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38. Mainzer Tage der Fernsehkritik

Von der Kapitalismus-Kritk des SPD-Vorsitzenden Müntefering hatten die ZDF-Planer der 38. Mainzer Tage der Fernsehkritik noch nichts ahnen können, als sie ihr diesjähriges Motto gefunden hatten. "Bilder des sozialen Wandels - Das Fernsehen als Medium gesellschaftlicher Selbstverständigung"

Von Jörg Wagner |
    Doch die politischen Debatten um Reformen, die Demonstrationen zu Hartz IV, und die steigenden Arbeitslosenzahlen schienen den Tagungsverantwortlichen ausreichend, um das Fernsehen Anfang der Woche beim ZDF auf dem Lerchenberg einer Prüfung zu unterziehen, wie es den gesellschaftlichen Wandel begleitet. Wie ein roter Faden zog sich dabei der - auch in Markt und Medien thematisierte - Begriff des "Unterschichtenfernsehens" durch die zweitägige Medienkonferenz. ARD-Latenight-Talker Harald Schmidt hatte diesen Begriff in Abgrenzung zu seinem alten Arbeitgeber SAT1 kürzlich in die öffentliche Debatte geworfen.

    " Selbst im Unterschichtenfernsehen wird jetzt schon vom Unterschichtenfernsehen gesprochen. - Richtig. Ganz Genau.- Absolut. Letzten Freitag bei Günther Jauch. Bitte hier: 'Schillers Räuber. Harald Schmidt würde sagen: bildungsferne Schichten oder so, nee er hat's andersgesagt. Unterschichtenfernsehen. Das sind wir hier ja nicht. Aber ich muss zugeben die Räuber habe ich nie gelesen. Auch nicht in der Schule. Unterschichtenfernsehen".

    Unterschichtenfernsehen ist dort, wo der Krawall, die Ablenkung, Zerstreuung das Programm dominieren, um den Verlierern der Gesellschaft die Betäubungsspritze zu verabreichen. Die öffentlich-rechtlichen klären auf, geben Hilfestellung, zeigen Missstände auf. Soweit das Klischee, das Harald Schmidt verbreitet, nachdem er dem Vernehmen nach im Buch des Bremer Soziologen Paul Noltes "Generation Reform" sein Lieblingswort fand. Inzwischen ist das "Unterschichtenfernsehen" auf den Diskussionspodien der Medienkritik angekommen, um sich dann aber in Nichts aufzulösen. Michael Darkow, Geschäftsführer der Fernsehforschung bei der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung, kurz GfK, die die täglichen Einschaltquoten ermittelt:

    "Ich denke, Fernsehen ist weiterhin ein Massenmedium und das führt einfach zu dem Phänomen, dass wir bei allen Sendern, bei allen Sendungen, auch bei allen Genres alle Teile der Bevölkerung in den Zuschauerschaften wieder finden. Da gibt es unterschiedliche Präferenzen, die aber wesentlich stärker vom Alter und von der Bildung bestimmt werden, als von anderen Faktoren. Alter ist im übrigen nach wie vor das wesentliche Kriterium"

    So soll nach den Auswertungen der Haushalte, die für die Quotenermittlung per GfK-Meter an die Computer der Fernsehforscher angeschlossen sind, die ZDF-Sendung "Wetten, dass ...?" an drei Terminen in diesem Jahr, die meisten Menschen ohne Arbeit an den Fernseher gebunden haben. Es folgt das ZDF-Revival "Die Schwarzwaldklinik – Die nächste Generation". Ein Fußball-Länderspiel in der ARD, ein ARD-Tatort und das ZDF-Traumschiff nehmen die nächsten Plätze auf der Beliebtheitsskala bei Menschen ohne Arbeit ein. Erst auf Position 8 taucht SAT.1, der ehemalige Arbeitgeber von Harald Schmidt auf, allerdings auch mit einem Fußballspiel. Bis zur ersten Notierung von RTL auf Platz 14 mit "Wer wird Millionär" schieben sich noch weitere ARD- und ZDF-Sendungen. Was aber kommt von den gesellschaftlichen Umbrüchen durch Hartz IV oder Gesundheitsreform in den Medien an, wie werden sie reflektiert, wenn schon nicht das Fernsehen selbst als Spiegel der 2/3-Gesellschaft herhalten kann? Der Befund bei den Kritikern und Machern ließ den Schluss zu,

    ""Generell auch im ZDF und auch in den Printmedien und auch im Funk natürlich – ja Journalismus kann da mehr, ja es müsste mehr getan werden."

    Michael Opoczynski, ZDF-Redaktionsleiter der Ratgebersendung WISO, der sich auf dem Podium gegen die Annahme wehrte, gut bezahlte Journalisten könnten wegen mangelnder Betroffenheit, den Ernst der Lage nicht richtig abbilden.

    "Der Chirurg, der Leute heilt, sollte nicht krank sein. Und deswegen sollte auch der Journalist nicht unter Existenzängsten leiden, damit er den klaren Blick hat auf die Lage der Nation. Die Lage der Probleme von Leuten, die Existenzängste haben. "
    Doch die Lage der Nation versteckt sich meist hinter einem Wust an Statistikzahlen oder in Übersetzungen dieser Zahlen mittels anderer Zahlen, wie hier die 5 Million 216tausend Arbeitslosen, die im März von der ARD so umgerechnet wurden.

    "Zur Verdeutlichung, wollten die alle im ICE, fahren, bräuchte man einen Zug von 2tausend800 km Länge. "

    Natürlich gibt es Reportagen mit Betroffenen. Auch die Privaten entdecken soziale Brennpunkte und beobachten Obdachlose oder sind dabei, wenn der Kuckuckskleber kommt. Und in der SAT1-Telenovela "Verliebt in Berlin" fällt schon mal der Begriff Hartz IV. Doch Namensgeber Peter Hartz sieht die Medien anders in der Pflicht. Er träumt vom großen Mobilisierungseffekt, den z. B. eine Familiensendung zum Thema Innovation haben könnte.

    "Was glauben Sie, was in einer Familiensendung, die Oma, der Opa, der Vater, die Mutter, die Schwiegereltern, was die alles einbringen können an Produktideen, an Beschäftigungsideen, an Marktideen, denn Wirtschaft lebt nun einmal vom Markt und wenn Sie da Millionen von Mitwirkenden haben und das über die Künstler und über die Sympathieträger transportieren, dann ist das die Hälfte der Lösung schon. Und Sie müssen, als Medien müssen sie mitmachen. "

    Müssen sie das wirklich? Sollen sie Politikern helfen? Oder besser den Betroffenen? Sind Medien nicht nur Chronisten? Die Mainzer Tage der Fernsehkritik sind zwar zu Ende, doch die Diskussion ist längst nicht abgeschlossen.