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60 Jahre nach Ende der Nazizeit

Ein Termin mit Seltenheitswert: Heute werden an der Universität Köln auf einen Schlag 70 Doktoranden rehabilitiert. Ihnen war während der NS-Zeit der Doktortitel aberkannt worden. Von den Betroffenen lebt zwar niemand mehr, die Hochschule hat aber Angehörige und Nachkommen eingeladen, um an diesem symbolischen Wiedergutmachungsakt teilzunehmen.

Von Armin Himmelrath |
    Der Titel des Hauptseminars im Fach Geschichte im Wintersemester 2003/2004 klang spannend: "Die Universität Köln im Nationalsozialismus". Robert Fuchs war damals einer der Teilnehmer, und für seine Hausarbeit beschäftigte er sich mit der Biografie eines Brauereidirektors, der 1920 in Köln seine wirtschaftswissenschaftliche Doktorarbeit geschrieben hatte.

    "Johannes Müller hieß er, und ihm ist halt der Doktorgrad entzogen worden, weil in einem Verfahren ihm nachgesagt wurde, er habe halt bei einem Verfahren, bevor der NS an die Macht gekommen ist, habe er halt den Staat betrogen, und daraufhin ist ihm halt der Doktorgrad entzogen worden auch, und die Sache war ganz einfach: Der Doktorgrad hätte ihm nicht entzogen werden müssen von der Universität, also es war kein Zwang dahinter. Da ließen die Gesetze halt Freiräume."

    Diese Freiräume wollte die Kölner Universität 1938 aber nicht nutzen. Stattdessen bestrafte sie Johannes Müller dafür, dass er mit einer jüdischen Frau verheiratet gewesen war und dass er in einem Gerichtsverfahren vor 1933 jüdischen Hotelbesitzern zur Seite gestanden hatte.

    "Man sieht halt, dass der Mann da wirklich verfolgt worden ist wegen seiner jüdischen Ehefrau, dass er interniert worden ist, dass er selber nicht der Partei entgegengekommen ist und sogar Stellen abgelehnt hat - und solche Leute werden dann noch im Nachhinein relativ schlecht behandelt. Also, das fand ich sehr, sehr ergreifend."

    Im Nachhinein, das heißt: nach 1945. Denn der Brauereidirektor bemühte sich jahrelang darum, seinen Doktortitel zurückzubekommen. Die Universität verwies jedoch nur auf fehlende Akten und forderte Johannes Müller auf, doch bitteschön selber zu beweisen, dass wirklich politische Gründe zu seiner Verurteilung geführt hätten. Und selbst, als die Kölner Uni dann endlich den Doktortitel zurückgab, war das nur eine Rehabilitation zweiter Klasse: Kein einziges Wort des Bedauerns wurde da geäußert. Das Unrecht ging nach 1945 also weiter, meint Student Robert Fuchs.

    "Wenn man wirklich sieht, wie sich das Ganze entwickelt, und man kommt in die Korrespondenz rein, die der Mann auch geführt hat, um hinterher rehabilitiert zu werden, das ist schon sehr sehr ergreifend, wenn man dann sieht, wie da teilweise mit den Leuten umgegangen worden ist."

    Die Geschichtsprofessorin Marget Szöllösy-Janze hatte vor zwei Jahren die Idee, sich einmal mit der Wissenschaftsgeschichte an der eigenen Hochschule auseinanderzusetzen.

    "Zielsetzung war eigentlich gewesen, mit den Studierenden einmal ein archiv- und quellennahes kleines Forschungsprojekt durchzuziehen. Damit Geschichtsstudierende nicht nur immer aus Büchern lernen, sondern wirklich mal handwerkliche aktive Arbeit im Archiv machen. Das Thema war Nationalsozialismus, das ist etwas, was die Studierenden sehr bewegt, sehr fasziniert, und wir stießen in Zusammenarbeit mit dem Archiv auf ein völlig unbearbeitetes Thema in Köln: Nämlich die Entziehung von rechtmäßig erworbenen Doktorgraden während des so genannten Dritten Reichs."

    Dass es solche politisch motivierten Aberkennungen von akademischen Würden auch in Köln gegeben hatte, war klar. Dass die Studierenden und ihre Professorin aber schließlich 70 Fälle dokumentieren konnten, hat alle Beteiligten überrascht. Woche für Woche saßen die angehenden Historiker im Archiv und wühlten sich durch staubbedeckte Akten. Barbara Manthe ist eine der Studentinnen.

    "Ganz besonders hat mich da fasziniert, dass es halt die Möglichkeit gegeben hat, das Studenten selber in dem Archiv arbeiten können und selber forschen können, und das ist leider recht selten an der Uni - und das wusste ich sofort, dass ich das unbedingt machen möchte."

    Aus der Arbeit des Hauptseminars ist in den vergangenen Monaten eine 132 Seiten starke Broschüre geworden, die heute Abend der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Sie ist das sichtbare Zeichen dafür, dass es die Arbeit der Geschichtsstudenten war, die dafür gesorgt hat, dass die Universität Köln heute nach sieben Jahrzehnten des Schweigens endlich offiziell die Aberkennung der Doktorgrade rückgängig macht.