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21.03.1804 - Vor 200 Jahren

"Die Einführung eines neuen Zivilgesetzbuches ist die merkwürdigste Revolution eines Volkes."

Von Peter Hölzle | 21.03.2004
    Mit diesem rhetorischen Fanfarenstoß beginnt die "Vorrede" zur deutschen Ausgabe eines der einflussreichsten Gesetzeswerke der zivilisierten Welt. Gemeint ist der Code civil der Franzosen, der am 21. März 1804 in Kraft trat. Aber er war gar nicht nur das Zivilgesetzbuch der Franzosen. Er war zeitweise auch das Zivilgesetzbuch vieler Deutscher, Italiener und Spanier und aller Holländer, Belgier und Luxemburger. Seine weite Verbreitung verdankt er freilich nicht nur den Invasionsarmeen Napoleons I., die ihn gleichsam im Tornister beinahe überall dorthin mitbrachten, wo der Kaiser der Franzosen als Eroberer und Gründer von Satellitenstaaten auftrat. Seine weite Verbreitung verdankt der Code civil auch der großen gesetzgeberischen Leistung seiner Autoren, der Verwaltungsjuristen Trouchet, Maleville, Bigot de Préameneu und Portalis und vor allem seinen freiheitlichen Inhalten. Nur sie er- klären, warum er weit über den militärischen Aktionsradius Napoleons hinauswirkte - bis nach Lateinamerika. Nur sie er- klären, warum er auch nach dem Verschwinden des großen Korsen vielerorts in Kraft blieb: nicht nur in Frankreich, wo er bis heute gilt, sondern auch im linksrheinischen Deutschland wie in den Großherzogtümern Baden und Berg. Angesichts dieses Siegeszuges wundert es nicht, dass der Code civil bis zum Erscheinen des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches um die Jahrhundertwende das einzige Modell für Gesetzesreformer aller Nationen war, ausgenommen Russland und die angelsächsischen Länder. Aber selbst in der Konkurrenz mit unserem hoch gelobten Bürgerlichen Gesetzbuch hat er mitunter besser abgeschnitten als dieses. In der linksrheinischen Pfalz jedenfalls trauerte man dem Code civil nach, als der vom deutschen Zivil- recht abgelöst wurde. Revolutionär war er auch, wie die "Vorrede" zu Recht behauptet. Aber das Revolutionäre des Code civil erschließt sich erst aus dem Vergleich mit der Vergangenheit oder mit der Zivilgesetzgebung anderer Länder. Es begegnet gleich im ersten Artikel.

    "Die Gesetze sind im ganzen französischen Gebiete kraft der Verkündigung ... exekutorisch. Sie sollen in jedem Teile der Republik von dem Augenblick an vollzogen werden, wo ihre Verkündigung daselbst wird bekannt sein können."

    Dieser erste Artikel des Code civil ist insofern revolutionär, als er etwas erreicht, was das französische Königtum und die Revolution bis dahin vergeblich angestrebt hatten: die Rechtseinheit Frankreichs. Erst der von Napoleon durchgesetzte Code civil, der deshalb auch Code Napoléon heißt, hob die bis dahin bestehende Teilung Frankreichs in zwei Rechtsgebiete, den vom römischen Recht beherrschten Süden und den vom Gewohnheitsrecht bestimmten Norden, auf. Aber das war bei weitem nicht die ein- zige Neuerung. Andere revolutionärere sicherten ihm seine Attraktivität auch im Ausland.

    "Jeder Franzose soll die Zivilrechte genießen",

    bestimmt Artikel acht, der damit die Gleichheit aller Franzosen vor dem Gesetz bestimmt. Zur Rechtseinheit Frankreichs tritt die Rechtsgleichheit aller Franzosen. Dieses Erbe der Revolution kann nicht hoch genug veranschlagt werden, ist doch Frank- reich beim Inkrafttreten des Code civil von Ländern umringt, wo es diese Rechtsgleichheit so wenig gibt, wie die damit verbundenen persönlichen Freiheitsrechte. Insofern war der Code ein höchst erfolgreicher Exportartikel, der freilich auch noch mit anderen Vorzügen glänzte, die man damals außerhalb Frankreichs vergeblich suchte: etwa die Trennung von Staat und Kirche, die beispielsweise die Zivilehe vorschreibt und die Ehescheidung ermöglicht. Damit trat der staatliche Standessbe- amte an die Stelle des Pfarrers, und das mit gutem Grund. In einer Anmerkung zum Zivilstandsteil des Code heißt es:

    "Seit die Religionsfreiheit Staatsgesetz ist, wäre es unbillig, den nichtkatholischen Bürger zu zwingen, in den wichtigsten Vorfalllenheiten des Lebens zu einem katholischen Priester Zuflucht zu nehmen, und zu unsicher, jeder Religionspartei die Führung der (Zivilstands-)Register zu überlassen."

    Der Code civil hat freilich nicht nur revolutionär erneuert. Er hat auch konservativ bewahrt. Das zeigt sich am Eigentumsrecht. Dieses wurde zwar von allen Standesprivilegien befreit, aber nichts schützt der Code so sehr wie das Eigentum. In dem Gleich- gewicht zwischen Bewahrung und Erneuerung liegt wohl das eigentliche Geheimnis seines Erfolgs. Wie sonst hätte er zehn Verfassungen überstanden! Wie sonst wäre er heute als 'Gesetz- buch des Bürgertums' immer noch Grundlage des französischen Zivilrechts!