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225 Jahre Mariinsky Theater Petersburg

Mit 383 Mitwirkenden und 16 LKW Material ist das Mariinsky Theater aus Sankt Petersburg nach Berlin gereist. Für zehn Abende spielt das über 225 Jahre alte Theater im Haus der Deutschen Oper. Mitgebracht hat das Ensemble fünf Raritäten älteren und neueren Datums wie Mussorgskys Oper "Chowanschtschina" oder Schostakowitsch Werk "Die Nase".

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Aus Modest Mussorgskys Oper "Chowanschtschina", jener Historienoper über das Russland des späten 17.Jahrhunderts, als mit dem Machtantritt Peter des Großen die Bewahrer und Reformer des alten Systems von Staat und Kirche in tödlichem Clinch miteinander lagen.

    Dazwischen zeigt Mussorgsky immer wieder das Volk, auf dessen Rücken die Machtkämpfe ausgetragen werden und das in dieser selten gespielten Oper mit Klagegesängen und der Bitte um Frieden sich immer wieder Gehör zu schaffen versucht.

    Mussorgskys "Chowanschtschina" ist die sicher eindrucksvollste Aufführung im Opernprogramm, das das Mariinsky Theater aus Sankt Petersburg zum zehntägigen Gastspiel nach Berlin mitbrachte: sängerisch, musikalisch - und überhaupt. Man spielt die unvollendet gebliebene Oper in der Orchestrierung von Dmitri Schostakowitsch.

    Die Inszenierung von Leonid Baratov stammt aus dem Jahr 2000, deckt die dargestellten Konflikte aber mit einer ähnlich dicken Staubschicht zu wie bei dem originalen Schostakowitsch-Werk "Die Nase", das man ebenfalls zeigte: jene Groteske um einen Barbier, der in seinem Frühstücksbrot eine Nase findet.

    Mit enormem bühnentechnischen Aufwand ist hier gearbeitet worden. Da turnt auf einer riesigen U-Bahn-Röhre aus Gestängen immer wieder ein Vogel-artiger Geist. Hinter einer Hauswand wacht ein Polizeiinspektor von Ramses-Übermaßen, zu dessen Füßen es sich freilich zwei Bänkelsänger gemütlich machen.

    Mehr eine Materialschlacht ist das, denn eine Satire, wie Schostakowitsch sie sich in den 1920-iger Jahren als Kritik am alt-neuen Polizeistaat dachte.

    Schon der Auftaktabend geriet eher zum statuarischen Kostümfest mit Peter Tschaikowskys "Pique Dame", jenem Drama über den jungen Offizier Herman, der alles tut, um hinter das Geheimnis der "drei Karten" zu kommen, der seine Liebe verrät und über Leichen geht, um Glückspiele zu gewinnen - und selbst dabei mit umkommt.

    So aktuell der Stoff - die Inszenierung stammt aus dem Jahre 1999 - Regisseur Alexander Galibin belässt Tschaikowskys Oper in einem historisierenden Outfit. Das Bühnenbild arbeitet mit wehenden Tüchern. Personenregie findet nicht statt. Ein Juwel aber das Orchester, das Valery Gergiev an allen drei Abenden mit viel Temperament und Klangsinn zu Höchstleistungen anfeuert.

    Bewundern darf man auch das Ballett des Mariinsky, über dessen technische Extraklasse man nicht weiter rechten muss: Sie ist überwältigend, manchmal atemberaubend in der Perfektion. Und das Publikum spendete immer wieder begeistert Szenen-Beifall.

    Die Choreografien, die man in Tschaikowskys obligatorischem "Schwanensee" und in dem selteneren "Le Corsaire" mit der Musik von Adolphe Adam geboten bekommt, fußen auf den originalen Petipas von vor über hundert Jahren.

    Weniger verständlich ist, dass man auch an der schwülstig-überladenen Papp-Ausstattung fest hält. Sie degradiert diese Produktionen mit ihrer zumal im Fall des "Korsaren" doch recht simplen Räuber-Romantik-Dramaturgie mit geraubten und wieder befreiten Frauen und einer meist bloß effekthaschenden Musik zur Abfolge von Zirkus-Bravour-Nummern.

    Szenische Frischluft, so das Fazit, täte dem 225 Jahre alten ehemals Zaristischen Marien-Theater sicher gut. Im Moskauer Bolschoi ist man da schon, wenn auch gegen Widerstände, einen Schritt weiter.