Dienstag, 07. Mai 2024

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50 Jahre "Studienkreis deutscher Widerstand"
Ziviler Ungehorsam als Teil der Bürgerkultur

1967 – die Zeit der Studentenbewegung. Junge Menschen fragen: Was haben unsere Eltern während der Nazi-Zeit gemacht? Gleichzeitig wird auch der Widerstand gegen Hitler neu entdeckt. In Frankfurt entsteht der "Studienkreis Deutscher Widerstand". Bis heute erforscht der Verein das politische und soziale Spektrum des antifaschistischen Widerstands.

Von Ludger Fittkau | 16.02.2017
    Studenten der Freien Universität Berlin demonstrieren am 08.07.1966 vor dem Henry-Ford-Bau der Universität gegen das Engagement der Amerikaner im Vietnamkrieg.
    Der "Studienkreis Deutscher Widerstand" wurde Ende der 1960er-Jahre gegründet zu der Zeit der Studentenrevolten an den Universitäten - wie hier an der Freien Universität Berlin. (picture alliance / dpa / Joachim Barfknecht)
    "Die Illegalen. Drama aus der deutschen Widerstandsbewegung" - so lautet der Titel eines Theaterstücks, das Günter Weisenborn noch 1945 in Berlin schrieb "als Denkmal der Schafottfront". Die Schafottfront – so bezeichnet Weisenborn diejenigen Mitglieder seiner eigenen Widerstandsgruppe um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen, die von den Nazis aufs Schafott geführt und hingerichtet wurden.
    Das Stück wurde im Nachkriegsdeutschland viel gespielt und ist heute nahezu vergessen. Damit der Widerstand auch im Schulunterricht größere Beachtung findet, gehört Weisenborn 1967 zu den Gründern des "Studienkreises Deutscher Widerstand" in Frankfurt am Main.
    Gemeinsam mit Edgar Weick, der heute anlässlich des 50. Jahrestages der Gründung in das Archiv ins Frankfurter Westend zurückkehrte. Der Alt-68-er Weick erinnert sich daran, dass zu den Gründungsmitgliedern damals auch beinharte Stalinisten aus der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" – kurz VVN – gehörten, mit denen es sehr schnell tief gehende politische Kontroversen gab:
    "Der Studienkreis ist gegründet worden vor dem Einmarsch der Warschauer Pakt-Staaten in Prag. Und das hat heftige, sehr heftige Folgen gehabt. Weil in der VVN und um den Studienkreis herum nicht wenige diesen Einmarsch gerechtfertigt haben und diejenigen, die für den Reformkommunismus in Prag eingetreten sind und auch Buchenwald-Häftlinge waren sind von denen, die den Einmarsch für richtig gehalten haben auch nachträglich, auch 1968 und 1969 und in den folgenden Jahren als Verräter gebrandmarkt worden."
    Ausstellung über den Widerstand gegen das Nazi-Regime
    Fast ein Wunder also, dass der Studienkreis diese grundlegenden Kontroversen der Anfangszeit überstanden hat und unterdessen eine Spezialbibliothek zum Widerstand mit 22.000 Bänden anbietet. Genauso wie eine Vielzahl von Unterrichtshilfen für Pädagogen. Im Rahmen des umfangreichen Jubiläumsprogramms des Studienkreises ist ab heute in Frankfurt am Main auch eine Ausstellung zum "Europäischen Widerstand gegen den Nazismus 1922-1945" zu sehen.
    Der Widerstandsbegriff verändert sich jedoch immer wieder. Nach der Befreiung von Nationalsozialismus spielte insbesondere der Begriff des "Widerstandrechts" eine große Rolle im öffentlichen Diskurs - etwa von Juristen Fritz Bauer stark gemacht. Als Metapher für den legitimen Gesetzesbruch gegen Tyrannen ist das Widerstandrecht allerdings schon seit der Antike Gegenstand von Literatur oder Philosophie.
    "Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht, wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden". Schiller argumentiert in seinem "Tell" mit dem Naturrecht der Selbstverteidigung, um den gewaltsamen Widerstand des Einzelnen zu rechtfertigen. Eine uralte Rechtsfigur. Die Rechtfertigung des Tyrannenmordes gibt es schon in der Römischen Republik. Cicero etwa propagiert um 45 vor Christus gegen den tyrannischen Cäsar die Pflicht zum Rechtsbuch für den einzelnen Bürger, der zwecks Rettung der öffentlichen Belange gegen Willkürherrschaft geradezu zum "Piraten" werden müsse.
    Form und Legitimation von Widerstand immer wieder diskutiert
    Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus gab es auch im Parlamentarischen Rat Stimmen, die ein Widerstandsrecht ins Grundgesetz schreiben wollten. Sie konnten sich nicht durchsetzen, der spätere Bundespräsident Theodor Heuss etwa war dagegen. Er befürchtete, künftig könnten sich möglicherweise sogar Nazis auf ein solches Widerstandsrecht in der Verfassung berufen, wenn sie Krawall gegen den demokratischen Staat machen wollten.
    Aktuell führt ein anderer Begriff zu kontroversen Fach-Diskussionen im Studienkreis des Deutschen Widerstands in Frankfurt am Main. Der Begriff des "Rettungswiderstands" nämlich. Historikerin Gabriele Prein:
    "Das ist ein Begriff, der sich eben erst in jüngster Zeit eingebürgert hat. Das heißt, dass Bürger und Bürgerinnen anderen geholfen haben. In der Regel jüdischen Mitmenschen. Aber auch politisch Verfolgten, die ihnen dann Quartiere zur Verfügung gestellt haben. Oder ihnen Reiserouten berechnet haben, wie man in die Schweiz entkommen konnte. Als es nicht mehr einfach war, Papiere zu bekommen, oder auch die finanziellen Mittel nicht da waren. Und zumal in Berlin sind eben sehr viele Jüdinnen und Juden von Menschen gerettet worden, in dem sie in Schrebergärten mit Lebensmitteln versorgt worden sind und eben tatsächlich dieses Wort "Rettung von Leben" eine große Rolle gespielt hat."
    Kontroverse: Ist Rettungswiderstand oder Ausdruck von Humanität?
    Der Alt-Linke Edgar Weick wiederum kann mit dem Begriff "Rettungswiderstand" nichts anfangen. Die lebensgefährliche Hilfe für Juden im NS-Staat ist für ihn ein großartiger Ausdruck der Humanität – als politischen Widerstand betrachtet er sie nicht. Nur ein Beispiel, das zeigt: Der Widerstandsbegriff ist nichts Statisches – auch nach 50 Jahren Studienkreis-Geschichte in Frankfurt am Main nicht.