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20 Jahre Stiftung Aufarbeitung
Den verengten Blick auf die DDR weiten

Seit 20 Jahren beschäftigt sich die Stiftung Aufarbeitung mit der SED-Diktatur in der DDR. Ihr Auftrag: "Aus der Vergangenheit lernen". Doch es gibt auch Kritik an ihrer Art der Aufarbeitung: Mit dem Verständnis der DDR als Unrechtsstaat würden auch die Lebensgeschichten der Ostdeutschen denunziert.

Von Claudia van Laak | 17.10.2018
    Jugendliche beim Baden im Brunnen, Turn und Sportfest der DDR, Leipzig, DDR, 1983
    Turn und Sportfest der DDR, Leipzig, DDR, 1983 (dpa / imageBROKER / Michael Nitzschke)
    Die Bundesstiftung Aufarbeitung, die Stasi-Unterlagenbehörde, die Gedenkstätte Hohenschönhausen, der Forschungsverbund SED-Staat, das Zentrum für zeithistorische Forschung Potsdam, dazu noch eine ganze Reihe von lokaler und regionaler Gedenkstätten im Osten Deutschlands – Bund und Länder kümmern sich seit den 90er-Jahren intensiv um die Aufarbeitung der SED-Diktatur.
    75 Millionen Euro aus dem früheren SED-Vermögen hat die Bundesstiftung Aufarbeitung als Grundkapital erhalten – etwa 6 Millionen Euro hat sie jedes Jahr zur Verfügung. Sie vergibt Stipendien für Historiker, betreibt ein Zeitzeugenportal, entwickelt Ausstellungen, organisiert Konferenzen.
    "DDR bedeutet Stasi – so lautet vielerorts die Gleichung"
    Markus Meckel leitet den Stiftungsrat – der erste und letzte Außenminister einer frei gewählten DDR-Regierung ist grundsätzlich zufrieden mit der Arbeit.
    "Also zuerst muss ich sagen, dass ich sehr froh bin, dass diese Stiftung 20 Jahre lang arbeiten konnte. Wenn man sie nicht hätte, müsste man sie erfinden."
    Aber das Bild der DDR in Medien und Öffentlichkeit ist nach wie vor ein verengtes: DDR bedeutet Stasi – so lautet vielerorts die Gleichung. Markus Meckel nimmt für die Stiftung Aufarbeitung in Anspruch, auch andere Bereiche der DDR in den Blick genommen zu haben.
    "Die Stiftung war von Anfang an – übrigens wie auch die Enquetekommission – waren Instrumente der Aufarbeitung, die den Blick geweitet haben, vom verengten Blick auf die Stasi hin, auf die vielfältigen Erfahrungen von Repression, von Alltagserfahrung, um die DDR sehr differenziert wahrzunehmen."
    Kritik an der Aufarbeitung
    Der DDR-Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk sieht das anders. Wichtig und richtig sei es gewesen, dass Oppositionelle, dass Widerständler eine Stimme erhalten hätten. Andererseits: Die Aufarbeitung werde zu wenig wissenschaftlich betrieben, sei zu stark politisiert:
    "Es geht darum zu demaskieren, anzuklagen, das Unrecht so beim Namen zu nennen, dass es für die Opfer gut ist. Aber, und das ist das Problem, da fangen die Problem an, da ist nicht viel Platz für Grautöne."
    Die Aufarbeitung der SED-Diktatur hat einen politischen und einen pädagogischen Auftrag. Analog zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus lautet dieser: "Aus der Vergangenheit lernen." Markus Meckel:
    "Weil die Erkenntnis da ist, dass Aufarbeitung der Vergangenheit wichtig ist für die Etablierung von Demokratie. Für die Akzeptanz von Demokratie eben festzustellen, was sind für Verhältnisse da für die Menschen, wenn nichtdemokratische Verhältnisse die Gesellschaft beherrschen. Alle Gedenkstätten, die wir haben, sind Lernorte für Demokratie."
    Kowalczuk: "Und nun nach Chemnitz und vielen anderen Dingen muss man feststellen, dass das nicht so richtig funktioniert hat, jeder zweite Ostdeutsche kann sich heute vorstellen, die rassistische AfD zu wählen, fast jeder zweite Ostdeutsche fühlt sich als Deutscher zweiter Klasse."
    Natürlich sei daran nicht allein die Aufarbeitung schuld, sagt Ilko-Sascha Kowalczuk, aber der geschichtspolitische Auftrag, die DDR zu denunzieren, denunziere eben auch die Lebensgeschichte der Ostdeutschen.
    "Da würde ich schon sagen, dass die einseitige Art der Aufarbeitung dazu beigetragen hat, dass die Ostdeutschen mit dieser Form von Geschichtsbildern nicht zurande kamen, sie nicht annehmen konnten."
    Auch den Transformationsprozess nach 1990 in den Blick nehmen
    Anhänger der rechten Pegida-Bewegung in Sachsen knüpfen an die DDR-Opposition an und zielen mit dem 1989-er-Schlachtruf "Wir sind das Volk" auf die demokratisch gewählte Bundesregierung und den demokratischen Staat. DDR-Oppositionelle wie Vera Lengsfeld vergleichen die derzeitige gesellschaftliche Lage mit dem Ende der DDR.
    Markus Meckel, der erste und letzte Außenminister einer frei gewählten DDR-Regierung, leitet den Stiftungsrat der Bundesstiftung Aufarbeitung
    Markus Meckel, der erste und letzte Außenminister einer frei gewählten DDR-Regierung, leitet den Stiftungsrat der Bundesstiftung Aufarbeitung (dpa)
    "Das sind einfach verquere Gehirne, das Eine hat mit dem Anderen wirklich nichts zu tun", kommentiert Markus Meckel kurz und knapp.
    Doch ähnlich wie Ilko-Sascha Kowalzcuk hält es auch Markus Meckel für sinnvoll, die Aufarbeitung der SED-Diktatur nicht am 3.10.1990 enden zu lassen. Die Lage heute lasse sich nur erklären, wenn man auch den Transformationsprozess mit in den Blick nehme.
    "Hier mal genauer hinzuschauen und zu gucken, woher es kommt, dass sich Menschen minderwertig fühlen, das lohnt sich."
    Der DDR-Historiker Kowalczuk hält einen Generationswechsel für wichtig. Die Zeitzeugen an der Spitze von Gedenkstätten und Stiftungen sollten jüngeren Wissenschaftlern Platz machen.
    "Es wird Zeit, dass eine neue Generation das Zepter in die Hand nimmt. Die Revolution hat ihre Kinder nicht entlassen, aber sie hat sie längst in Rente geschickt und sie weigern sich, die Rente anzunehmen."