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3D und die Kinokunst

Bereits 1904 gab es Kinofilme in 3D. Allerdings war das Ergebnis eher unbefriedigend. Erst in den vergangenen Jahren hat sich 3D technisch etabliert - mit Filmen wie Avatar. Das ZKM Karlsruhe hat der dritten Dimension in Film, Kunst und Technik nun ein Festival gewidmet.

Von Josef Schnelle |
    Es flüstert, es wispert, es schreit im Lichthof der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe: "3D, 3D" - ganz so, als wenn ein neues Zeitalter ausgerufen werden sollte. Begrüßt wird man durch die mordernste 3D-Kamera der Münchener Firma Arri und wenn man dann eine der vor dem Monitor liegenden Brillen aufsetzt, kann man sich gleich selbst in 3D betrachten, nach rechts und links sich drehen, in den Raum hineingreifen, vor und hinter anderen Besuchern herumgeistern. Kaum jemand kann an dieser Begrüßungsinstallation vorbeigehen. Peter Sloterdijk, der Rektor der Hochschule für Gestaltung, erklärt warum:

    "Die heutige Kultur der Dreidimensionalität ist eine Etappe in dieser Geschichte des Griffes nach dem ganzen Menschen. Man bietet heute den Zuschauern Techniken des Sich-Absorbieren-Lassens oder des Eintauchens. Und da wir nun in einer Kultur der immer weitergehenden Eintauchverhältnisse uns bewegen, ist es unausweichlich, dass die 3D-zivilisation in dieser Richtung auch die Menschen weiter erfassen wird."

    Das sagt Peter Sloterdijk bei einer Abendveranstaltung im Medientheater des Zentrums für Kunst und Medientechnologie – kurz ZKM – gleich nebenan. Vorgeführt worden ist soeben Werner Herzogs Höhlenerkundung in 3D "Cave of Forgotten Dreams". Das ist einer der Höhepunkte des Filmprogramms des "Beyond Festivals", des weltweit ersten 3D-Festivals das Ludger Pfanz initiiert hat. Er leitet das Labor für 3D Film, das zwischen HfG und ZKM angesiedelt ist. Pfanz lehrt seine Studenten, wie man unter den Bedingungen des stereoskopischen Films denken und konzipieren muss. Zahlreiche Objekte im Lichthof sind darauf zurückzuführen. Wie es zu diesem einzigartigen Labor für die 3D-Kunst gekommen ist, erklärt Pfanz selbst:

    "Ursprünglich sind wir immer von der Idee ausgegangen, dass es eigentlich noch keine 3D-Filme gibt, sondern 2D-Filme, an denen 3D-Effekte angehaftet sind - wie wenn man einen Stummfilm hat, an den man einfach eine Tonspur klebt. Und deswegen haben wir ein Institut gegründet. Das heißt auf neubadisch "Expanded 3-Digital Cinema Laboratory", das sich die Aufgabe gestellt hat, schon vom Drehbuch her, vom Geschichten erzählen in den Raum hinein zu denken."

    Das 3D-Phänomen ist übergreifend dargestellt in der Ausstellung. Fast immer braucht man eine Brille. Doch es gibt Ausnahmen. Bei den Alioscopien des Fotografen Pierre Alio kann man um die 3D-Skulptur herumgehen und diverse Einblicke gewinnen. Bei manchen Verfahren muss man einen bestimmten auf dem Boden aufgeklebten Platz aufsuchen, um im richtigen Sehwinkel ohne Brille ein filmisches Raumerlebnis zu haben. Den ganz anderen Weg gehen die Erfinder der cinemizer. Bei diesem Verfahren braucht man nur eine Brille, in die das 3D-Bild direkt eingespeist wird – keine Leinwand mehr. Die Ausstellung zu den verschiedenen Entwicklungen der 3-D-Ästhetik sieht das Phänomen ganzheitlich. Digitale Kunstobjekte werden gezeigt, aber auch Anwendungen für Bildung und Forschung. In Zukunft kann man an der Herzklappe vorbei in einer 3D-Projektion operieren.

    Auch die Welt der Games wird mit ihrem künstlerischen Gestaltungspotenzial ernst genommen. Ein Rückblick auf historische Versuche zeigt zudem, dass der Wunsch nach stereoskopischer Darstellung so alt ist wie das Kino. Und so schließt sich der Kreis zur ältesten stereoskopischen Kamera, die noch eine Holzkiste mit zwei aufgesetzten Objektiven ist und aus der Pionierzeit des Kinos stammt. Im Zentrum der Aufmerksamkeit der ganzen Veranstaltung mit Symposien, Demonstrationen, Performances und Filmvorführungen steht aber das Kino. Im letzten Jahr gab es zwar so viele 3D-Filme im Kino wie nie zuvor, die Einspielergebnisse der Kinos stiegen an, bei allerdings insgesamt weniger Zuschauern. Ihr künstlerisches Potenzial haben die stereoskopischen Filme jedoch fast nie ausgeschöpft. Und so war der Beste Film des kleinen Filmprogramms der Film eines Altmeisters. 1954 versuchte sich Alfred Hitchcock mit "Bei Anruf Mord" an dem damals taufrischen Medium. Man wird noch viel lernen müssen, um 3D zu beherrschen und zu einer neuen Kunstform zu machen. Ludger Pfanz findet, dass die engsten Stilverwandtschaften weniger in den Konventionen des klassischen Kinos liegen, sondern bei der Guckkastenbühne des Theaters.

    "Wenn man 3D-Filme guckt, hat man nicht das Gefühl, man ist in Wirklichkeit. Man guckt in eine Bühne hinein, wie wenn man eine Wand hätte, da ist ein Fenster drin und hinter dem Fenster liegt der Raum. Der Bühnenkasten wird in 3D viel dominanter noch als in 2D. Von daher schadet es überhaupt nichts wieder zurück in die alte Kunst des Theaters zu schauen und dann wieder zu gucken, wenn man mit ruhigen großen inszenierten Bühnenbildern arbeiten kann, wie viel Schnickschnack, wie schnell kann man noch schneiden."

    Die dreitägige Veranstaltung, bei der zum ersten Mal das 3D-Medium nicht nur kommerziell, sondern auch künstlerisch ernst genommen wurde, darf als voller Erfolg und als mutiger Schritt in die Zukunft gesehen werden. Die Menschen rennen ins 3D-Kino, auch wenn sie manchmal nur hochgerechnete 2D-Filme zu sehen bekommen. Eine umfassende Revolution des Filmmediums scheint sich aber anzukündigen. Was suchen die Menschen eigentlich in diesem künstlichen dreidimensionalen Räumen. Peter Sloterdijk hat eine heiße Spur.

    "Die zweite Dreidimensionalität hat zwar mit den älteren 3D-Künsten wie Architektur und Musik die immersive Qualität weiterhin gemeinsam, aber sie fügt etwas hinzu, wovon die Menschen am intensivsten träumen: Sie hebt die Schwerkraft auf."