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50. Todestag von Martin Luther King
Ikone, Reizfigur und Mahnmal

Er war ein begnadeter Redner und Intellektueller, aber auch ein Mann der Tat: der US-amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King. Bis heute präge er das Bewusstsein der Amerikaner, sagte der Politologe Christian Lammert im Dlf. Er beobachtet eine Wiederbelebung der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung.

Christian Lammert im Gespräch mit Michael Köhler | 03.04.2018
    Martin Luther King steht anlässlich des Marsches auf Washington für Arbeit und Freiheit vor tausenden Demonstranten am Lincoln Memorial in Washington. Das Foto wurde am Tag seiner berühmten "I have a Dream"-Rede aufgenommen.
    Pionier des gewaltfreien Widerstands: der Pastor und Bürgerrechtler Martin Luther King (imago stock&people)
    Michael Köhler: Der Prediger, der Bürgerrechtler, der große Redner Martin Luther King, er organisierte in den USA den Widerstand der Schwarzen gegen einen damals rassistischen Staat. Morgen, am 4. April 1968, vor 50 Jahren also, da wurde er von einem Rassisten ermordet. Ob beim legendären Bus-Boykott im Bundesstaat Alabama oder beim Marsch auf Washington, seinen Kampf gegen Unterdrückung führte er gewaltlos. Beim Protest in Washington für Arbeit und Freiheit, im Juli 1963, da sagte King in seiner Rede den weltberühmten Satz:
    "Ich habe einen Traum, dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können."
    Martin Luther King, er war sicherlich das, was man einen charismatischen Anführer einer Bewegung nennen kann. Mit Christian Lammert, Politikwissenschaftler und Professor am John F. Kennedy Institut der Freien Universität Berlin habe ich darüber gesprochen und ihn gefragt: Vor 50 Jahren also wurde der Friedensnobelpreisträger King ermordet. Ist er im amerikanischen Bewusstsein noch vorhanden und aktuell?
    Denkmal für Martin Luther King in Washington
    Denkmal für Martin Luther King in Washington (picture alliance / Michael Reynolds)
    Christian Lammert: Nein, er ist noch im Bewusstsein der amerikanischen Gesellschaft, des amerikanischen Geschichtsbewusstseins und das, würde ich sogar sagen, auf zweierlei Weise. Auf der einen Seite ist er inzwischen zu einem Teil dieses amerikanischen Traums geworden, der Kampf für Integration und Chancengleichheit, sein Geburtstag ist zum Feiertag geworden in den USA, es gibt eine Statue in Washington D.C., also er ist zu einer Ikone geworden. Aber auf der anderen Seite ist es natürlich auch noch immer eine Reizfigur, weil die Integration der Schwarzen trotz seines Erfolges und seiner Aktivitäten während der Bürgerrechtsbewegung noch nicht gelungen ist und in den letzten Jahren eher wieder als sehr problematisch beschrieben werden muss. Also er hat diese doppelte Funktion, auf der einen Seite eben eine positive Identifikationsfigur, aber gleichzeitig ist er auch ein Mahnmal, dass die Bürgerrechtsbewegung eben doch nicht die vollständige Integration der Schwarzen erreicht hat.
    Diskriminierung der Schwarzen weiterhin großes Problem
    Köhler: Ich würde gerne daran anknüpfen, wir müssen uns erinnern: Anfang der 60er-Jahre, es gibt noch Sitzplatztrennung in Bussen, in Zügen, Schulen, Restaurants, Toiletten, Parkbänke waren für Weiße reserviert. Und wenn wir jetzt dann mal 50 Jahre später gucken, haben wir wieder Nationalismus, Rassismus, Populismus ist nach wie vor lebendig. Ich erinnere an Charlottesville und die Alt-Right-Bewegung. Ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod - so wahnsinnig viel hat sich da nicht getan, oder?
    Lammert: Es hat sich auf der formellen Ebene viel getan. Also diese Segregationspolitik, die gibt es heute nicht mehr. Heute dürfen Schwarze und Weiße zusammen in Schulen gehen, studieren, formal haben sie die gleichen politischen Rechte. Aber es gibt immer noch diese informelle Diskriminierung. Wenn man sich anguckt, wie sich die sozioökonomische Situation der Schwarzen entwickelt hat, ist hier kaum eine Verbesserung festzustellen. Wir haben immer noch, dass Schwarze nur 80 Prozent des Durchschnittseinkommens von Weißen haben. Wir haben immer noch Probleme mit Polizeigewalt gegen Schwarze. Wenn man sich anguckt, wer im Gefängnis sitzt, sind überproportional viele Schwarze im Gefängnis. Einige sagen sogar, dass wir mit dem Krieg gegen den Terror, der in den 80er, 90er-Jahren angefangen hat, und auch dem Krieg gegen die Drogen wieder ein neues Jim-Crow-Zeitalter haben, also eine wirklich grundlegende Diskriminierung der Schwarzen in den USA. Deswegen ist das heute noch ein ganz großes Problem.
    Bürgerrechtsbewegung erwacht wieder
    Köhler: Ist die Civil-Rights-Bewegung noch lebendig oder historisch?
    Lammert: Sie ist, glaube ich, jetzt wieder am Erwachen. Sie ist vielleicht schwächer geworden, weil man eine Zeit lang geglaubt hatte, in den 70er-Jahren, also gerade nach der Bürgerrechtsbewegung, nach der Reform des Wahlrechtsystems, nach Lyndon B. Johnsons "war on poverty", der ja auch maßgeblich darauf gerichtet war, die ökonomische Situation und soziale Situation der Schwarzen zu verbessern, da dachte man, man hätte etwas erreicht und da ist die Bewegung ein bisschen schwächer geworden. Aber spätestens seit der Finanzkrise, auch unter Obama als erstem schwarzen Präsidenten in den USA, sehen wir wieder massive Bewegungen wie "black lives matter" oder wir haben jetzt unter Trump die Frauenbewegung, die wieder sehr agil geworden ist, wir haben jetzt den "march for our lives" kürzlich gesehen, wo mehrere hunderttausend Menschen auf die Straße gegangen sind und eine Reform des Waffenrechts einfordern. Also wir sehen momentan eine Wiederbelebung der Bürgerrechtsbewegung und das in einem Ausmaß, das schon vergleichbar ist mit den 60er Jahren.
    Köhler: Ein charismatischer Mann, ein Pastor, der unglaublich predigen konnte, die Leute mitriss. Als junger Mann schon, er war keine 40 Jahre alt. "I have a dream, I envision a world of free men..." Wir kennen diese berühmten Sätze und Reden. Er war ein großer Redner, vielleicht für manche zu eloquent? Ein elitärer Intellektueller, der den Makel hatte, farbig zu sein?
    Lammert: Ja, das ist ja auch ein bisschen das, was man Barack Obama immer vorgeworfen hat. Und auch da wurde Martin Luther King ja auch von einigen, gerade den radikalen Gruppierungen innerhalb der schwarzen Bürgerrechtsbewegung oftmals kritisiert. Aber ich glaube, das war genau Teil seines Erfolgs, dass er eben auf widerstandsfreien Diskurs gesetzt hat, dass er keine Gewalt einsetzen wollte, dass er versucht hat, integrativ zu wirken und er nicht nur eben ein Redner war, ein Intellektueller, sondern er war auch Aktivist. Er war immer bei den Demonstrationen dabei, bei den zentralen Demonstrationszügen...
    Köhler: ...und er saß im Gefängnis, mehrfach...
    Lammert: ...er saß im Gefängnis, er hat sich in der Kirche und auf der lokalen Ebene eingesetzt für die Schwarzen. Und das hat ihm eben die Glaubwürdigkeit verschafft, nicht nur ein abgehobener Intellektueller zu sein, sondern auch jemand, der anpacken kann und etwas versucht, umzusetzen.
    Köhler: ...sagt Christian Lammert, Politikwissenschaftler am John F. Kennedy Institut über die Nachwirkung und Bedeutung von Martin Luther King, der morgen, am 4. April 1968, vor 50 Jahren ermordet wurde.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.