Freitag, 29. März 2024

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50 Jahre Art Cologne
"Ob Polke oder Richter: Wir lagen immer weit unter 10.000 Mark"

Die Art Cologne war 1967 die erste Kunstmesse der Welt - diese Woche findet sie zum 50. Mal statt. Gegründet wurde sie unter anderem von dem Galeristen Rudolf Zwirner. Damals habe so etwas wie eine Kunsthauptstadt gefehlt, sagte Zwirner im DLF. Heute bedauert er, dass Sammler nur noch Messen besuchten, um Kunst zu kaufen, nicht aber die Galerien in ihrer Stadt.

Rudolf Zwirner im Gespräch mit Michael Köhler | 13.04.2016
    Ein Besucher geht in Köln (Nordrhein-Westfalen) am Kunstwerk "Nefertiti sculpture" aus dem Jahr 2015 von Isa Genzken vorbei.
    "Nefertiti sculpture" aus dem Jahr 2015 von Isa Genzken. (picture alliance / dpa / Federico Gambarini)
    Michael Köhler: Zuerst aber Kunst, nein Kunstgeschichte, nein Kunstmarktgeschichte. Die 50. Art Cologne eröffnet, scheinbar nur so ein Termin im Messekalender. Und diese Messe sagt von sich selber, die älteste Kunstmesse der Welt zu sein für moderne und zeitgenössische Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Immerhin ist die Moderne ja so etwas wie unsere Antike. Dort auf dieser Messe wurde Kunst nicht nur käuflich, aber sie wurde erwerbbar. Es änderte sich was in der Wahrnehmung, im Umgang mit moderner Kunst.
    Dem künstlerischen Aufbruch folgte auch einer des Handels. Wie das aber alles anfing, 1966, vor 50 Jahren, das hören wir jetzt mal aus berufenem Mund. Neben dem Galeristen Hein Stünke nämlich war es insbesondere der Kölner, heute Berliner Galerist Rudolf Zwirner, der das mit 16 weiteren Galeristen ins Leben rief. Also: Im März 1966, da reichte, ja was war das, ein Schreibmaschinenzettel mit sieben Punkten darauf. Heute müsste man einen hundertseitigen Business-Plan haben. Herr Zwirner, erinnern Sie sich noch daran?
    Rudolf Zwirner: Na ja, an den Zettel erinnere ich mich natürlich nicht und an die Punkte auch nicht. Nur es war klar, dass wir damals, _66, beziehungsweise das Gespräch hat im Frühjahr _67 mit dem Kulturdezernenten, dem Beigeordneten Kurt Hackenberg stattgefunden, alle uns einig waren, dass so etwas wie eine Kunsthauptstadt fehlt. Überall waren irgendwo ein, zwei Galerien, entsprechend gab es nie eine zentrale Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst, wie es in Paris oder in London oder in Mailand erfolgreich war. Diese Schwierigkeit, das wir hier sehr isoliert waren in den jeweiligen Städten, die führte natürlich zu einer Überlegung, ob man das mangelnde Interesse an wirklich zeitgenössischer Kunst, nicht an der Kunst der Entarteten, nicht an der École de Paris der 50er-Jahre, sondern an der Kunst der 60er-Jahre, ob man da irgendwas ändern kann.
    "Die Kunst veränderte sich"
    Köhler: Neu war der zeitgenössische Anteil, Sie haben es gerade erklärt. Aber neu war auch - und das haben Sie massiv nach vorne gebracht - der deutsche zeitgenössische Anteil.
    Zwirner: Genau das sagen Sie. Ich erinnere mich an die Klagen, dass hohe Preise für Soulages oder Poljakow, École de Paris bezahlt wurden, aber für zeitgenössische Kunst, ob es jetzt nun Schumacher war, oder ob es Polke war oder Richter war, wir lagen alle immer weit unter 10.000 Mark. Und die nicht zur Kenntnisnahme deutscher Kunst besonders in Amerika war bitter.
    Köhler: Herr Zwirner, wenn wir zurückblicken - und Sie sind ja nun Zeitzeuge und können es beobachten -, was war das Revolutionäre? Trug die Kunst und auch der Kunstmarkt bei zu einer Ästhetisierung und auch Demokratisierung in dem, was man immer so "formierte Gesellschaft" der jungen Bundesrepublik nennt?
    Zwirner: Das war natürlich ein wesentlicher Faktor. Es wurde demokratisiert, es wurde offener und die Kunst veränderte sich, weil die Medien auf einmal in dieser Konstellation, die Printmedien, aber auch die Fernsehmedien plötzlich Interesse fanden an dieser Art von Darstellung. Was revolutionär war, war, dass die bisher geglaubte notwendige Aura für einen Verkauf des Kunstwerkes wegfiel. Es gab dann Sendungen, die Kunst wird zu Grabe getragen, oder die Kunst enthauptet sich. Es gab Tendenzen, konservative Tendenzen, die das unmöglich fanden, dass Kunst und Kommerz so sichtbar war. Es war merkwürdig immer in Deutschland, vielleicht mehr als in anderen Ländern der Schein, dass Kunst kein Warenartikel ist. Kunst ist etwas Spirituelles und keine Ware. Sobald es wie in diesem Falle auf einer Messe gezeigt wird, hat es natürlich den wahren Charakter, der dann Gott sei Dank gleich wichtig wurde, wie der spirituelle Wert.
    Köhler: In fünf Tagen, habe ich mal irgendwo gelesen, haben Sie eine Million Mark umgesetzt. Man muss sich das in Erinnerung rufen, dass Mitte der 60er-Jahre ein VW Käfer 5000 kostete.
    "Die Verstärkung der Galerien wird nicht gerechtfertigt"
    Zwirner: So ist es. Es waren unglaublich überraschende Umsätze. Zum ersten Male konnten breitere Schichten, die sehr wohl documenta eins und documenta zwei besucht hatten und sich für die Dinge interessierten, auch anfassen und sogar kaufen. Das war bisher für die Gegenwart ja nicht möglich. Die Messe erlaubte es ihnen, 15.000 bei der ersten Veranstaltung, sich so zu informieren und dann doch sei es eine Grafik mitzunehmen, oder bereits auch schon mal ein Bild.
    Köhler: Ein Allerletztes. Wenn Sie heute auf die Art Cologne gehen, mit welchem Gefühl?
    Zwirner: Immer wieder komme ich mit dem Zauberlehrling. Das ist ein Gefühl: Es gibt sehr, sehr viele Kunstmessen heute, sehr große Kunstmessen, und das, was wir erreichen wollten, das Interesse einer Bevölkerung, um die Arbeit in einer Galerie letztlich zu stützen, wird wieder nicht erreicht, weil die Galerien eigentlich wieder nicht besucht werden, wie sie eigentlich besucht werden müssten, denn die Märkte ziehen den Handel an sich. Die Kunsthändler, die nicht auf einer Messe teilnehmen können, wirtschaftlich gesehen, haben das Nachsehen, denn die Sammler konzentrieren sich, zwei-, dreimal oder viermal im Jahr auf irgendeiner Messe zu erscheinen und dort zu kaufen, statt regelmäßig den Galeristen in ihrer Stadt zu besuchen, um dort Kunst zu kaufen. Das Problem, was wir eigentlich hatten und abschaffen wollten, ist nicht erreicht. Die Verstärkung der Galerien, die hohen Kosten, die ein Galerist hat in jeder Stadt an Miete und an Ausstellungen, wird nicht gerechtfertigt durch die Besucher, die diese Ausstellungen sich dann ansehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.