Klaus Schmitz: Die Kollegen arbeiten daran. Besonders beim Bayerischen Rundfunk wurden schon bestimmte Vorarbeiten geleistet. Aber ich glaube, dass es bei dem Fortschritt der Technik bald kein Problem mehr sein wird.
Gibt es neben der technischen auch eine ästhetische Herausforderung durch den Surroundklang, zum Beispiel bei dem Hörspiel "Artemis Fowl"?
Klaus Schmitz: Ja, das hat schon mehr mit Filmdramaturgie zu tun als mit der normalen Hörspieldramaturgie. Die Orte sind besonders ausgesucht. Es gibt Raketenstarts, Tropfsteinhöhlen, eine Oberwelt und eine Unterwelt, die jeweils charakteristisch darzustellen sind. Es gibt sehr viel Aktion.
Sind beim Südwestrundfunk jetzt schon weitere 5.1-Produktionen in Vorbereitung?
Klaus Schmitz: Wir würden gern weiter in 5.1 produzieren. Das bedeutet, dass wir uns die nächsten Produktionen sehr sorgfältig aussuchen müssen. Wir haben für das Jahr 2006 eine größere Sache geplant, ein dreiteiliges Hörspiel, und hoffen in der Zwischenzeit genug Erfahrung sammeln zu können.
Ist eine 5.1-Produktion nicht auch teurer als eine Stereo-Produktion?
Klaus Schmitz: Ja, allein dadurch, dass man länger braucht. Mittlerweile haben unsere Ingenieure die technischen Erfahrungen, die man fortentwickeln kann. Vor allem zwischen Regie und Technik sind noch Erfahrungen zu sammeln. Aber ich nehme an, dass es irgendwann genauso schnell gehen wird, für 5.1 zu produzieren wie für Stereo. Die Regisseure müssen jetzt eben völlig neu ansetzen.
Reichlich interessante Schauplätze und genügend Action bietet die 24stündige Hörspielserie"Otherland" nach dem Fantasyroman von Tad Williams, die ab Oktober im Hessischen Rundfunk zu hören sein und auch als Hörbuch erscheinen wird. "Otherland"-Regisseur Walter Adler habe ich nach seinen Erfahrungen mit dem 5.1-Verfahren gefragt.
Herr Adler, werden Sie denn "Otherland" auch für 5.1 produzieren?
Walter Adler: Das kann kein Mensch bezahlen. Wenn wir jetzt an der Stereoproduktion ein Jahr arbeiten, dann würde die 5.1-Produktion fast drei Jahre dauern.
Woran liegt denn das?
Walter Adler: Der große Unterschied ist: Sie haben bei Stereo zwei Lautsprecher und Sie haben 20 Jahre Erfahrung. 5.1 heißt: Sie haben zwei Lautsprecher vorne, zwei Lautsprecher hinten und vorne einen in der Mitte. Und jeder dieser Kanäle muss angesteuert werden. Sie müssen jeden Kanal bearbeiten. Da ist nicht etwas von alleine. Der Ton rieselt nicht einfach von der Decke. Sie müssen sagen: Ich möchte da hinten rechts das und das haben. Dann muss das eingestellt werden. Es muss eingespielt werden, es muss in ein Verhältnis gebracht werden, es muss inszeniert werden. Und das ist einfach dann die drei bis vierfache Zeit.
Wird denn 5.1 dennoch die Zukunft sein?
Walter Adler: Ich glaube nicht, und nicht nur wegen der Kosten. Hinzu kommt noch ein anderer Aspekt: Was ist der Gewinn, wenn man hinten noch etwas hört? Zunächst gibt es ein Hörproblem, weil wir evolutionär so konstituiert sind, dass uns alles erschreckt, was wir nicht sehen.
Das ist ja auch im Kino oft irritierend...
Walter Adler: Ja. Es ist völlig überflüssig, wenn der Hubschrauber rechts an einem vorbeifliegt und dann irgendwann erst auf der Leinwand erscheint. Ich brauche das nicht, dass er dann links weiter und bis hinten in den Saal fliegt. Das finde ich albern. Interessant ist es eigentlich nur, wenn Klänge durchwummern. Aber für gezielte Geräusche finde ich das ungeeignet. Stellen Sie sich vor, Sie hören ein Hörspiel und hinter Ihnen rechts macht plötzlich jemand eine Tür auf - dann schrecken Sie zusammen. Das ist der erste Punkt. Der zweite ist, dass Sie von diesem Moment an nur noch darauf warten, dass da hinten wieder etwas passiert. Sie hören das Hörspiel gar nicht mehr, sondern achten nur noch darauf, was jetzt rechts, was jetzt links kommt. Also kann man 5.1 sowieso nur sinnvoll einsetzen, indem man Klangfelder nach hinten herüberschwappen lässt. Und dafür diesen großen Aufwand zu betreiben, finde ich irre.
Würde es denn ästhetisch einen Grund geben, in 5.1 zu produzieren?
Walter Adler: Ja, aber nicht im realistischen und nicht im unterhaltenden Hörspiel, sondern in der Kunst. Eine Installation mit 5.1-Aufbau kann ich mir sehr interessant vorstellen, wenn man einen ganz bestimmten Ausdruck damit erreichen will. Aber für ein Unterhaltungshörspiel ist das Unsinn, denn das Tolle am Hörspiel ist ja gerade, dass ein Minimum an Informationen einen ungeheuren Phantasievorgang in Gang setzt. Und wenn Sie diese Informationen vervielfachen, ist das nicht unbedingt eine Bereicherung der Phantasie des Hörers, sondern man nimmt ihr eher etwas weg. Im Kino müssen Sie einfach den Schauspieler akzeptieren, den Sie sehen. Hundert Leute hören ein Hörspiel und hundert Leute hören jeweils ein anderes Hörspiel, weil jeder die Töne mit anderen Bildern auffüllt, mit seiner Erfahrung, mit seinen Filmen, seinen Romanen oder seinem Leben, das er gelebt hat. Je mehr Sie das, was Sie vorgeben, erweitern, desto mehr nehmen Sie dem Hörer weg. Ein weiterer Punkt ist - und das ist ähnlich wie beim Kunstkopfverfahren: so wie wir jetzt im Hörspiel arbeiten, arbeiten wir auch mit einem gewissen Prinzip der Trägheit. Das Ohr wird überlistet. Wenn Sie die akustischen Informationen vervielfachen, wird das Geräuschbild transparenter und Sie müssen sehr viel sorgfältiger arbeiten. Wenn wir beispielsweise heutzutage darstellen wollen, dass jemand am Tisch sitzt, aufsteht und weggeht, muss sich der Sprecher nur vom Mikrophon abwenden. Das ist alles. Wenn man für 5.1 produziert, muss man Kino im Hörspielstudio machen. Der Schauspieler muss an einem richtigen Tisch sitzen, in einem richtigen Raum. Er muss richtig aufstehen und richtig weggehen. Sie können sich vorstellen, was das für ein Irrsinn ist, wo wir gerade dabei sind, uns von dem Realismus der Geräusche wegzuentwickeln. Es gibt einfach heutzutage keine Notwendigkeit, dass Türen klappern, Schritte knarzen und Tassen klimpern. Das ist nicht unbedingt notwendig für eine Geschichte. Davon haben wir uns ja gerade erst gelöst.
Nicht aus realistischen Geräuschen, sondern aus musikalischen Klängen komponiert der Jazz-Musiker Michael Riessler seine Hörspiele.
Herr Riessler, wie empfinden Sie die Wirkung des Rundum-Hörens?
Michael Riessler: Es hat eine große Manipulationskraft, die mir suspekt ist. Es ist gerade im Kino erstens oft viel zu laut und zweitens so real, dass es mir suspekt vorkommt. Den substantiellen Vorteil, den ich bei 5.1 - dort, wo man 5 Schallquellen um sich herum hat - wirklich sehe, ist der, dass man parallele Verläufe nachvollziehen kann, ohne dass man sie dynamisch staffeln muss. In einem Stereobild haben wir immer einen Vordergrund und einen Hintergrund, wie bei einem Relief. Bei 5.1. kann man parallele Verläufe plastisch darstellen und das finde ich sehr spannend.
Ist 5.1 ein ähnliches Experiment wie das Kunstkopfverfahren in den Siebzigern?
Michael Riessler: Das kann man in gewisser Weise vergleichen und auch wieder nicht. Beim Kunstkopf war es ja so, dass der Kopf wirklich genau diese Abstrahlung wiedergegeben hat, die der Realität entspricht. Bei 5.1. bekommen die Klänge eine Richtung und eigene Verläufe. Es gibt Dinge, die sich dafür eignen und es gibt welche, die sich dafür überhaupt nicht eignen. Ich habe jetzt eine Produktion für den WDR gemacht, "Berenice-Tableau" – da, finde ich, eignet sich das wirklich, weil viele Personen und viele Instrumente auftreten, die miteinander kommunizieren und da macht es Sinn, dass man diese Verläufe auch plastisch im Raum abbilden kann.
Und wo würde sich das nicht eignen?
Michael Riessler: Bei Dingen, die für eine Konzertbühne konzipiert sind, finde ich 5.1 überhaupt nicht sinnvoll. Ich will ja nicht mitten im Orchester drinsitzen. Da hab ich das Gefühl: Jetzt muss ich auch noch mitspielen.