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3334 singende Hühner

Da wird der Hühnerhof kurzerhand zum Opernhaus: Hanna Johansen lässt in ihrem neuen Kinderbuch das Federvieh tanzen - und singen. Ein querköpfiges Hühnerkind, das Schwimmen und Fliegen lernen will, ist Stoff genug für ein Lese- und "Hör"-Buch der besonderen Art, das demnächst tatsächlich als Kinderoper zu sehen sein soll.

Von Sylvia Schwab |
    Ob über Felis, den Kater, über die "kleine Gans, die nicht schnell genug war", die "Ente und die Eule", den Maulwurf oder die Siebenschläfer – Hanna Johansen erzählt seit Jahren vor allem Tiergeschichten für Kinder. Sie wurde zur Spezialistin für ein Genre, das sehr genaue Kenntnisse über das Verhalten von Tieren mit phantasiereichen Geschichten feinfühlig verbindet. Den Erfolg ihrer Bücher erklärt sie sich heute so:

    " Ich glaube, dass die Identifikation anders läuft. Wenn man ein Kind oder mehrere Kinder in einer Geschichte hat, dann checkt man als lesendes Kind auch ab, was ist anders als bei mir und was ist gleich. Und bei Tieren – weil die sowieso anders sind – kann diese Identifikation zwar metaphorisch, aber direkt laufen. Und ich glaube, Kinder mögen auch diese metaphorische Anstrengung, die sie da unternehmen. "

    Solch eine spielerische "metaphorische Anstrengung" können Kinder nun auch beim Lesen von Hanna Johansens neuem Buch "Die Hühneroper" unternehmen. Die Erzählerin geht mit ihrer Freundin in die Oper, wo alle Sänger an diesem Abend Hühner sind. Warum und ob es immer so ist, bleibt offen.

    Die Oper, die da bilderreich, witzig und sehr temperamentvoll auf der Bühne gegeben wird, erzählt von einem kleinen Huhn in einem engen Hühnerhof, das sich unter dem Zaun durch in die Freiheit scharrt. 3333 Legehennen folgen ihm und verstecken sich draußen, der verzweifelte Verwalter gerät dadurch fast außer sich, weil er keine Eier mehr verkaufen kann und – am Schluss – bekommen die Hühner ihr Freiluftgehege und der Hühnerhofverwalter seine Eier.

    Ende gut, alles gut – eine einfach gebaute Kindergeschichte, wie die Autorin sie ähnlich schon 1998 in ihrem Buch "Vom Hühnchen, das goldene Eier legen wollte", erzählt hat.

    Hanna Johansen hat einen Narren an den Hühnern gefressen. Nicht nur, weil diese merkwürdigen Vögel weder schwimmen noch fliegen noch singen können – und gerade darum gut sind für jede Art von Hoffnung, eine dieser Fähigkeiten doch einmal erlernen zu können.

    " Dann sind Hühner natürlich auch Tiere, die das Menschenauge sehr herausfordern um Ähnlichkeiten zu sehen. In der Art, wie sie glücklich wirken können, aber auch in der Art, wie sie – wie man in der Schweiz so schön sagt – "herumhühnern". Das hat mir schon sehr gefallen. "

    Es menschelt also auch hier, im Opern-Hühnerhof mit seinem querköpfigen Hühnerkind, das singen und schwimmen und fliegen lernen will, mit den unzähligen namenlosen Legehennen und den sechs oder acht Opern-Hühnerpersönlichkeiten. Im Grunde passiert sehr wenig auf den 142 Seiten Text: man scharrt und frisst, kreischt und gackert, jagt und versteckt sich, singt und zankt, trägt Lieder und Verse vor. Und das alles immer wieder und wieder, die Vorstellung – in des Wortes doppelter Bedeutung – ist wichtiger als das gezeigte Geschehen. Grad wie in der richtigen Oper. Dadurch ist "Die Hühneroper" fast eher ein Hör-Buch als ein Lese-Buch.

    " Es lebt von Wiederholungen, wie Märchen und Musik auch von Wiederholungen lebt. Ich glaube und weiß auch von Echos, dass es sehr gut funktioniert, wenn man es vorliest und praktisch auch vorsingt. Es sind ja auch diese Gedichte drin die man sich als Arien vorstellen muss. Dass es Kinder gibt, die ein solches Buch nicht selber lesen wollen, kann ich mir vorstellen, aber ich hab die Erfahrung gemacht, dass es Erwachsene gibt, die das Buch sehr gerne vorlesen. "

    Damit hat Hanna Johansen den Haupteinwand gegen ihr Buch schon selbst genannt – und entkräftet. Denn so wenige Achtjährige "Die Hühneroper" mit Spaß selbst lesen werden, so viele werden sie sich mit Begeisterung vorlesen lassen und so viele Erwachsene dürften das Buch mit Freude vorlesen – und vorsingen. Nicht nur wegen seines graziösen Witzes und seiner herrlichen Komik – man muss sich die singenden Hühner in ihren köstlichen Kostümen auf der Bühne wirklich mal ganz genau vorstellen. Sondern auch wegen seiner vielen literarischen Anspielungen – von Goethes Mignon-Lied über die vielen Sprichwörter von den blinden oder lachenden, dummen oder gerupften Hühnern. Eingeschlossen das stur-beharrliche Galileo-Galilei-Motiv des kleinen Hühnchens: "Und ich versuch es doch". Anspielungen, die Kinder allerdings nicht mitbekommen.

    " Das macht aber nichts, finde ich. Vielleicht – könnte ich mir umgekehrt vorstellen – wenn die Kinder später in der Schule oder wenn sie selber in die Oper gehen oder was im Radio hören – dass ihnen das bekannt vorkommt. Das finde ich eigentlich einen schönen Effekt. Aber Kinder müssen nicht wissen, dass da Goethe benutzt worden ist. Das muss ohne das funktionieren, und ich hoffe, das tut es. "

    Hanna Johansens "Hühneroper" ist auch eine Vorstufe zu einer geplanten gleichnamigen Kinderoper. Diese wird zurzeit von dem Schaffhauser Komponisten und Dirigenten Paul Haug in Zusammenarbeit mit der Autorin produziert. Ihr flexibles Konzept soll es möglich machen, dass Schulen und Theaterhäuser die Aufführung zu sich einladen können. Aber schon mit diesem Buch könnten – wie die Autorin hofft – Laienspielgruppen oder Schulklassen die "Hühneroper" für sich entdecken, können sie als Vorlage nutzen zum Singen und Spielen, Kostüme- und Kulissen-Basteln. Und zum Ausprobieren von etwas Neuem, wie das Hühnchen:

    " Der Antrieb ist eher: Was geschieht, wenn ein Kind sich lauter mehr oder weniger unmögliche Dinge vornimmt und zwar Dinge, von denen die Erwachsenen sagen: Das brauchst Du gar nicht erst zu versuchen. Das ist der wichtigste Satz schon in der ersten Geschichte in diesem Buch und auch in der Oper wird er wichtig sein. "Das brauchst Du gar nicht erst zu versuchen". Und was sagt Hühnchen: Und ich versuch es doch. Wenn was rübergebracht werden soll, dann: Leute bleibt lebendig, probiert was aus! "

    Goldene Eier legen, schwimmen, fliegen, singen – jedes Hühnchen hat seine Träume – wie jedes Kind sie hat. Und alle müssen irgendwann erkennen lernen, welche Träume sich erfüllen lassen, und welche nicht. Welche man sich leicht erfüllen kann, um welche es sich zu kämpfen lohnt und welche man lieber begräbt.

    " Wenn so eine Geschichte Botschaften mitbringt, die natürlich nicht der Anlass sind, sie zu schreiben, dann natürlich auch: jeder so nach seiner eigenen Bandbreite von Möglichkeiten. Von einem Huhn sollen wir nicht erwarten, dass es fliegt wie ein Adler. Und deswegen ist es trotzdem nicht sinnlos, fliegen zu lernen – für ein Huhn. "


    Hanna Johansen: Die Hühneroper. Mit Bildern von Rotraut Susanne Berner. Kinderroman ab 8 Jahren, Verlag Nagel $ Kimche, 144 S., geb. 12,90 Euro.