Freitag, 10. Mai 2024

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30 Jahre Mauerfall
Ungläubig vor dem Fernseher

Als am Abend des 9. November 1989 die Mauer fiel, war die heutige Landeskorrespondentin in Brandenburg, Vanja Budde, Studierende in Köln. Sie tanzte auf einer Party und bekam vom Mauerfall erstmal nichts mit. Erst in den frühen Morgenstunden danach wurde ihr klar, dass das Land ein anderes geworden war.

Von Vanja Budde | 29.10.2019
Trabis fahren am 10.11.1989 durch eine jubelnde Menschenmenge am Checkpoint Charlie file_source: picture-alliance / dpa
Am Checkpoint strömten die Ostdeutschen in ihren Trabis richtung Westberlin (picture-alliance / dpa)
Im November 1989 war ich gerade nach einem Jahr aus den USA zurückgekehrt und studierte im ersten Semester an der Uni Köln Geschichte und noch ein paar andere brotlose geisteswissenschaftliche Fächer. Am Abend des 9. November war ich unterwegs, auf einer Party. Erst weit nach Mitternacht kam ich heim. Damals gab es weder Internet noch Handys, deswegen hatte ich vom Fall der Mauer noch nichts mitbekommen.
Wenn ich mich nach fast 30 Jahren richtig erinnere, rief mich in den frühen Morgenstunden ein Freund an: "Wahnsinn, du glaubst es nicht, die Mauer ist auf, die kommen alle rüber!" Ich weiß noch, dass ich es erst nicht glauben konnte. Zu betoniert schien das SED-Regime im Osten. Ich machte den Fernseher an, Sondersendungen liefen: Es stimmte: Die Mauer war gefallen!
Auszug "Tagesschau":
Ostberlinerin: "Ich bin mitten in der Nacht aufgestanden. Es ist so ergreifend, ich kann gar nicht anders...(schluchzt) ich bin fertig."
Frau auf der Straße: "Mach mal, dass du noch rüberkommst!"
Mann: "Meine Frau war schon im Nachthemd, da haben wir uns angezogen, sind runtergegangen."
Sprechchor Demonstranten: "Ein Tag, so wunderbar wie heute!"
Mit der DDR durchwachsene Erfahrungen gemacht
Ich rüttelte meine WG-Genossin aus dem Schlaf, gemeinsam saßen wir Stunden lang auf dem Teppich vor dem Fernseher, bis es draußen hell wurde. Wir sahen die strahlenden Gesichter der in Berlin über die Grenze strömenden Ossis, sahen Wessis, die sie mit Sekt empfingen, begeistert auf Trabbidächer klopften, Wahnsinn, Jubel, Freudentaumel. Eine friedliche Revolution auf deutschem Boden: Ich heulte vor Rührung.
Walter Momper: "Wir Deutschen sind jetzt das glücklichste Volk auf der Welt!"
Mit der DDR hatte ich bis dato durchwachsene Erfahrungen gemacht: In Ostberlin gingen ich gern billige Bücher einkaufen, ich mochte die Zitronenbrause, die es dort gab und ärgerte mich über spießige Kellner, die uns im Restaurant "platzierten" und muffige Frisörinnen, die sich weigerten, die Haare zu schneiden, weil man keinen Termin habe, dabei war der Laden gähnend leer.
Auszug DDR-Fernsehen: Fanfaren zur Ehrenparade der Nationalen Volksarmee zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989
Nach Berlin fuhren wir immer mit der Mitfahrzentrale. Gerade mal einem Monat vor dem Mauerfall, im Oktober, war es ein langhaariger Typ in einem uralten Mercedes gewesen, der mich und einen Freund mitnahm. Ich weiß noch, dass er seinen Hund dabei hatte, der statt Halsband ein buntes Tuch trug. Natürlich wurden wir am Grenzübergang vor den Toren Berlins raus gewunken. Kofferraum auf, Papiere her: Der Grenzer war extrem unfreundlich und drohte, den Hund zu erschießen, falls der sich muckst. Nach Ostberlin kam ich dann nicht rein, wurde abgewiesen: Es war kurz vor dem 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 und das sterbende Regime war nervös.
30 Jahre Mauerfall: Meine ganz persönliche Wende
30 Jahre Mauerfall: Meine ganz persönliche Wende (imago images / Winfried Rothermel)
Der Fall der Mauer war nicht für alle zum Heulen schön
Auszug DDR-Fernsehen zur Ehrenparade am 40. Jahrestag der DDR, 7. Oktober 1989
Reporter: "Guten Tag, verehrte Zuschauer aus der Berliner Karl-Marx-Allee. Die offiziellen Veranstaltungen des Tages beginnen mit großem militärischem Zeremoniell. Mit der Ehrenparade der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen, an der Erich Honecker, der Generalsekretär des ZK der SED, und Vorsitzender des Staatsrates der DDR, teilnimmt..."
Zehn Jahre später war ich Redakteurin bei der Deutschen Presse-Agentur. Neugierig auf den neuen Osten ließ ich mich von Hamburg nach Thüringen versetzen. In Erfurt trank ich in damals noch verräucherten Hinterzimmern von Kneipen Köstritzer Schwarzbier mit Informanten, bewunderte das Schmuckkästchen Weimar, suchte vergeblich das Zentrum von Gera, interviewte in Jena stolze Wissenschaftler bei Jenoptik. Ich traf Richter, die hart gegen Neonazis vorgingen und ehemalige Bürgerrechtler, die arbeitslos und frustriert waren: So hatten sie sich das nicht vorgestellt mit der Einheit. Ich lernte Menschen kennen, die ihr Leben komplett neu ordnen mussten in diesem neuen Land. Denen man sagte, dass alles in der DDR falsch gewesen sei, Männer und Frauen, denen die Existenz weg brach, die sich irgendwie durchwurschtelten, während ihre Kinder in den Westen gingen. Ich empfand Hochachtung vor ihnen und ich verstand, dass der Fall der Mauer nicht für alle zum Heulen schön gewesen war.