Dienstag, 16. April 2024

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30 Jahre Mauerfall
Als Reporterin im Rundfunk der DDR

Zentrale Wohnraum-Lenkung, Thüringer Rostbratwurst und Telefonistinnen, die Leitungen per Hand stecken: Claudia van Laak zog als eine der ersten Westlerinnen nach dem Mauerfall nach Thüringen. Die heutige Leiterin des Landesstudios Berlin tauchte damit in eine für sie fremde Welt ein.

Von Claudia van Laak | 09.10.2019
Szene auf dem sogenannten "Anger", einem weitläufigen Platz in der thüringischen Stadt Erfurt. Aufnahme vom 31.01.1990.
Erfurt im Jahr 1990 - eine fremde Welt für Claudia van Laak, die damals dort als Reporterin zu arbeiten begann (picture alliance / Kai-Uwe Wärner)
"Ich heiße Hilmar Süß und ich habe Claudia van Laak im Oktober 1990 eingestellt."

Hilmar Süß, heute 78, sagt spontan Ja zu unserem Treffen in Erfurt, bietet mir gleich das Du an. Er erinnert sich nicht mehr an unsere erste Begegnung, ich sehr wohl.

"Du hast gesagt, wo wollen Sie denn dann wohnen? Ich habe geantwortet: Ich suche mir eine Wohnung. Dann sagtest Du: Man kann sich hier keine Wohnung suchen. Worauf ich wieder sagte: Verstehe ich nicht, ich suche mir eine Wohnung. Dann haben wir ein paar Mal aneinander vorbei geredet."

Ein typisches deutsch-deutsches Missverständnis. Als Ost-Neuling hatte ich einfach keine Ahnung. "Zentrale Wohnraum-Lenkung" – davon hatte ich nie zuvor gehört. Hat mich ehrlich gesagt auch nicht interessiert.
Wohnung im Internat von FC Rot-Weiß Erfurt
"Das lag einfach daran, dass es zu DDR-Zeiten – und wir waren ja nicht so fern davon – natürlich nicht so einfach war, auf dem freien Wohnungsmarkt zu gehen und zu sagen: 'Hey, ich bin Claudia van Laak oder ich bin Hilmar Süß und ich brauche Wohnraum'. Ging nicht. Man brauchte eine Zuweisung für eine Wohnung."

Hilmar Süß war ein fürsorglicher Chef, besorgte mir tatsächlich ein vorübergehendes Quartier – im Internat von FC Rot-Weiß Erfurt. Bei diesem Fußballverein war er nämlich Stadionsprecher. Im Hauptberuf allerdings Direktor des Senders Weimar im Rundfunk der DDR. Und selbstverständlich SED-Mitglied.
"Du warst doch Vertreter des alten Systems, was abgeschafft war. Richtig?"
Hilmar Süß und Michael Wenkel, ehemals Redakteure im Sender Weimar des Rundfunks der DDR, sitzen an einem Tisch und unterhalten sich.
Hilmar Süß und Michael Wenkel, ehemals Redakteure im Sender Weimar des Rundfunks der DDR (Deutschlandradio / Claudia van Laak)
"Ja, ich war der Vertreter des alten Systems. Und ich habe viele Stunden, auch schlaflose Nächte zugebracht, um über die Zeit, die hinter mir lag, nachzudenken und gleichzeitig zu Schlussfolgerungen zu kommen, wie kann das überhaupt weitergehen."
Mein erster Arbeitstag war der 15.Oktobert 1990, der Tag nach der ersten Landtagswahl in Thüringen. Aus dem Sender Weimar im Rundfunk der DDR war inzwischen der Thüringer Rundfunk geworden – hier war es journalistisch spannender als im Westen.
Schokolade für die Telefonistin

Die Telefonzentrale links neben dem Eingang vergesse ich nicht: Eine pummelige Telefonistin steckte die Verbindungen per Hand.
"Wenn man ganz nett zu der war und ihr Schokolade gegeben hat, hat man die Leitung schneller bekommen."
"Das ist natürlich eine Möglichkeit gewesen, wenn man so wie Du neu angefangen hat, wenn man wie ich schon mehrere Jahre da war, und immer charmant Hallo und Guten Morgen gesagt hat und vielleicht auch mal einen Kaffee spendiert hat, dann ging es auch ohne Schokolade."
Einladungsschreiben zu einem Bewerbungsgerrpäch
Einladungsschreiben zum Bewerbungsgespräch in den Sender Weimar des Rundfunks der DDR (Deutschlandradio / Claudia van Laak)
Verbessert mich mein damaliger Kollege Michael Wenkel. Er sorgte für frischen Wind im Revolutionsherbst 1989, nannte einen neuen Konferenzsaal "Neues Forum", als diese DDR-Oppositionsgruppe noch verboten war. Gemeinsam erinnern wir uns an einen zweiten Kollegen aus dem Westen, der allerdings nicht lange blieb. Er hatte einer Nachrichtensprecherin einen Text untergeschoben, den diese brav live präsentierte.
"Und hat eine Nachricht formuliert, in der er dann den Direktor angegriffen hat, die Tatsache, dass dieses Haus nach wie vor in DDR-Hand ist, so hat er es formuliert, ich glaube, das war sein letzter Arbeitstag dann."
Damals habe ich etwas Wichtiges gelernt: Wer ein SED-Parteibuch hatte, war nicht per se ein schlechter Journalist. Und einige ohne SED-Parteibuch, die inszenierten sich schnell als DDR-Oppositionelle. Dabei hängten sie nur ihr Mäntelchen in den neuen Wind, der aus dem Westen kam.
Meine persönliche Wendegeschichte ist damit noch nicht zu Ende erzählt. Es fehlt noch eine wichtige Person.

Die ersten Wessis in Erfurt

"Mein Name ist Bodo Ramelow. Und wir stehen hier vor dem Erfurter Gewerkschaftshaus. Und in diesem Gebäude habe ich am 28.Februar 1990 meinen allerersten dienstlichen Termin in Erfurt gehabt."
Claudia van Laak im Interview mit ihrem alten Bekannten Bodo Ramelow, heute Ministerpräsident von Thüringen
Claudia van Laak im Interview mit ihrem alten Bekannten Bodo Ramelow, heute Ministerpräsident von Thüringen (Deutschlandradio / Claudia van Laak)
Bodo Ramelow - heute linker Ministerpräsident von Thüringen - kam als Funktionär der Gewerkschaft Handel-Banken-Versicherungen HBV nach Erfurt. Und blieb.
"Und jetzt fahren Sie mit zwei großen schwarzen Karossen vor, Blaulicht obendrauf."
"Ja, das sind die Dienstlimousinen des Ministerpräsidenten."
1990 gehörten wir zu den ersten Wessis in Erfurt. Ich habe ihn das erste Mal bei einem Interview über die Zukunft der Konsumgenossenschaft getroffen. Wir lernten Thüringer Klöße und Rostbratwurst lieben, vermissten aber Espresso und Parmesan.
"So wir beide jetzt reden, das ist ein bisschen wie: Opa erzählt vom Krieg. Ja, so kommt mir das immer wieder vor, wenn ich so mit jungen Leuten darüber rede. Weil die sich überhaupt nicht vorstellen können, was das heißt."
Zum Beispiel von Erfurt aus mit dem Münsterland telefonieren. 1990 stellte die Post eine Telefonzelle mit direkter Westleitung auf. Meine Verbindung in die alte Heimat. Wie viele Stunden ich dort in der Schlange verbracht habe – ich habe sie nicht gezählt.