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200 Jahre Musikalische Akademie München

Im 19. Jahrhundert nahmen die Bürger das Heft in die Hand. Sie ließen sich porträtieren wie vormals nur der Adel. Sie organisierten das Musikleben ihrer Stadt in eigener Regie. Ein Bespiel dafür ist die Musikalische Akademie in München, die nun 200 Jahre Bestehen feiert.

Von Wolf-Dieter Peter | 10.12.2011
    Von wegen: Nur elitäre Hochkultur! Im Münchner Nationaltheater gab es hellen Jubel für ein bislang unerhörtes Geburtstagsgeschenk des 38-jährigen Münchners Jörg Widmann. Zur Feier des Tages, nämlich "200 Jahr Musikalische Akademie" hat er einen "Bayerisch-babylonischen Marsch" komponiert: eine amüsant-freche Verschmelzung urbayerischer Blasmusik-Seligkeit mit herrlich schrägen Verzerrungen ins grell Dissonante. Die Uraufführung traf ins Zentrum des Feiertages, denn in München gab es immer auch revolutionär Reformerisches. 200 Jahre zurück: 1811 - noch toben die Napoleonisches Kriege; für den Russland-Feldzug werden bayerische Soldaten ausgehoben - und 30.000 von ihnen werden sterben; da ist die Erhebung zum Königreich Bayern 1806 nur ein Schönheitspflaster. Doch der kunstsinnige König Max I. Joseph trägt dem seit der Französischen Revolution und den Reformen seines aufgeklärten Super-Ministers Montgelas auch in Bayern erwachten Bürgersinn Rechnung. Er gestattet den bislang unter den Kammerdienern eingestuften Hofmusikern die Gründung einer unternehmerisch eigenständigen, also bürgerlichen "Musikalischen Akademie": an spielfreien Tages des Hoftheater dürfen sie auf eigene Rechnung eine Konzertreihe veranstalten. Nicht nur, dass sofort 456 Abonnements verkauft werden - getreu dem Akademie-Gedanken wird in den Programmen auf Bildung und Niveau geachtet. Die junge Ruth-Elena Schindel, Vorstandsmitglied und Bratscherin im Staatsorchester, zitiert begeistert einen Leitspruch aus dem Jahr 1811:

    "Zum kühnsten Modernen - Beethoven - muss man endlich sich bekennen!"

    Und so kam 1811 lauter zeitgenössische Musik zur Aufführung: die 2.Symphonie des damals 41jährigen, heftig umstrittenen Beethoven; anschließend eine Arie aus "Abu Hassan" des 25jährigen Carl Maria von Weber; dann das Violin-Konzert des 1806 unerwartet mit 35 Jahren verstorbenen Carl Cannabich; nach der Pause zwei Werke des 57jährigen Münchner Hofkapellmeisters Peter von Winter - eine Opern-Arie aus "Zaira" und sein Oboen-Konzert; dann das Kerker-Duett Leonora-Florestan aus der damals populären Rettungs- und Befreiungsoper "Leonora" des 40jährigen Ferdinando Päer und gleichsam als heiterer "Rausschmeißer" die "Anacreon"-Ouvertüre des 51-jährigen Luigi Cherubini - ein musikalisch reiches, herrlich vielfältiges Programm von drei Stunden. Die aktuelle Wiederholung nun unter GMD Kent Nagano, mit Sopranistin Marlies Petersen, Violin-Konzertmeister David Schultheiß und dem umjubelten Solo-Oboisten Giorgi Gvantseladze geriet zur rauschenden Feier. Zu Recht: Da gab es in den 200 Jahren nicht nur ein Defilee aller musikalischen Größen - da gibt es ein enormes Engagement der sich bis heute selbst verwaltenden Akademie durch drei fundamentale Wirtschaftskrisen und zwei Weltkriege hindurch. Da mussten die Dirigenten bis 1972 auf ihr Honorar verzichten und ein Teil der Einnahmen floss in einen Hilfsfond für in Not geratene Orchestermitglieder. Erst die Star-Solisten und -Dirigenten des Musik-Jet-Sets zwangen die "Musikalische Akademie" unter das Finanzdach der Bayerischen Staatsoper. Doch da blüht die Akademie weiter: nicht nur mit Konzerten und gelegentlichen Uraufführungen, sondern zukunftsorientiert - soeben mit dem "Echo-Klassik" für die beste Nachwuchsarbeit ausgezeichnet - durch das Jugendorchester "ATTACCA". Nochmals Ruth-Elena Schindel:

    "Dort spielen ja, die sind im Schüleralter, die können sich durch ein Probespielen qualifizieren. Da wird sicher der ein oder andere hoffentlich auch Profinachwuchs sein. Aber wir bekommen schon mit, dass die einfach gebunden werden, an das Haus, aber auch überhaupt daran, dass sie in Konzerte, dass sie Publikum werden, weil sie nah an uns dran sind, dadurch Impulse bekommen und Neugier geweckt wird und Interesse."

    Um die Zukunft der Münchner Akademie-Konzerte muss einem also nicht bange sein - herzlichen Glückwunsch und: danke!