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30. Internationales Frauenfilmfestival
"Die Welt ist zusammengerückt"

Die 30. Ausgabe des internationalen Frauenfilmfestivals in Dortmund beschäftigt sich unter anderem mit Kontrollverlust und Migration. Inzwischen sei das Festival etabliert - die Zahl der Frauen hinter der Kamera insgesamt aber nach wie vor zu gering, sagte Festivalleiterin Silke Räbiger im DLF.

Silke Räbiger im Corsogespräch mit Marietta Schwarz | 04.04.2017
    Silke Räbiger, Leiterin des Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund-Köln.
    Silke Räbiger, Leiterin des Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund-Köln. (Guido Schiefer)
    Marietta Schwarz: Frauen haben es in der Filmbranche nicht so leicht – nur 13 Prozent aller Filme sind von Regisseurinnen gemacht. Zu wenig, das findet nicht nur die Initiative ProQuote Regie. Was kann da ein Filmfestival ausrichten, das sich seit Jahrzehnten für die Stärkung der Frauen hinter der Kamera einsetzt? Das fragen wir heute, zu Beginn der 30. Ausgabe des internationalen Frauenfilmfestivals in Dortmund. Dort bin ich nun mit Festivalleiterin Silke Räbiger verbunden. Guten Tag!
    Silke Räbiger: Schönen guten Tag.
    Schwarz: Frau Räbiger, Sie bekommen wahrscheinlich, seitdem Sie dieses Festival leiten, also seit 1992, jedes Jahr diese Frage von Journalisten gestellt: Warum gibt es so wenige Frauen, die Filme machen und produzieren?
    Räbiger: Also, so wenige Frauen, die Filme machen wollen, gibt es nicht. Bei den Absolventen liegt der Prozentsatz bei 49 Prozent. Das findet sich aber dann in den aktuellen Produktionen, also vor allen Dingen in der Regie, nicht wieder. Sie haben jetzt gerade die Zahl 13 genannt - 13 Prozent Regisseurinnen. Das ist sogar jetzt ein wenig mehr, aber es ist in den letzten 20 Jahren nicht signifikant gestiegen.
    Schwarz: Es ist ganz schön wenig.
    Räbiger: Es ist total wenig. Und es entspricht eben auch nicht dem Prozentsatz der Absolventen von den Filmhochschulen. Und da muss man sich schon fragen, warum ist das eigentlich so? Wo sind die geblieben? Eine Beobachtung, die man machen kann, ist, dass Frauen sehr viel weniger hohe Budgets verantworten, als Männer. Und das ist leider nach wie vor so - gerade bei großen Spielfilmen - wenn es über fünf Millionen geht, da sind Frauen so gut wie gar nicht mehr zu finden. Also da liegt der Anteil, glaube ich, bei elf, zehn Prozent. Und ansonsten liegt der jetzt mittlerweile bei etwas über 20.
    "Es muss sich in den Köpfen was tun"
    Schwarz: Frauen machen kleinere Filme. Weil Männer das so entscheiden?
    Räbiger: Ja, das ist natürlich eine ganz spannende Frage. Wenn man sich die Vergabegremien anguckt, da sitzen natürlich auch überall mittlerweile recht viele Frauen drin. Und es ist wie immer, auch in anderen Berufszweigen: Eine Frau alleine ist kein Garant dafür, dass sie auch Frauen mitzieht oder Frauen Arbeit verschafft. Das ist einfach nicht richtig. Es muss sich in den Köpfen was tun. Es muss ein Bewusstsein auch darüber bestehen, dass Frauen das gleiche Recht haben und dass man ihnen auch wirklich zutraut, große Budgets zu verantworten.
    Schwarz: 30 Jahre Frauenfilmfestival in Dortmund, 34 Jahre in Köln. Welche Bilanz ziehen Sie denn?
    Räbiger: Die Bilanz, die ich so in der Rückschau machen würde, ist, dass wir mittlerweile in einer Situation sind, wo wir viele Filme von Frauen kennen. Wo wir viele Regisseurinnen kennen, wo der Pool, aus dem wir als Festival auswählen können, wesentlich größer geworden ist, als noch vor 30 Jahren. Also vor 30 Jahren oder 34 Jahren war ja die Situation, dass sich die Regisseurinnen untereinander noch nicht mal wirklich kannten. Also das hat auch mit den modernen Kommunikationswegen zu tun.
    Also die Welt ist zusammengerückt, der Überblick ist reichhaltig. Das haben wir uns in den 80er-Jahren erst alles immer mühselig erarbeiten müssen. Also da ist schon ein großer Fortschritt zu verzeichnen. Es sind auch mittlerweile mehr Frauen in anderen Gewerken, arbeiten dort. Also zum Beispiel im Bereich der Bildgestaltung, der Kamera, da ist der Anteil der Frauen auch etwas gewachsen. Aber das ist alles nicht so, dass man sagen könnte: Wunderbar, wir haben das Ziel erreicht, es ist ungefähr ausgeglichen. Da sind wir leider noch weit von entfernt.
    "Das Themenfeld ist breiter geworden"
    Schwarz: Wie hat sich das Festival denn thematisch entwickelt oder verlagert, sage ich mal, oder verändert?
    Räbiger: Thematisch würde ich sagen, dass wir in den ersten Jahren - also gerade in den 80er-Jahren - war das noch viel eher so ein Stück Selbstvergewisserung. Wo stehen wir als Frauen? Was haben wir überhaupt für eine Geschichte als Regisseurinnen, als Frauen, die in der Filmbranche arbeiten? Das waren ja alles Fragen, Themen, die aufgearbeitet werden mussten. Das ist mittlerweile geschehen. Und heute können wir schon beobachten, dass die Frauen sich in den Dokumentarfilmen, aber auch in den Spielfilmen, allen Themen zuwenden, da ist die Bandbreite sehr, sehr groß. Und das ist sicherlich vom Themenfeld, was die Regisseurinnen bearbeiten, wesentlich breiter sehr offen geworden.
    Schwarz: Ja und es geht ja nicht nur um "weibliche" Themen. Sie haben einen Schwerpunkt "In control", alles unter Kontrolle. Um welche Art der Kontrolle geht es da?
    Räubiger: Wir beobachten zurzeit, dass wir auf der einen Seite unglaublich viel kontrollieren können, also unsere persönlichen Lebensbereiche, aber auch politisch. Also wenn wir jetzt zum Beispiel auf Europa gucken: Wir versuchen, die Flüchtlingsströme zu kontrollieren - wie immer man das auch einschätzen mag - das ist die eine Seite. Der Versuch, immer stärker Kontrolle über alle Lebensbereiche zu erlangen. Und auf der anderen Seite merken wir eben auch - gerade politisch -, dass sehr viel außerhalb unserer Kontrolle liegt. Also man muss nur noch an die Anschläge denken, jetzt gerade ganz aktuell Sankt Petersburg.
    Wir sind also weit entfernt als Menschen, wirklich kontrollieren zu können. Und das ist die Thematik, die uns eben bei diesem Festival interessiert. Was ist Kontrolle überhaupt? Wünschenswert, was kann überhaupt kontrolliert werden? Wo sind da die Grenzen? Und ein inhaltliches Beispiel: Also wir befassen uns auch sehr stark mit den Fragen von Migration, von innerer Migration. Das sind Themen, die bei uns auf dem Festival eine Rolle spielen in diesem Jahr.
    Ernsthaftes Festival
    Schwarz: Jetzt ist so ein Festival natürlich ein wichtiger Ort zum Netzwerken, zum Austausch. Aber, Frau Räbiger, wie wirkt es am Ende in die doch immer noch männlich dominierte Branche hinein?
    Räbiger: Also wir haben festgestellt, dass wir im Verlaufe der vergangenen 30 Jahre uns doch einen ganz guten Stand erarbeitet haben. Also mittlerweile ist es so, dass wir von Weltvertrieben auch angesprochen werden, dass wir gute Kontakte zu den Verleihern haben, dass wir die Filme auch bekommen, die wir gerne hätten. Nicht immer - muss man zugeben -, aber doch sehr häufig. Der Stand und die Reputation des Festivals haben sich einfach gefestigt. Und es ist mittlerweile gut aufgenommen, weil man auch festgestellt hat, das ist jetzt nicht irgendwie eine Spielerei, sondern es ist ein ernsthaftes Festival. Und das ist etwas, das dem Festival natürlich gut tut.
    Schwarz: Und wie hoch ist der Anteil der Männer beim Festival?
    Räbiger: Also ich würde jetzt mal so über den Daumen schätzen. Das liegt so bei 30...
    Schwarz: ...13 Prozent?
    Räbiger: Nein, nein, nein. 30 bis 35 Prozent. Also wir sind schon ein, ich würde doch sagen, ein sehr cineastisches Festival.
    Schwarz: Silke Räbiger, Festivalleiterin des heute beginnenden Frauenfilmfestivals in Dortmund. Vielen Dank für das Gespräch.
    Räbiger: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.