der Energie aus Wasserkraft. Im Land der Fjorde werden das Schmelzwasser im Frühjahr und der Regen im Herbst in Hunderten Stauseen zurückgehalten. Bald könnte auch Deutschland davon profitieren.

Von Alexander Budde | 14.01.2010
    Mit seinen runden Fenstern und gotischen Giebeln wirkt das Wasserkraftwerk Nomeland im Süden Norwegens wie eine Kathedrale aus Pioniertagen. Vor einem halben Jahrhundert noch waren in der Anlage 20 Kollegen beschäftigt, sagt Roald Tjorteland. Heute sieht der Techniker für den Stromkonzern Agder Energi ganz allein nach dem Rechten. Tjorteland kann die Turbinen innerhalb von Minuten wie von Geisterhand starten oder anhalten. Per Fernsteuerung aus der Zentrale.

    "Wir haben zwei Perioden im Jahr, in denen sehr viel Wasser fließt: Im Frühling, wenn der Schnee schmilzt. Und im Herbst, wenn es regnet. Das Wasser wird in großen Stauseen gespeichert, so dass wir es das ganze Jahr über nutzen können."

    Die 28 Meter hohe Betonmauer hat den Fluss Otra zu einem See gestaut.
    Auf seiner 245 Kilometer langen Reise von der Quelle im Hochland bis zur Mündung in die Nordsee bei Kristiansand passiert der Fluss acht Stauwerke. Eines davon ist Nomeland, mit seinem Baujahr 1920 eine der ältesten Anlagen in Norwegen. Doch die Technik sei bewährt, versichert Tjorteland.

    "Hier sehen wir das Steuerpult für die Francis-Turbinen, die im Prinzip seit 1920 zuverlässig laufen. 20 Meter stürzt das Wasser aus dem Stausee durch die Turbinen. 180 Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Damit können wir im Jahr 170 Gigawattstunden produzieren, genug um 15.000 Haushalte zu versorgen."

    Einige Kilometer flussabwärts bei Hunsfoss verschrauben Arbeiter die letzten Rohrleitungen eines neuen Wasserkraftwerks. Mehr als drei Dutzend betreibt Agder Energi im Süden des Landes. Und das Potenzial ist noch bei weitem nicht ausgeschöpft. In den Bergen werden kleinere Stauwerke gebaut, bestehende Anlagen rüsten die Ingenieure mit neuen Zuleitungen und leistungsfähigen Turbinen auf. In den nächsten zwei Jahren will Norwegens zweitgrößter Stromproduzent umgerechnet rund 250 Millionen Euro in die Modernisierung investieren und die Produktion um eine Terrawattstunde steigern.

    Deutsche Windmühlen sind ein wichtiger Faktor im Kalkül, sagt Edvard Lauen. Er ist Chef des norwegisch-schweizerischen Konsortiums NorGer, an dem das kommunale Unternehmen Agder Energi beteiligt ist. NorGer will bis 2015 rund eine Milliarde Euro in ein 600 Kilometer langes Gleichstromkabel vom Flekkefjord in Südnorwegen, einmal quer durch die Nordsee, bis ins niedersächsische Wilhelmshaven investieren. Profitieren würden Norweger und Deutsche gleichermaßen, versichert der Manager.

    "Windkraft ist stark vom Wetter abhängig, zugleich muss im Netz ein Gleichgewicht herrschen. Wenn in Deutschland starker Wind bläst und mehr grüner Strom produziert wird als benötigt, kann man ihn über das Kabel nach Norwegen exportieren."

    Norwegens Wasserkraftwerke stellen dann ihren Betrieb ein und das Land wird von Deutschland mitversorgt. Herrscht in Deutschland Windstille, werfen die Norweger ihre Wasserkraftwerke wieder an. Über das Kabel wird Energie aus Norwegen nach Deutschland geliefert. Möglich machen das sogenannte Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ). Zu den dänischen Nachbarn und in die Niederlande sind sie bereits verlegt. Die Norweger verdienen an diesem Handel, weil sie in Zeiten der Stromknappheit ihren Partnern relativ hohe Preise machen können. Zwar beäugt die heimische Schwerindustrie das Projekt mit Argwohn - die energieintensiven Unternehmen fürchten generell steigende Strompreise - doch Edvard Lauen sieht auch für seine Kunden in Norwegen nur Vorteile:

    "Auch bei der Wasserkraft gibt es starke Variationen. In regenarmen Jahren könnten wir Norwegen bei stabilen Preisen sicher versorgen. Hinzu kommt, dass es ohne neue Kabelverbindungen kaum einen Anreiz gibt, unsere Wasserkraft weiter auszubauen. Dabei haben wir hier im Norden ein riesiges Potenzial."

    Auch die Windkraft ließe sich so beflügeln, verspricht der Manager. Sobald Norwegen und Deutschland verkabelt sind.