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200 Jahre Frankenstein
Die Kreatur, die niemals stirbt

Hässlich, künstlich, unsterblich: Mit Frankenstein schuf Mary Shelley eines der berühmtesten Monstren der Literatur, dessen Geschichte immer wieder bearbeitet und verfilmt wurde. Der Roman erschien 1818 - in New York wird das Jubiläum mit einer Ausstellung gewürdigt.

Von Sacha Verna | 13.10.2018
    Boris Karloff als Frankensteins Monster im Film von 1931.
    Boris Karloff spielt Frankensteins Monster 1931 in dem Film von James Whale (imago/Cinema Publishers Collection)
    "It’s alive, it’s alive! It’s alive!
    Das ist der irre Doktor, der in der legendären Filmversion von "Frankenstein" mit Boris Karloff als Monster die Finger seiner Kreatur zum ersten Mal zucken sieht.
    Ein Füllhorn von Exponaten
    "Frankenstein is very much alive, both in the popular imagination and in the world of stage and screen and also in the world of scholarship."
    Das ist John Bidwell, Kurator der New Yorker Ausstellung zum 200. Geburtstag von Mary Shelleys Klassiker. In der Pierpont Morgan Library ist ein wahres Füllhorn von Exponaten versammelt, die "Frankensteins" anhaltende Beliebtheit in der Populärkultur und unter Literaturwissenschaftlern und Psychiatern aufs prächtigste illustrieren. Da sind Schlüsselpassagen aus dem Originalmanuskript.
    "Es war eine trostlose Novembernacht, als ich mein Werk fertig vor mir liegen sah. Mit einer Erregung, die fast einer Todesangst glich, machte ich mich daran, dem leblosen Dinge den lebendigen Odem einzublasen. Es war schon ein Uhr morgens. Der Regen klatschte heftig an die Fensterscheiben, als ich beim Scheine meiner fast ganz herabgebrannten Kerze das trübe Auge der Kreatur sich öffnen sah. Ein tiefer Atemzug dehnte die Brust und die Glieder zuckten krampfhaft."
    Gut geplanter Bestseller
    Wie das Werk eines Fleischers, der sich für Michelangelo hielt, sieht die Maske aus, die Robert De Niro 1994 fürs Kino in Dr. Frankensteins unglücklichen Unhold verwandelte. Daneben beeindruckt Heinrich Füsslis berühmtes Gemälde "Der Nachtmahr". Die Szene mit der schlafenden Unschuld und dem Dämon steht für die Faszination, die das Übernatürliche im 18. und 19. Jahrhundert besonders auf das englische Publikum ausübte.
    "Mary Shelley wollte mit diesem Roman Geld verdienen. Und da die Schauerliteratur die beliebteste Gattung ihrer Zeit war, versprach sie sich davon am ehesten einen Bestseller. Aber als Tochter einer Feministin und eines radikalen politischen Denkers kam sie nicht umhin, zugleich einen
    "Frankenstein" stellt existentielle Fragen und inszeniert archetypischen Figuren: Was ist der Ursprung des Lebens? Wie kommt der faustische Mensch mit den unbeabsichtigten Folgen seiner Handlungen zurecht?"
    "Angesichts der Fortschritte in der heutigen Wissenschaft könnte man sagen, wir hätten unseren eigenen Frankenstein. Stammzellenforschung, Klonen - damit kommen wir dem doch sehr nahe, was Victor Frankenstein als Student an der Universität Ingolstadt versuchte.
    Horrorreißer oder Science Fiction?
    Sezierbesteck, Apparaturen für Experimente, Illustrationen von Ärzten bei der Arbeit: Sie dokumentieren die rationalen Bemühungen, das Diesseits von Mary Shelleys Welt, in der man zugleich dem Jenseits huldigte.
    "Mary Shelley ist ziemlich vage, was die wissenschaftlichen Methoden betrifft, mit der Dr. Frankenstein sein Monster erschafft. Aber sie macht klar, dass es kein Hokuspokus ist. Deshalb halten viele Kritiker "Frankenstein" für den ersten Science-Fiction-Roman."
    Ob Science-Fiction oder Horrorliteratur, romantische Spinnerei oder groteske Phantasie: Mary Shelleys Schöpfung ist im Gegensatz zu Dr. Frankensteins Kreation so wunderbar wandelbar, dass sie bestimmt auch die nächsten 200 Jahre überlebt. Diese gelungene Ausstellung ist jedenfalls dar beste Beweis dafür.