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20 Jahre Bologna-Prozess
Ziele noch nicht erreicht

Hohe Studienabbrecher-Quoten, kaum Arbeitsmarktbezug, keine europäisch vergleichbaren Abschlüsse – das sollte sich mit der Bologna-Reform ändern. Doch 20 Jahre nach Beginn ist der Prozess hierzulande noch lange nicht abgeschlossen. Nur in einem Punkt sind deutsche Studierende schon Spitzenreiter.

Von Hilde Weeg | 26.04.2019
Studenten protestieren 2006 in Barceclona gegen die Bologna Reform.
In ganz Europa protestierten Studierende immer wieder gegen die Bologna-Reform, wie hier 2006 in Barcelona (picture-alliance / dpa / epa Toni Garriga)
Die Bologna-Reform wollte drei Dinge erreichen: dass die Studienabschlüsse europaweit vergleichbarer werden, die Studierenden und Forschenden europaweit mobiler und die Abschlüsse auf den Bedarf der Wirtschaft abgestimmt werden. Was diese Ziele betrifft, fällt die Bilanz der Hochschulforscherin Barbara Kehm vom Leibniz Centre for Science and Society in Hannover eher gemischt aus. Sie stellt fest:
"Dass der Bolognareform-Prozess erfolgreich war hinsichtlich der strukturellen Veränderungen, also der Aufbau dieser gemeinsamen Architektur, aber dass die inhaltlichen Ziele zum Teil noch nicht erreicht wurden."
Das System mit Bachelor- und Masterabschlüssen und dem weiterführenden PhD habe sich insgesamt europaweit bewährt, ebenso sei die Mobilität gestiegen, wenn auch nicht überall. Gerade deutsche Studierende seien aber mobiler als vor der Reform, sagt Kehm:
"38 Prozent der Studis gehen raus – und das ist weit weit über dem Ziel der Europäischen Kommission, bis 2020 20 Prozent der Studierenden für eine Zeit zum Studium ins Ausland zu schicken. Großbritannien hat da fast eine Null-Linie. Also wir sind die Kings der Mobilität – das ist doch was!"
Flexibilität leidet unter Bürokratie
Im Vergleich zu anderen Ländern wie etwa den Niederlanden oder der Schweiz, wo die Reform bereits weitgehend umgesetzt sei, habe es in Deutschland viel Widerstand gegeben. Man habe versucht, alte Lehrpläne in das neue Format zu pressen – und damit Studierende und Lehrende überfordert. Barbara Kehm führt aus:
"Deutschland leidet wahrscheinlich in der Umsetzung darunter, worunter Deutschland immer leidet: zu viel Bürokratie. Also alles wird geregelt und reguliert – und dann kommt die nötige Flexibilität abhanden."
Zum Symposium geladen hatte der Generalsekretär der Volkswagenstiftung Wilhelm Krull, selbst Kenner der Hochschullandschaft in Deutschland und Europa sowie Mitglied diverser Gremien und Kommissionen. Er erinnert an die Ausgangssituation vor der Reform in Deutschland mit einer hohen Studienabbrecher-Quote und wenig Bezug der Studiengänge zum Arbeitsmarkt. Bei der Umstellung Bachelor- und Master habe man aber Fehler gemacht.
"In Deutschland wurde das weiter verengt – im Sinne von: eigentlich soll am Ende des Bachelor schon die Spezialqualifikation stehen –, was im anglo-amerikanischen Kontext überhaupt nicht der Fall ist."
Transformation im laufenden Betrieb
Für eine echte Neukonzeption der Hochschulbildung mit Bedarfsanalysen und klarem Konzept habe es weder Zeit noch Geld gegeben. Im Gegenteil: Man habe bei laufendem Betrieb die Transformation leisten müssen – und das bei steigenden Studierendenzahlen. Manche Fehler gebe es bis heute, so werde nicht immer geprüft, ob das eigene Lehrangebot überhaupt dem Bedarf entspreche:
"Bei neuen Studiengängen, wo dann meine Nachfrage im Hochschulrat der Einrichtung erbrachte: Nein, wir haben natürlich noch keinen Personalchef irgendwo gefragt. Aber wir denken, das ist der ideale Studiengang für die Leute in den Back-Offices der Großunternehmen. Und dass man da eine Bauchlandung erlebt, ist, glaube ich, ziemlich klar."
Peter-André Alt, der Präsident der Deutschen Hochschulrektorenkonferenz, sieht ebenfalls in einigen Bereichen Nachbesserungsbedarf: "Wir müssen das Studium in einigen Punkten entlasten von Themen, die vielleicht auch nicht mehr zeitgemäß sind." Insgesamt fällt aber auch sein Fazit positiv aus:
"Ich denke, dass es seine Weichenstellung in die richtige Richtung war in einer Zeit, in der immer mehr junge Menschen an die Hochschulen drängen. Und deshalb brauchten wir ein strukturiertes System mit Bachelor und Master. Das war richtig. Andererseits müssen wir uns fragen, was passiert wäre, wenn wir kein Bologna-System gehabt hätten. Dann wäre ein riesiges Chaos entstanden."
Ziele weiterhin aktuell
Insgesamt sei der Bologna-Prozess nicht abgeschlossen, sondern genau das: ein weitergehender Prozess. Von den Bildungsministern wurde er auch deshalb initiiert, um die Gesellschaften zu stärken. Aus der Initiative von vier Staaten ist mittlerweile eine Plattform für Hochschulbildung von 48 Staaten erwachsen, deren Einfluss über die Europäische Union weit hinausgeht. In Zeiten des zunehmenden Rückzugs auf nationale Interessen kann nun der Bologna-Prozess für die internationale politische Zusammenarbeit helfen. Georg Winckler, Gründungspräsident der Vereinigung Europäischer Universitäten, wünscht sich mehr Mut auf Seiten der Politik:
"Und jetzt müssen wir das verteidigen gegen die Regierungen, zum Beispiel in Ungarn oder in anderen Ländern. Wo wir der Meinung sind, dass die Universitätsautonomie wieder zurückgenommen wird."
Freiheit von Forschung und Lehre, Autonomie der Universitäten: Diese Ziele sind 20 Jahre nach Beginn der Bologna-Reform weiterhin aktuell.