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2012 im Gespräch - im Sportgespräch

Das Sportgespräch: jeden Sonntag eine halbe Stunde Interview mit Sportlern, Trainern, Funktionären oder anderen Entscheidungsträgern. Im Laufe eines Jahres kommt einiges an spannendem Material zusammen. Eine Collage der einprägsamsten und provokativsten Aussagen.

Von Bastian Rudde |
    Die Biathletin Magdalena Neuner war nie eine Sportlerin, die sich in Phrasen geflüchtet hat. Sie hatte immer ihre Meinung und meistens auch keine Angst, sie auszusprechen. Doch als es im Sportgespräch um ihre Erfahrungen bei Olympischen Spielen geht, scheint es aus Magdalena Neuner rauszuplatzen.

    "Da wird man nur noch von A nach B gezogen. So, du musst jetzt in dieses Mikrofon reinsprechen und du lachst jetzt da rein. Man war wie so eine Marionette, die nur rumgeschubst worden ist. Meine Eltern waren vor Ort und ich hatte keine Möglichkeit, einfach mal zu meinen Eltern zu gehen und einfach mal kurz mich umarmen zu lassen."

    Das Sportgespräch mit Magdalena Neuner ist eines der letzten im Jahr 2012. Einem Jahr, in dem die halbe Stunde vor Mitternacht am Sonntagabend wieder steht für Fragen, die vorausschauend sind und nachhakend.

    …Die zeitlos sind und aktuell.
    …Politisch und privat.

    "Heute zum Thema: Gott ist immer der Mittelpunkt und immer dabei. Sportgespräch mit Golfer Bernhard Langer über die Bibel und deren Bezug zum Spitzensport von heute."

    Fast 30 Jahre, erzählt Bernhard Langer, sei er nicht gläubig gewesen. Jetzt scheint er umso überzeugter.

    "Ich glaube nicht an die Big-Bang-Theory oder dass wir vom Affen kommen oder sonst was. Das ist für mich reiner Blödsinn. Tschuldige, wenn ich’s mal so auf gut Bayrisch sag. Aber da braucht man viel mehr Glauben, um an so was zu glauben, als an Gott zu glauben."

    Dieser Gott, meint Bernhard Langer, hilft dann und wann auch beim Golfen.

    "Ich weiß, das Gott auch Kontrolle über das hat. Er kann auch den Ball so beeinflussen oder mich oder meinen Schwung oder meine Gedanken, dass das mal besser oder mal schlechter ist."

    Dirk Nowitzki kontrolliert lieber alles selbst. Der deutsche Basketball-Superstar erzählt im Sportgespräch, dass er für seine Karriere von Beginn einen eigenen Masterplan hatte.

    "Wenn du in Deutschland rauskommen und in der NBA das schaffen willst, dann musst du was können, was keiner kann. Wenn du dasselbe Zeug machst wie alle anderen, dann kommst du quasi nie auf den Radar drauf, ja, weil das machen Hunderttausende andere. Du muss was können, was keiner kann!""

    Und um das zu erreichen, hat Dirk Nowitzki Methode. Nicht nur, dass er zusammen mit seinem persönlichen Betreuer die optimale Flugkurve des Balles berechnet. Nein, er geht es ganzheitlich an, probiert andere Sportarten aus, macht Yoga, versucht sich an Musikinstrumenten.

    ""Dann hab ich ein bisschen Gitarre gespielt, dann hab ich ein bisschen Klavier angefangen. Dann hab ich ein bisschen getrommelt, ich hab zu Hause ein Trommelset. Ich kann ein bisschen überall was, kann auch ein paar Songs auf der Gitarre spielen. Irgendwie so Country Roads oder so was, was Relaxtes. Oder Satisfaction von den Stones, was leicht ist zu spielen, aber trotzdem gute Hits."


    Das Sportjahr 2012 ist ein Jahr der persönlichen Sportlergeschichten. Es ist auch ein Jahr der Megaereignisse. Fußball-Europameisterschaft und Olympische Sommerspiele. Vor allem um London geht es im Sportgespräch immer wieder. Es geht um Erwartungen an Olympia.

    …Um Leistungsdruck bei Olympia.
    …Um die Geschichte von Olympia.

    …"Heute zum Thema: 40 Jahre danach. Olympia 1972 in München."

    "Wer heute mit mir spricht über diese Spiele, der sagt: ‚Ihr habt die besten Spiele gemacht, die es gibt.’ Aber dann kommt natürlich das Aber…"

    Die Geiselnahme. 17 Menschen sterben, größtenteils israelische Sportler. Walther Tröger ist Bürgermeister des Olympischen Dorfes, verhandelt mit den Terroristen.

    "Die Verhandlungen gingen eigentlich recht locker vonstatten, wenn man das sagen kann. Wenn der Partner, der einem gegenüber steht, eine Handgranate in der Hand hat und von oben kann man sagen zwei Maschinengewehre auf einen gerichtet sind. Aber am Anfang war das eben so, dass ich offen mit ihm sprechen konnte. Ich habe ihm sehr viele Fragen gestellt. Auch: ‚Wie kommen sie hier rein? Und wie kommt das? Und wieso machen sie das überhaupt?’ Und er hat die Fragen auch offen beantwortet. Auch bis dahin, dass er gesagt hat: ‚Wir können gar nichts verlieren. Wir sind tot soundso meine Kollegen und ich.’ Das war ein Selbstmordkommando."

    "Ich fand es sehr in Ordnung, dass die Spiele weiter gegangen sind, um eben den Attentätern nicht diese, ja, Genugtuung zu geben, dass man sich sehr aus der Balance gerissen hat."

    Sagt Ulrike Nasse-Meyfarth. Wenige Stunden vor dem Geiseldrama wird sie zu dem sportlichen Gesicht von München 72. Olympiasiegerin im Hochsprung mit 16 Jahren.

    "Die Zuschauer standen alle hinter mir. Das war schon ein irres Gefühl, ein irres Erlebnis, wie die mitgespielt haben, wie die still waren, als ich mich konzentriert hatte und wie die dann aufbrausten in ihrem Beifall. Das konnte ich dann erst im Laufe der Jahre einordnen, was das für ein Event, für ein Erlebnis war. Das war irgendwie ein riesen Miteinander, was man da erleben konnte, und das fand ich schon toll. Und das war schade, dass das durch das Attentat kaputt gemacht wurde. Aber damit musste München fertig werden."

    Das Sportjahr 2012 ist nicht nur ein Jahr der Megaereignisse. Es ist auch ein Jahr, in dem sich der Sport Grundsatzfragen stellt. Im Sportgespräch geht es um die Transparenz von Sportpolitik.

    …Um die Interessen von Verbänden.
    …Um die Wahrheit im Anti-Doping-Kampf.

    … "Heute zum Thema: Dopingfrei? Nein danke!"

    Darin behauptet der früher einflussreiche Dopingdealer Stefan Matschiner, dass manche Athleten bereit seien, ihr Leben aufs Spiel zu setzen für lukrative Siege.

    "Diese Risikobereitschaft ist teilweise auch für mich erschreckend. Also wenn Athleten es praktisch schon riechen, die Millionenverträge, also die sind bereit Dinge zu tun, das ist für uns nicht nachvollziehbar. Dann sind die schon bereit, viele, viele Jahre ihres Lebens zu riskieren. Für einen Olympiasieg, bitte nehmt mir fünf Jahre!"

    Es ist ein düsteres Bild, das Stefan Matschiner zeichnet. Nicht nur von den Athleten.

    "Es ist ja auch nicht im Interesse des Staates, jetzt da reinen Tisch zu machen. Also dieser dopingfreie Sport, der ist ja in Wirklichkeit nicht gewünscht."

    Eine extreme und streitbare Sicht. Aber die Frage, wie ernsthaft der Anti-Doping-Kampf betrieben wird, treibt die deutsche Sportpolitik 2012 um. Im Sportgespräch bezieht der Spitzenfunktionär Helmut Digel Stellung.
    "Was ich aus deutscher Sicht sagen muss, dass man in Deutschland dringend eine Anti-Doping-Gesetz benötigen würde. Es ist einfach ein Tatbestand, dass dann, wenn man Doping als eine kriminelle Aktion betrachtet, der Athlet nicht mehr so geschützt sein darf, wie er bei uns geschützt ist."

    Genauso wie der ehemalige Dealer Stefan Matschiner hat auch Helmut Digel wenig Vertrauen in das System Sport.

    "Wir können und müssen davon ausgehen, dass sich grundsätzlich in allen Sportarten das Risiko erhöht hat, dass Athleten gegenseitig sich betrügen."

    Das Sportjahr 2012 ist nicht nur ein Jahr der großen Grundsatzfragen. Es ist auch ein Jahr, in dem das Schicksal einzelner Sportarten auf die Tagesordnung rückt. Im Sportgespräch geht es um die Hoffnungen im deutschen Tennis.

    …Um die Sorgen im deutschen Handball.
    …Um die Entwicklungen im deutschen Fußball.

    … "Sportgespräch zum Start der 50. Bundesligasaison mit Ewald Lienen."

    Und mit persönlichen Erinnerungen wie es vor ein paar Jahrzehnten so sein konnte, in Bielefeld Fußball-Profi zu werden.

    "Als ich bei Arminia aufgeschlagen bin 1974, da war ich schon hochgradig irritiert, was da so abging, wie knallhart es zur Sache ging, wie knallhart um Plätze in der Mannschaft gekämpft wurde. Auf jeden Fall habe ich nach ein paar Wochen gesagt: ‚Ich komm wieder nach Hause, das macht hier keinen Sinn, hier sind ja ein paar Verstörte dabei!’"

    Denen zum Trotz kehrt Lienen in die Bundesliga zurück, ist langjähriger Spieler und Trainer – und vergleicht im Sportgespräch Heute mit Damals.

    "Es gibt Teilaspekte, wo man wirklich sagen muss, das war schöner. Es ist einfach früher so gewesen, dass Fußballmannschaften mehr wirkliche Mannschaften waren, die befreundet miteinander waren, die aus der Region kamen. Wenn man Bayern München aus den Zeiten sieht, wenn man Borussia Mönchengladbach in den 60er Jahren sieht. Das sind ja alles Spieler gewesen, die aus den Städten selbst kommen, zum Teil jahrelang in der Jugend groß geworden sind, und dann, und dann…"

    …und dann kam halt irgendwann die Globalisierung auch in der Bundesliga an. Die gerät im 50. Jahr nach ihrer Gründung in eine Sinnkrise. Mit einem heftig diskutierten Konzept will die Deutsche Fußball-Liga DFL für mehr Sicherheit in den Stadien sorgen. Neuer Geschäftsführer der DFL ist ab 2013 Andreas Rettig. Als er 2012 im Sportgespräch zu Gast ist, arbeitet Rettig noch Manager beim FC Augsburg. Doch schon damals vermittelt sich ein Eindruck von seiner Philosophie des Sports.

    "Ich kann nur sagen, ich bin grundsätzlich Traditionalist. Aber ich weiß auch: Vor vielen, vielen Jahren gab’s noch die Drehscheibe beim Telefon – und die will auch keiner mehr."

    Andreas Rettig kennt das Innenleben von Vereinen und Verbänden sehr gut. Vom 2012 neu gewählten Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes, Wolfgang Niersbach, erhofft sich Rettig frischen Wind im DFB. Der, sagt Rettig indirekt, sei strukturell etwas eingerostet.

    "Es ist schon eine Ochsentour. Also die Zahl der Seiteneinsteiger oder Quereinsteiger die hält sich da in überschaubaren Grenzen. Also sie müssen wirklich da vom Kreis über den Bezirk zum Verband. Also sie haben schon ein paar Jahre auf dem Buckel, bis sie da mal mit am Tisch sitzen dürfen. Es sind hier, das muss ich ganz offen sagen, halt oftmals auch zu viele politische Entscheidungen. Es wird natürlich schön fein säuberlich drauf geachtet, dass der Proporz immer stimmt. Ich hab da große Hoffnung, dass Wolfgang Niersbach da auch in der Entwicklung den nächsten Schritt machen wird und darauf sollten wir mal vertrauen."

    … "Soweit das Sportgespräch zum Thema: Kein Star sein, nur erfolgreich. Ex-Biathletin Magdalena Neuner über ihre außergewöhnliche, aber auch belastende Sportkarriere."

    "Wahnsinn, wo ist eigentlich mein Leben hin? Was ist eigentlich passiert?"

    Fragt sich in einem der letzten Gespräche im Jahr 2012 Magdalena Neuner und erinnert sich an ihre ersten, großen Erfolge.

    "Ich bin nach Antholz gefahren, bin dreifache Weltmeisterin geworden, bin heimgekommen und nichts war mehr so wie vorher. Und da hab ich das Gefühl gehabt, mir hat jemand mein altes Leben weggenommen. Und das hat mich wirklich mal ganz schön runtergezogen, weil ich gesagt habe, ich möchte es nicht! Ich möchte erfolgreich Sport machen, ja! Aber ich möchte mein Leben zurück!"

    Vor neun Monaten tritt Magdalena Neuner zurück. Gestern geht ihre Karriere mit einer Abschiedsgala im Schalker Fußballstadion endgültig zu Ende. 50.000 Zuschauer im Stadion sehen ein letztes Mal Gold-Lena, die Sportlerin des Jahres, die Rekord-Weltmeisterin. Wer vorher das Sportgespräch mit Magdalena Neuner gehört hat, sieht eine 25 Jahre alte Frau, die mit dieser Welt längst abgeschlossen hat.

    "Der Sport ist für mich erledigt!"