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200 Jahre Gipsformerei
Wo der alte Fritz sich an Apollo schmiegt

Früher waren es Adel und gehobenes Bürgertum, die sich Gips-Kopien antiker Statuen leisteten. Heute sorgt ein Riesenauftrag aus China dafür, dass sich die 200 Jahre alte Berliner Gipsformerei halten kann. Ihr größter Schatz: tausende an Modellen, eine abendländische Kulturgeschichte in Gips.

Von Dieter Wulf | 15.03.2019
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Antikes Antlitz in Gips neu geformt (Berliner Gipsformerei)
"Da hinten sehen Sie das Mastermodell des Bamberger Reiter, hier der Herakles von Nese, um die Ecke sehen Sie die Prinzessinnentöchter", erklärt der Leiter der Berliner Gipsformerei, Miguel Helfrich, in der Modellhalle der Berliner Firma. Ein riesiger Raum mit hohen Decken. In der Mitte stehen gerade zweieinhalb bis drei Meter hohe Kopien griechischer Marmorskulpturen, die gerade bearbeitet werden. Seit 1891 produziert die Gipsformerei hier in der Nähe vom Schloss Charlottenburg.
Löwe aus Babylon an der Fassade in Berlin
An der Außenfassade des Hauses, das damals extra für die Kopierwerkstatt gebaut wurde, deutet ein Löwe aus der Stadtmauer von Babylon auf die Handwerkskunst. Das Original kann man im Pergamonmuseum besichtigen. Im Inneren stehen in der Modellhalle große, geradezu riesige Gestalten dicht an dicht. Die meisten in Gipsweiß, manche als Marmorimitat bemalt.
"Hier ist der Alte Fritz zum Beispiel, dahinten sehen Sie den Apollo von Belvedere, dann sehen Sie hier einen syrischen Wettergott zum Beispiel. Da ist Friedrich Wilhelm II, also unterschiedlich, da hinten ist der Graf von Schwerin, also querbeet sage ich mal", zählt Miguel Helferich auf. Der Graf von Schwerin, als Original im Berliner Museum für byzantinische Kunst zu bewundern, steht hier mit wallendem Gewand als Gipskopie, etwas eingequetscht direkt neben dem Preußenkönig.
36 Tage Fußmarsch für die erste Fachkraft
Ab dem siebzehnten, achtzehnten Jahrhundert stieg überall in Nordeuropa das Interesse an der klassischen Antike. Ob bei Hofe oder im gehobenen Bürgertum, überall war es jetzt schick, sich Kopien klassischer Skulpturen aus Italien kommen zu lassen. Als der Louvre in Paris dann eine eigene Kopierwerkstatt gründete, wollte man auch in Preußen nicht nachstehen. Und so gründete 1819, also vor genau 200 Jahren, König Friedrich Wilhelm der Dritte die "Königlich preußische Gipsgussanstalt". Statt die kopierten Klassiker teuer in Italien zu kaufen, ließ man Handwerker kommen.
"Der erste Mitarbeiter war ein Italiener, der kam aus Carrara, der ist hierhergelaufen in 36 Tagen, glaube ich, kam der hierher zu Fuß. Das war dann auch der offizielle Anlass, die Gipsformerei zu gründen. Das Gipsabformen und diese Technik ist ja eine sehr alte Technik, die wurde auch schon vor 2000 Jahren und früher angewandt. Im alten Ägypten zum Beispiel."
Kamen die Kunden früher aus dem kunstbeflissenen Bürgertum, kommen die Aufträge heute hauptsächlich aus Amerika und mittlerweile immer häufiger aus dem Reich der Mitte. So meldete sich vor knapp drei Jahren die chinesische Kunstakademie in Hangzhou und bestellte eine Gesamtkopie des Pergamon-Frieses. Ein Riesenauftrag. Die letzten beiden Jahre war die Gipsformerei fast komplett mit diesem Großauftrag aus China ausgelastet, erzählt Miguel Helferich:
"Unser großer Schatz sind diese Kernstück-Formen, weil sie eben aus einzelnen kleinen Elementen bestehen, und davon haben wir 3.000 Formen bei uns im Bestand, die sind sozusagen einmalig."
Diese müssen dann bei der Produktion wie in einer Art 3-D Puzzle zusammengesetzt werden, erklärt der Werkstattleiter Stefan Kramer.
Was Gips besser kann als Silikon
Mit Silikon wäre das viel einfacher, meint er. Der Nachteil aber, Silikonformen halten nur wenige Jahre. Also benutzt man weiter die komplizierten aber beständigen Techniken.
"Sie sehen auch, wie viele kleinteilige Sachen dabei sind. Es ist auch sehr mühevoll, dies zusammenzuarbeiten, aber wenn man es einmal geschafft hat und dieses riesengroße Stück dann sieht, und das ausgegossen hat und man es abgenommen hat, dann hat man den wunderbaren Abguss."
Auf dem Weg von der Modellhalle zur Werkstatt, in den Gängen, den Treppenhäusern, überall hängen, stehen, liegen Formen und Modelle.
"Schön durch die Fingerchen" rieselt abendländische Kultur
Zweimal im Monat, jeweils mittwochs werden Führungen angeboten. Aber hier wird eben auch produziert. Jan Bürgel, der als Stuckateur hier arbeitet, hat gerade frischen Gips angerührt.
"Also zuerst kommt Wasser, und anschließend wird fein der Gips eingestreut. Schön durch die Fingerchen rieseln lassen, dass das gleichmäßig eingestreut wird und keine Klumpen ergibt. Natürlich nicht so einen Riesenberg dann, sondern es müssen sich kleine Inselchen bilden, die sich dann mit dem letzten Wasser vollsaugen und dann kurz ziehen lassen, wir nennen das auch 'sumpfen lassen', dann können wir den Gips durchschlagen."
Als gewerblicher Betrieb der Stiftung preußischer Kulturbesitz müsse man mit den Einnahmen zwar die Gehälter der etwa 20 Mitarbeiter erwirtschaften, erklärt Miguel Helfrich. Um Gewinnerzielung aber gehe es nicht.
"Wenn Sie so ein Unternehmen wie die Gipsformerei wirtschaftlich führen wollen würden, dann würden Sie sagen, okay, von den 7.000 Formen gucke ich mir die 50 am besten laufenden an und die anderen verkaufe ich oder werfe die auf den Abfall."
Das aber gehe natürlich nicht. Die Kunden sind meist Institutionen, Museen, Architekten oder Künstler. Aber auch jede Privatperson kann hier über den Online-Katalog Kunst-Kopien quer durch die Zeitalter bestellen.