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50. Todestag von Erika Mann
Die desillusionierte Nazi-Gegnerin

Im Kampf gegen die Nazis profilierte sich Thomas Manns Tochter Erika selbst als Autorin: Sie schrieb etwa Texte fürs Kabarett "Die Pfeffermühle" und arbeitete als Kriegsberichterstatterin. Vor ihrem Tod vor 50 Jahren hütete sie das literarische Erbe ihres Vaters und ihres Bruders.

Von Christoph Vormweg | 27.08.2019
    Eine historische schwarz/weiss Aufnahme von der Schriftstellerin Erika Mann aus dem Jahr 1960. Sie hat den Kopf auf die Hand aufgestützt und sieht gedankenverloren am Betrachter vorbei.
    Erika Mann war Schülerin des Regisseurs Max Reinhardt, verfasste Reiseberichte mit ihrem Bruder Klaus, schrieb politische Texte und arbeitete in den USA als Journalistin (picture-alliance / akg-images / Eva Hermann)
    Sieben Monate vor ihrem Tod strahlt das WDR-Fernsehen ein Interview mit Erika Mann aus, der erstgeborenen Tochter von Literaturnobelpreisträger Thomas Mann. Kernfrage: Warum sie sich seit ihrer Rückkehr aus dem US-Exil nicht mehr öffentlich einmische? In ihrer Antwort verweist Erika Mann auf die politische Knebelung während der McCarthy-Zeit:
    "Die FBI kam jede Woche einmal zum Verhör – und im Übrigen konnte man nicht mehr auftreten. Das hat mich sehr schockiert, dass ich diese Erfahrung nun zum dritten Mal machen musste: erst in Deutschland, dann in Europa - und nun in Amerika wieder. Ein viertes Mal anzufangen - ich habe mich einfach nicht dazu entschlossen: Das ist die traurige Wahrheit."
    Trauer über Selbstmord ihres Bruders Klaus
    Erika Mann - die Desillusionierte. Was sie nicht sagt: Seit 20 Jahren lastet die Trauer über den Selbstmord ihres Bruders Klaus auf ihr.
    "Waren wir doch Teile von einander - so sehr, dass ich ohne ihn im Grunde gar nicht zu denken bin."
    Erika und Klaus - das exzentrische, verspielte, unzertrennliche Geschwisterpaar im Hause Mann. Nach dem Abitur zieht es die beiden 1924 von München in die Metropole Berlin. Ihr Schauspieltalent macht Erika Mann zur Schülerin des großen Regisseurs Max Reinhardt. 1926 heiratet sie den homosexuellen Schauspieler Gustaf Gründgens - was nicht lange gut geht. Mit Klaus reist sie rund um die Welt - bis nach China und in die USA.
    Um ihre Reisewut und den wachsenden Alkohol- und Drogenkonsum finanzieren zu können, unterwirft sich auch Erika Mann dem "Familienfluch" der Schriftstellerei. Mit Klaus schreibt sie den Reisebericht "Rundherum", mit Ricki Hallgarten das erfolgreiche Kinderbuch "Stoffel fliegt übers Meer".
    "Ich persönlich tat nichts, als mich in der künstlerischen Sphäre tummeln, während mein Bruder Klaus tatsächlich schon sehr jung ein sehr starkes politisches Verantwortungsgefühl hatte", sagte sie.
    "Wir haben politisch direkt nichts gesagt"
    Das ändert sich mit Hitlers Aufstieg. Erika Mann gründet das Kabarett "Die Pfeffermühle" und steuert die meisten Texte bei - so "das Lied von der Frau X", das ihre Geliebte Therese Giehse singt. Darin attackiert sie das Bürgertum, das die nationalsozialistische Bedrohung nicht wahrhaben will:
    "Wenn wir's nicht hindern, sind wir schnell verloren,
    der Vogelstrauß macht große Politik...
    den Kopf im Sand bis über beide Ohren
    zwitschert er dumpf: Ich bin nicht für den Krieg."
    "Wir waren indirekt", sagte Erika Mann. "Wir haben alles gemacht mit Märchen, Parabeln, Gleichnissen aller Art. Wir haben nie einen Namen genannt - immer so, dass wir nachweisen konnten: Wir haben politisch direkt nichts gesagt."
    Ausbürgerung und Umzug in die USA
    Nach Hitlers Machtübernahme setzen sich die Kabarettisten der "Pfeffermühle" in die Schweiz ab. Über tausend Mal treten sie auf. 1935 bürgern die Nazis Erika Mann aus: nicht wegen ihrer jüdischen Wurzeln, sondern als politische Gegnerin. Sie folgt ihren Eltern in die USA. Auch dort bleibt Erika Mann politisch engagiert. Sie klärt die Amerikaner über die Erziehung der Nazi-Jugend auf und hält zahllose Vorträge.
    "Das Böse kann nicht beschwichtigt werden; es muss bekämpft und vernichtet werden."
    Lektorat für den Vater
    Deshalb scheut Erika Mann kein Risiko. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitet sie als Kriegsberichterstatterin für die US-Armee. Auch zu den Nürnberger Prozessen gegen die Nazi-Größen reist sie 1945 an.
    "Es war der erste Anblick dieser 20 Leute, die verantwortlich sind für das beispiellose Unheil, das über den ganzen Erdball heraufbeschworen worden ist. Die nun so unscheinbar zusammengepfercht sitzen zu sehen, nicht wahr, war ein äußerst merkwürdiges Bild."
    Nach der Rückkehr in die Schweiz 1952 wird es ruhig um Erika Mann. Seit dem Selbstmord ihres Bruders Klaus ist die Lebenslust dahin. Wie schon in den USA lektoriert sie die Texte ihres Vaters und begleitet ihn auf Reisen. Ihr "Bericht" über das letzte Lebensjahr des "Zauberers" wird ihr größter Verkaufserfolg. Danach hütet Erika Mann bis zu ihrem Tod am 27. August 1969 das literarische Erbe von Vater und Bruder.