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30 Jahre E-Mail
Unverbindliche und schnelle Kommunikation

Die E-Mail wird 30 Jahre alt. Sie hat der Menschheit viele Vorteile, aber auch einige Nachteile gebracht. Auf der Habenseite stehen die weltumspannende Kommunikation und die Schnelligkeit, als negative Aspekte sind die daraus resultierende Überlastung und die Transparenz zu nennen.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 03.08.2014
    Das Symbol "Neue E-Mail-Nachricht" wird auf einem Computer Monitor angezeigt.
    Die E-Mail stellt eine schnelle und weltumspannende Form der Kommunikation dar. (picture-alliance/dpa/Jan-Philipp Strobel)
    "Der Inhalt dieser E-Mail ist vertraulich und ausschließlich für den bezeichneten Adressaten oder dessen Vertreter bestimmt. Sollten Sie nicht der vorgesehene Adressat dieser E-Mail oder dessen Vertreter sein, so bitten wir Sie, sich mit dem Absender der E-Mail in Verbindung zu setzen. Beachten Sie bitte, dass jede Form der unautorisierten Nutzung, Veröffentlichung, Vervielfältigung oder Weitergabe des Inhaltes dieser E-Mail nicht gestattet ist."
    Dieser oder ähnliche Texte stehen oft am Schluss von wichtigen Geschäftsmails. Sie zeigen, wie kindisch es auch bei Banken, Versicherungen und sonstigen Großunternehmen zugeht, denn E-Mails sind bekanntlich völlig unverbindlich und das gilt logischerweise auch für die darin enthaltenen Nutzungsbedingungen und Schweigegebote.
    Transparenz durch E-Mail-Verkehr
    Dass der Übertragungsweg vollkommen unsicher ist, kam vielleicht erst durch die jüngsten Abhörskandale ins öffentliche Bewusstsein; man hatte sich schon so sehr an die scheinbare Intimität der elektronischen Korrespondenz gewöhnt, die in drei Jahrzehnten unser Kommunikationsverhalten völlig verändert hat. Denn drei Dinge tragen zu der Illusion von Intimität wesentlich bei.
    Erstens, die E-Mail kommt immer direkt von der Hand des Verfassers, es gibt nicht mehr die Zwischeninstanz der Sekretariate und Schreibbüros; zweitens, die "Antworten"-Funktion verstärkt das Gefühl engen Kontakts; drittens, die Formalien des Stils und der Orthographie haben sich auch im geschäftlichen Bereich enorm gelockert.
    Schnelligkeit und steigende Überlastung
    Allerdings ermöglicht dieser Zusammenbruch der Schrift-Fassade ganz neue Möglichkeiten interpretatorischen Einblicks. Der soziale und geistige Hintergrund des Schreibenden offenbart sich mehr denn je in Sprachsignalen wie der Verwendung alter oder neuer Rechtschreibung, in syntaktischen Strukturen und Myriaden stehengelassener Fehler. Letztere sollen sogar oft die exorbitante Arbeitsanspannung des Absenders dar- und ausstellen. "Keine Zeit", schreit es aus dem Posteingang, "keine Zeit zum nochmaligen Durchlesen", jede Nachricht transportiert den Brandgeruch der Überlastung.
    Das wichtigste Wesensmerkmal der E-Mail ist nämlich neben der technischen Unsicherheit der Übermittlung die zeitliche Verdichtung. Die E-Mail ist ein Epiphänomen der Globalisierung, der Beschleunigung, der Allgegenwart von Information. Man kann mal eben an die Freunde nach Amerika schreiben, samt Fotos im Dateianhang, und in Minutenschnelle die Antwort lesen. Man kann auch eine Mail an jemanden ganz in der Nähe schicken, den man bloß gerade nicht treffen und nicht sprechen möchte. Und man kann sich nach 30 Jahren gar nicht mehr vorstellen, wie es war, als es diesen weltumspannenden Synchronschriftverkehr noch nicht gab.
    Sich darüber Rechenschaft zu geben, stellt heute schon eine kulturphilosophische Herausforderung dar.