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30 Jahre Weltklimarat
Erreichen des 1,5-Grad-Ziels "so gut wie ausgeschlossen"

Vor 30 Jahren wurde der Weltklimarat ins Leben gerufen - der Grund: man verdächtigte den Menschen, Hauptverursacher des Klimawandels zu sein. Das gelte heute als erwiesen, sagte er Klimaforscher Mojib Latif im Dlf. Dennoch habe der IPCC eine Aufgabe zu erfüllen: die Prognosen immer genauer zu machen.

Mojib Latif im Gespräch mit Georg Ehring | 15.03.2018
    Der Klimaforscher Mojib Latif vom GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel.
    Der Klimaforscher Mojib Latif äussert sich zu den Fragen des Klimawandels nach 30 Jahren Weltklimarat (Imago / Rüdiger Wölk)
    Georg Ehring: Zu Anfang war es nur ein Verdacht. Doch wenn es stimmt, dass der Mensch durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas die Erdatmosphäre aufheizt, dann muss das Folgen haben. Diese Ansicht vertrat jedenfalls die norwegische Umweltministerin Gro Harlem Brundtland. Unter anderem ihr Bericht an eine Sonderkommission der Vereinten Nationen führte im Jahr 1988 zur Gründung des Weltklimarats IPCC. In diesen Tagen wird das Jubiläum bei einer Tagung in Paris gefeiert.
    Mojib Latif hatte damals gerade seine Dissertation geschafft. Er beschäftigt sich als Klimaforscher beim IFM-GEOMAR in Kiel seit langem mit dem Klima und war auch bei zwei Berichten selbst beteiligt, und ihn begrüße ich jetzt in unserem Studio in Karlsruhe. Guten Tag, Herr Professor Latif.
    Mojib Latif: Guten Tag.
    Unsicherheit war Anlass, den IPCC ins Leben zu rufen
    Ehring: Herr Professor Latif, wie sicher war man denn damals, dass der Mensch die Erde erwärmt?
    Latif: Na ja. Der Verdacht, der war schon da, und die ersten Computer-Simulationen hat es auch schon gegeben, die zumindest gezeigt haben, dass wenn der Mensch immer weiter diese sogenannten Treibhausgase, allen voran Kohlendioxid ausstößt, dass sich die Erde massiv erwärmen würde. Aber wie gesagt, es gab eine Unsicherheit, und das war dann der Anlass für die Weltpolitik, den Weltklimarat, das IPCC ins Leben zu rufen. 30 Jahre sind jetzt vergangen und heute gibt es praktisch in der Wissenschaft keinen Zweifel mehr, dass die Erderwärmung zum Großteil durch den Menschen hervorgerufen ist.
    Enorme Übereinstimmung bei Computer-Simulationen
    Ehring: Es gibt ja immer wieder alarmierende Meldungen über das Klima, dass zum Beispiel der Meeresspiegel schneller steigt, als man bisher gedacht hat. Hat der IPCC am Anfang die Entwicklung noch unterschätzt, oder ist es ungefähr so gekommen, wie man damals vermutet hat?
    Latif: Ganz grob ist es schon ungefähr so gekommen, wie man vermutet hatte. Wenn man die ersten Computer-Simulationen hernimmt und vergleicht, was in den Jahrzehnten danach tatsächlich passiert ist, dann ist doch eine enorme Übereinstimmung zu erkennen - nicht nur was die Entwicklung der globalen Durchschnittstemperatur angeht, sondern vor allen Dingen auch, was die regionale Verteilung der Erwärmung angeht. Denn es gibt sehr starke regionale Unterschiede und die Region beispielsweise, die sich am stärksten erwärmt hat bisher, ist die Arktis. Dort verläuft die Erwärmung doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt.
    Kein Wissen, wie schnell sich Eisschilde zerlegen
    Ehring: Es gibt aber doch jetzt immer wieder deutliche Alarmmeldungen. Bringen die gar nichts Neues mehr?
    Latif: Ja, wie gesagt. Eigentlich hat der IPCC seine Aufgabe erledigt. Es ist nachgewiesen, dass der Mensch der Hauptverursacher der Erderwärmung ist, und jetzt geht es darum, die Prognosen immer genauer zu machen, vor allen Dingen auch regionale Details besser vorherzusagen, die Änderungen von Extremen, von Wetterextremen noch genauer zu bestimmen. Aber es gibt natürlich Unsicherheiten wie beim Meeresspiegel-Anstieg. Das liegt in erster Linie an den großen Eisschilden Grönlands und der Antarktis. In die können wir nicht so richtig reingucken und wir wissen nicht genau, wie schnell die sich wirklich zerlegen, denn es ist nicht der Schmelzprozess an sich, sondern das sind dynamische Systeme. Die bewegen sich und es kann tatsächlich sein, dass die auseinanderbrechen und dann große Stücke auf einmal ins Meer kommen, und das würde den Meeresspiegel-Anstieg extrem beschleunigen.
    US-Präsident handelt gegen "eigene Wissenschaftler"
    Ehring: Der menschengemachte Klimawandel wird immer noch in Abrede gestellt. Übersieht der IPCC möglicherweise Gegenargumente?
    Latif: Nein, das denke ich nicht. Alle können beitragen. Es gibt nur eine Bedingung, dass das in einer begutachteten wissenschaftlichen Zeitschrift erschienen ist. Die Kritik am IPCC oder die Kritik an den Ergebnissen, die in den IPCC-Berichten niedergelegt sind, die kommt meistens von außerhalb der Klimaforschung, insbesondere im Moment vom amerikanischen Präsidenten. Aber da muss man ganz ehrlich sagen, dass selbst der amerikanische Präsident gegen seine eigenen Wissenschaftler spricht und handelt. Die amerikanischen Kollegen haben genau die gleiche Ansicht und kommen zu den gleichen Ergebnissen wie die Europäer.
    Szenario Erderwärmung auf zwei oder fünf Grad
    Ehring: Der IPCC betreibt ja selbst keine Wissenschaft. Wie ist die Arbeitsweise?
    Latif: Der IPCC trägt zusammen, was in dem Berichtszeitraum an wissenschaftlichen Studien erschienen ist, und bewertet das dann auch. Man spricht im Englischen vom Assessment. Das heißt, dass man die Dinge zusammenträgt und bewertet. Eigentlich muss man sagen, der IPCC gibt auch immer einen Unsicherheitsbereich an. Der wird aber meistens nicht wahrgenommen, denn eine große Unbekannte bleibt natürlich. Die wird auch nie weggehen. Das ist nämlich die Frage, wie werden wir Menschen uns eigentlich in der Zukunft verhalten. Wird es so etwas wie eine globale Energiewende geben oder nicht, und wenn ja, wie schnell wird sie erfolgen. Deswegen streuen die Ergebnisse auch - nicht nur deswegen, aber vor allen Dingen deswegen -, und dann liest man hin und wieder, dass die Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts vielleicht zwei Grad beträgt oder möglicherweise fünf Grad, und dann wundern sich die Menschen, wie kann denn das eigentlich angehen. Das liegt nicht daran, dass das eine Modell zwei Grad sagt und das andere Modell fünf Grad. Das liegt einfach an den Annahmen, an dem Szenario, das wir annehmen für die zukünftige Entwicklung der Treibhausgase in der Luft.
    Senkung des CO2 um 80 Prozent: "so gut wie ausgeschlossen"
    Ehring: Derzeit arbeitet der IPCC an einem Bericht darüber, ob die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken ist. Ganz kurz gefragt: Wäre das aus Ihrer Sicht noch möglich?
    Latif: So gut wie nicht. Das muss man einfach sagen. Denn man kann nicht erwarten, dass von heute auf morgen praktisch der CO2-Ausstoß um 80 Prozent gesenkt wird. Ohne dem Bericht jetzt groß vorgreifen zu wollen, aber alle Wissenschaftler wissen es: Das ist praktisch nicht mehr zu erreichen, obwohl es im Pariser Klimaabkommen steht, dass man alles versuchen möchte, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Aber ich halte es für so gut wie ausgeschlossen.
    Ehring: Der Klimaforscher Mojib Latif war das. Wir sprachen über 30 Jahre Weltklimarat IPCC. Herzlichen Dank dafür.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.