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"50.000 Euro würde ich für angemessen halten"

In der Diskussion um den Zuzug von hochqualifizierten ausländischen Arbeitskräften hält der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger die bisher geltende Mindest-Gehaltssumme für Ausländer von 85.000 Euro im Jahr für zu hoch. Der CDU-Politiker plädierte für etwa 50.000 Euro Jahresgehalt. Wenn andere Länder mitmachten, sei Baden-Württemberg bereit, im Bundesrat eine Initiative zu starten, um den Zuzug von ausländischen Spitzenkräften neu zu regeln.

Moderation: Silvia Engels |
    Silvia Engels: Seitdem Bundesforschungsministerin Schavan den Fachkräftemangel im Land durch einen erleichterten Zuzug ausländischer Spezialisten beheben will ist das Thema in aller Munde. Annette Schavans Parteifreund, der Unionsfraktionschef im Bundestag Volker Kauder, setzt dagegen auf mehr Ausbildung. Die Hauptgeschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall Kunstmann schrieb dagegen in der Zeitung "Bild am Sonntag", 10 Prozent der Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie berichteten bereits von ernsthaften Produktionsbehinderungen wegen fehlender Arbeitskräfte. Besonders betroffen ist Baden-Württemberg. In zahlreichen Metall- und Elektrobetrieben fehlen dort Ingenieure. Am Telefon ist nun der Ministerpräsident dieses Bundeslandes Günther Oettinger von der CDU. Guten Morgen!

    Günther Oettinger: Guten Morgen!

    Engels: Bedroht denn der Fachkräftemangel bei Ihnen im Land bereits den Aufschwung?

    Oettinger: Wir haben in Baden-Württemberg Regionen, in denen Meister, Techniker und Ingenieure fehlen, und klar ist: Dieser Fachkräftemangel wird sich im Zweifel verstärken, wenn die Wirtschaft, was wir wollen, weiter wächst und die Zahl der Schul- und Hochschulabsolventen zu gering ist. Deswegen brauchen wir zwei Maßnahmen. Wir brauchen mittel- und langfristig mehr Ingenieure, Techniker und Naturwissenschaftler, was mit Berufsberatung, Studienberatung und früher Technikbezogenheit in der Schule zu tun hat, und kurzfristig bin ich bereit, über eine Lockerung der Regeln für Nicht-EU-Ausländer, in Deutschland zu arbeiten, nachzudenken. Da haben wir derzeit eine Gehaltssumme pro Jahr, die vielleicht zu hoch ist, und deswegen rennt die Kollegin Schavan bei uns offene Türen ein.

    Engels: Die Verdienstschwelle, von der Sie sprechen, beträgt 85.000 Euro im Jahr. So viel muss derzeit ein Spezialist aus dem Ausland in Deutschland verdienen können, damit er hier dauerhaft arbeiten kann. Wie tief soll denn diese Schwelle gesenkt werden?

    Oettinger: Da müssen wir gemeinsam mit den Fachleuten der Arbeitsagenturen und auch der großen forschenden und produzierenden Betriebe sprechen, aber im Kern sollten wir erreichen, dass jemand, der hier studiert, oder jemand, der nach dem Studium im Ausland zu uns kommen will, auch ein Einstiegsgehalt bezahlt bekommt und hier arbeiten darf.

    Engels: Also 40.000 Euro?

    Oettinger: 50.000 Euro würde ich für angemessen halten. Ich will da keine Zahl jetzt endgültig festnageln, aber deutlich unterhalb des derzeitigen Jahreseinkommens sollte es sein.

    Engels: Der Wissenschaftsminister in Nordrhein-Westfalen, Herr Pinkwart von der FDP, fordert Ähnliches wie Sie. Er will nun den Bundesrat einschalten und hier möglicherweise Erleichterungen erreichen. Ziehen Sie mit?

    Oettinger: Ja. Da sind jetzt Gespräche nötig zwischen den großen Flächenländern, in denen das Problem besteht, und dann auch mit der Bundesregierung, mit dem Wirtschaftsminister, dem Arbeitsminister, der Forschungsministerin. Baden-Württemberg ist hier zu einer Initiative bereit, wenn sie von anderen mitgetragen wird.

    Engels: Das heißt eine eigene Initiative, aber Sie wollen das Zuwanderungsgesetz, das die Bundesregierung ja bereits beschlossen hat und noch durch die Länderkammer muss, nicht blockieren?

    Oettinger: Nein. Das sind zwei getrennte Baustellen. Da könnte man das Thema Fachkräfte andocken, aber ich will jetzt keine Veränderung im parlamentarischen Verfahrensplan. Das Ausländerrecht ist auf der Zielgeraden und jetzt wird parallel und danach die Frage der Fachkräfte besprochen. Da kann ich mir auch vorstellen, dass wir ein Zeitgesetz machen, das heißt, dass wir mal auf drei Jahre die entsprechende Gehaltsschwelle herabsenken, um dann zu merken, ob es funktioniert und ob dies der richtige Weg ist.

    Engels: Gegner entgegnen ja nun, dass es nach wie vor viele arbeitslose Ingenieure gebe, in höherem Alter allerdings. Sollte man die nicht erst einmal fördern und auch Betriebe dazu bringen, diese einzustellen?

    Oettinger: Wir haben derzeit etwa 50.000 offene Stellen für Ingenieure, allein in Baden-Württemberg 13.000. Diese Maßnahme ist notwendig. Wir müssen Weiterbildung und Rückführung vorantreiben. Dies wird aber nicht reichen und deswegen mehr Ingenieure aus der Junggeneration, Weiterbildung und Vermittlung der älteren Ingenieure, die arbeitslos sind, und trotzdem bleibt für einen Korridor Raum, der ausländischen Fachkräften den Weg nach Deutschland ebnen soll.

    Engels: Das sind jetzt Ausnahmen, die vor allen Dingen Nicht-EU-Staaten betreffen. Nun gilt ja auch nach wie vor für die neuen EU-Mitglieder, beispielsweise Polen, Tschechien oder Ungarn, dass dort nach wie vor nicht die Menschen frei hier arbeiten können. Sollte man diese Beschränkungen einfach früher auslaufen lassen?

    Oettinger: Da ist ja die Freizügigkeit in Stufen herbeizuführen und das dauert noch einige Jahre. Bei den möglichen Bewerbern aus Polen und anderen neuen Ländern geht es ja weniger um die hoch Qualifizierten, sondern mehr um die Frage eines Mindestlohns. Deswegen glaube ich, dass zum Schutz unserer Beschäftigten die vereinbarten Regeln auch eingehalten werden sollten. Darauf hat sich jeder eingerichtet: der Handwerksbetrieb, die Arbeitnehmer, die Wirtschaft. Deswegen würde ich hier keine Änderung vorschlagen.

    Engels: Aber die hoch Qualifizierten aus den neuen EU-Ländern könnten vielleicht eine Ausnahmeregelung bekommen?

    Oettinger: Wenn wir für Nicht-EU-Ausländer die Gehaltsgrenzen lockern und nach unten senken, dann ist für die hoch qualifizierten Ingenieure aus neuen EU-Ländern mit Sicherheit eine gleiche Veränderung angesagt.

    Engels: Sind nicht eigentlich die Betriebe selbst Schuld, weil sie zu lange zu wenig ausgebildet haben?

    Oettinger: Da kann man leicht über Verantwortung und Schuld sprechen. Tatsache ist, wir müssen jetzt handeln. Für viele Betriebe war der Wirtschaftsaufschwung in der Dimension nicht absehbar und darüber hinaus haben viele Betriebe in der Vergangenheit mit hohen Personalkosten auch negative Erfahrungen gemacht. Deswegen ein Mix. Rückführung durch Weiterbildung, mehr Junge als Ingenieure und etwas mehr Ingenieure aus dem Ausland zu uns ist glaube ich ein angebrachter Weg.

    Engels: Herr Oettinger, noch zu einem anderen Thema. Ihr Parteifreund Wolfgang Schäuble hat sich am Wochenende mit Koalitionsstrategien befasst. Er spricht in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" offen davon, Schwarz-Grün sei zwar nicht der Wunsch, aber eine Option für die Union. Hat er Recht?

    Oettinger: Wolfgang Schäuble hat immer Recht und eine Option ist Schwarz-Grün dort, wo man damit Rot-Grün oder Rot-Rot verhindern kann. Allerdings die Frage stellt sich nicht theoretisch, sondern wenn, dann praktisch und nur dort, wo eine Alleinregierung der CDU nicht möglich ist. Im Regelfall ist auch die Koalition mit der FDP für uns näher liegend als alles andere.

    Engels: Sie selbst haben nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg auch mit den Grünen zumindest einmal über eine Zusammenarbeit sondiert. Dann haben Sie sich aber für Ihren jetzigen Koalitionspartner FDP entschieden. Hätte man denn damals es praktisch mit den Grünen schaffen können?

    Oettinger: Die Grünen in Baden-Württemberg haben die längste parlamentarische Erfahrung und relativ wenige Ideologien an Bord. Aber es hat sich bei unseren Sondierungen gezeigt, dass die gemeinsame Schnittmenge, der Vorrat an Zielen mit der FDP am größten ist. Deswegen haben wir diese Koalition nach gründlicher Prüfung, aber aus Überzeugung fortgesetzt.

    Engels: Wann ist es so weit für das erste schwarz-grüne Modell in irgendeinem Bundesland?

    Oettinger: Das kann man nicht datieren, aber das kann dort kommen, wo Schwarz-Grün die einzige parlamentarisch konstruktive Mehrheit darstellt und mit der Rot-Rot zum Beispiel verhindert werden kann.