Vu Khoan erscheint im blauen Drillich Anzug zum Treffen im Mariott Hotel Hanoi, einem der Luxusschuppen der vietnamesischen Hauptstadt. Onkel Ho lässt grüßen. Vu Khuon, früherer Vize-Premier Vietnams und jetzt eine Art Elder Statesman, Strippenzieher der KP, ist jedoch moderner und weltoffener, als es der blaue Zwirn vermuten lässt. Vor wenigen Wochen erst habe er hier mit einem Verwandten aus den USA gesessen, erzählt er gleich zum Anfang des Gesprächs, einen Verwandten, der damals vor den Kommunisten, also auch vor ihm, geflüchtet sei:
"Es ist ein Cousin, der damals als boatpeople geflüchtet ist, er gehört zu meiner Familie und wir haben hier miteinander geredet. Es ist gut, wenn die Übersee-Vietnamesen zurückkehren. Es ist gut für unsere Wirtschaft."
Vu Khuon lehrt Ökonomie an der Universität von Hanoi, er berät die Regierung und er doziert gerne über die Entwicklung Vietnams. Das Land habe viel erreicht, sagt der 78-Jährige, dem man sein Alter nicht ansieht, nach dem Wechsel von der kommunistischen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft Mitte der Achtzigerjahre habe eine sehr stabile Phase begonnen:
"Während der letzten tausend Jahre war unser Land so oft besetzt - deswegen lieben wir hier alle Frieden und Unabhängigkeit. Das haben wir erreicht. Aber jetzt fehlt noch der Wohlstand für alle im Land."
Vu war als damaliger Mitarbeiter des Außenministeriums an den Friedensverhandlungen von Paris in den Siebzigerjahren beteiligt, das ist alles lange her sagt er, aber trotzdem:
"Vierzig Jahre sind seit dem Ende des Krieges vergangen, aber die Erinnerungen und die Erfahrungen des Kriegs sind noch nah und präsent für alle Menschen hier."
Ngo Si Nguyen kann das bestätigen. Er saß am 30. April 1975 am Steuer des Panzers 390, der das Eingangstor zum Präsidentenpalast in Saigon durchbrach – der Moment, indem der Krieg beendet war, es folgte die Kapitulation des Südens.
"Uncle Ho hat gesagt, dass wir durchhalten müssen, dass wir kämpfen müssen, bis der letzte amerikanische Soldat aus dem Land vertrieben ist. Um das zu erreichen, sind viele meiner Kameraden gestorben. Als ich auf dem Panzer saß, war ich überwältigt, alles ging mir durch den Kopf und ich konnte nicht glauben, dass wir es jetzt geschafft haben."
Wir haben es geschafft, gegen die übermächtigen USA, dieses Gefühl treibt auch jetzt noch, vierzig Jahre nach Kriegsende, die junge Generation in Vietnam um. Sie kennen den Krieg nur aus Erzählungen, ein wenig aus Geschichtsbüchern – trotzdem sind auch die Jungen, die unter 40-Jährigen stolz auf den Sieg, auf Uncle Ho und dessen Vaterländische Armee.
Korruption verhindert Sprung in die Modernität
Pham Bic Thu studiert Politikwissenschaften, die 21-Jährige stammt aus einem kleinen Ort in der Nähe Hanois, sie ist gerade mittendrin, sich buchstäblich hochzuarbeiten - und sie ist stolz auf ihr Vietnam:
"Der Vietnam-Krieg hat den Geist unserer Nation gezeigt, unsere Widerstandskraft, jetzt müssen wir uns weiter entwickeln, zusammen auch mit den Amerikanern, unseren früheren Feinden."
Zusammen mit den Amerikanern, das sagen alle in Vietnam – obwohl es Grund gäbe zur Wut nach diesem Krieg mit Millionen Toten, Verwüstungen im ganzen Land, Hunderttausenden "Agent-Orange"-Opfern. "Agent Orange", das Dioxin-haltige Pflanzengift, sollte die Wälder entlauben, um den US-Bomberpiloten das Zielen zu erleichtern – und es führt noch jetzt dazu, dass im ganzen Land schwerstbehinderte Kinder geboren werden.
Pham Thi Thuy Linh ist ohne Arme auf die Welt gekommen – ihr Großvater belud damals in Saigon US-Flugzeuge mit "Agent Orange". Der 30. April, der Tag des Kriegsendes ist auch ihr Geburtstag – Linh hat den Vietnam-Krieg nicht erlebt, aber für die 18-jährige wird er nie enden.
"Ich hoffe, dass ich einen besonderen Geburtstag habe, ich werde den halben Tag im Krankenhaus verbringen, wo ich mich um die kleinen 'Agent-Orange-Opfer' kümmere."
Für Vu Khoan, den ehemaligen Vize-Premier ist jetzt vor allem wichtig, die Korruption zu bekämpfen, das sei es, was dem Land noch auf dem Sprung zur Modernität fehle:
"Wir wissen, dass die Korruption eine wichtige Hürde auf dem Weg zur Integration in die Weltwirtschaft ist. Wir versuchen, das jetzt zu ändern. Wir arbeiten mit Schweden und Großbritannien zusammen, wir haben eine Untersuchungs-Kommission eingesetzt. Noch sind wir mit dem Erreichten nicht zufrieden."