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50. Geburtstag einer Hassliebe

Zum 50. Geburtstag des berühmten Stückes von Edward Albee zeigt der Broadway in Chicago die hochgelobte Wiederaufnahme der Steppenwolf Theater Company. Das Ensemble hat sich auf die Suche zurück zu den Wurzeln des Stücks gemacht.

Von Andreas Robertz | 31.10.2012
    Hoch sollen sie leben! George und Martha feiern goldene Hochzeit. Seit vor 50 Jahren Edward Albee dem Broadway "Who is Afraid of Virgina Woolf" schenkte, reisten Tausende von Zuschauer überall auf der Welt mit diesen Prototypen des psychologischen Ehekrieges durch die Nacht, in der dieses Stück spielt. In einer bis dahin nie erfahrenen Boshaftigkeit wurde die Theaterwelt damals Zeuge eines ehelichen Psychomassakers, dass bis dato seines gleichen sucht.

    Martha, die Tochter des Universitätspräsidenten, und ihr Mann George, Professor für Geschichte, der es nie zum Dekan der Fakultät brachte, laden sich den neuen ambitionierten Biologiedozenten Nick und seine piepsige Frau Honey zu einer Nachtparty in ihr Haus ein. Doch die letztgenannten sind nur Spielzeug in den Händen der beiden Antagonisten, die sich als wahre Meister des verbalen Gemetzels entpuppen. Am Ende einer durchsoffenen Nacht voll grausamer Kastrationen und höhnischer Demütigungen tötet George die große Lüge ihrer beiden Leben: den Sohn, den Martha nie haben konnte. Als das Licht dieser Lüge erloschen ist und die Gäste das Weite gesucht haben, bleibt für Martha und George nichts als erschreckende Dunkelheit.

    Regisseur Pam MacKinnon und Bühnenbilder Todd Rosenthal der Steppenwolf Theater Company entschieden sich in "Who is Afraid?" für einen exakten Nachbau des ursprünglichen Bühnenbildes von 1962, eines in dunklem Holz gehaltenen großen Salons mit einer Haustür im Hintergrund und einer luxuriösen Treppe in den zweiten Stock mit der Bibliothek darunter.

    Ähnlich wie bei der Bühnenbildentscheidung hat sich auch das Ensemble auf die Suche zurück zu den Wurzeln des Stückes gemacht, befreit von der düster-kalten Vorlage einer Interpretationsgeschichte, die in der Verfilmung mit Elisabeth Taylor und Richard Burton ihren dramatischen, aber humorlosen Anfang nahm. Das Ergebnis ist ein starker Abend, der neu und erfrischend wirkt, sowohl in seiner Bösartigkeit, als auch in seinem Humor und seiner Menschlichkeit.

    "- "Aber da kam George daher, daher kam George”.
    - ”Und da kam George daher mit dem Schnaps. Was machst du da, Martha?"
    - "Ich erzähle eine Geschichte. Setz dich, du kannst was lernen.""

    Das Besondere dieses Abends der Steppenwolf Theater Company ist deren unverwechselbare Schauspielerperspektive. In ihrer Version von "Who is Afraid of Virgina Wolf" begegnen uns nicht zwei kalte Prinzipien, sondern wirkliche Menschen, ihre Verletzungen, ihre bösartige Lust, die Illusionen des jeweils anderen zu zerstören, aber auch ihre Liebe. Der manchmal beißende Humor des Texts ist dabei so schlau ausgearbeitet, dass der dreistündige Abend wie im Fluge zu vergehen scheint. Amy Morton spielt Martha dabei nicht nur als das höhnisch-zynische Biest, sondern in einem Moment launisch und aggressiv, dann plötzlich zerbrechlich, Liebe suchend und fast zögernd, ob der nächste Schritt nicht zu nah am Abgrund ist.

    "- "Hör auf Martha!”
    - "Was willst du?"
    - "Ich dachte, du erzählst die Geschichte von der Verlobung und nicht von der anderen Sache."
    - "Und, das tue ich aber."
    - "Das würde ich an deiner Stelle nicht tun."
    - "Ach, würdest du nicht? Ich bin aber nicht du."
    - "Ich warne dich."
    - "Du tust was?"
    - "Ich warne dich...""

    Tracy Letts, der eigentliche Star des Abends, ist ein großer starker Mann mit einer Aura von Autorität und Kraft, der zwar jede Demütigung hinnimmt, doch nur um sie im nächsten Moment zu seinem Vorteil zu nutzen. Er versucht klug seine nächsten Züge zu setzen, mal aufbrausend, aggressiv oder gar gewalttätig, dann wieder bucklig, in Selbstmitleid aufgelöst, doch nie ohne den bitteren Humor zu verlieren, der sein Überleben zu sichern scheint. Und wenn er am Ende die ängstliche Martha am Boden umgreift, spürt man, dass da auch eine große Liebe all diese Jahre überlebt hat. Standing Ovations und langer Applaus für eine wunderbare Aufführung zu Ehren eines großen Stückes.