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600 Tonnen im Schlepptau

Das Triebwerk einer Boeing 747 verschlingt jede Minute Kerosin für 50 Euro. Deshalb bewegen sich Flugzeuge am Boden selten selbst, sondern werden meist geschleppt - das kostet nur einen Euro. Dieses Einsparpotenzial freut die Hersteller von Flugzeugschleppern - wie die Memminger Firma Goldhofer.

Von Torsten Thierbach | 20.07.2012
    "Ground for Cockpit: Go ahead: Ready for pushback: Okay, pushing back and all engines are cleared for startup."

    Mit diesen Worten meldet jede Flugzeugbesatzung der Welt der Crew am Boden, dass ihre Maschine nun bereit ist, um vom Passagiergate aufs Rollfeld geschoben zu werden.

    Und immer dann, wenn diese tonnenschwere Schlepparbeit zu erledigen ist, rücken sie fast lautlos an und machen am Bugrad der Flieger, unterhalb des Cockpits fest: Flugzeugschlepper. Mit ihren bis zu 1300 Pferdestärken sind sie die wahren Kraftpakete auf den Airports, bewegen die Flieger zum Wartungshangar oder zum Parkplatz für die Nacht.

    Gerade jetzt zur Ferienzeit sind die Flugzeugschlepper pausenlos im Einsatz. Gebaut werden sie von der bayerischen Firma Goldhofer in Memmingen. Das Unternehmen hat mehr als 600 Mitarbeiter und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Spezialtransportlösungen. Und es hat den weltweit ersten Schlepper für das größte Passagierflugzeug der Welt entwickelt, den Airbus A380.

    Doch auch der modernste Flieger wird sich aus Kostengründen kaum aus eigener Kraft vom Gate wegbewegen:

    "Sie müssen sich vorstellen, ein Triebwerk von einer 747, das Kerosin, das kostet etwa 50 Euro pro Minute. Wenn sie einen stangenlosen Flugzeugschlepper nehmen, sind wir bei unter einem Euro pro Minute."

    Eine Ersparnis, die die Airlines zu schätzen wissen, so Hubert Schaller, Vorstand der Firma Goldhofer in Memmingen. Die gesamte Branche steht im knallharten Wettbewerb. Nicht nur die gestiegenen Rohölpreise machen den Flugbetrieb und alle Dienste am Boden zu einem teuren Geschäft.

    Bereits Ende der 80er-Jahre begannen bei Goldhofer die ersten Überlegungen, das Flugzeugschleppen effizienter zu machen. Axel Heitzer, Manager der Airport-Technologie bei Goldhofer, erinnert sich:

    "Das war 1987 als nicht nur Goldhofer sondern auch eine weitere deutsche Firma auf die Idee kam, das muss doch auch ohne Stange möglich sein. Wir haben parallel mit der Idee geliebäugelt. Und 1989 war Goldhofer dann mit dem ersten Prototypen fertig."

    Während der Mitbewerber aufgab, macht der Bau von Flugzeugschleppern bei Goldhofer heute bis zu 15 Prozent seines Gesamtgeschäfts aus, bei einem Jahresumsatz von rund 200 Mio. Euro. Die Ingenieure haben das sogenannte stangenlose Flugzeugschleppen immer weiter entwickelt. Das System kommt inzwischen fast auf allen Airports der Welt zum Einsatz, auch weil es im globalen Wettbewerb vier Mitbewerber gibt, die auf denselben Zug aufgesprungen sind.

    Stangenloses Flugzeugschleppen heißt, dass der Schlepper rückwärts mit einem offenen U-Profil an das Bugrad ranfährt, hinter dem Bugrad Schwenkarme zuklappt, verriegelt, das Flugzeug auf eine Plattform hinaufzieht und dann das komplette Bugrad um circa 30 Zentimeter vom Boden anhebt.

    So ist der Flieger fest und untrennbar mit dem Schlepper verbunden. Beim Schleppen mit Stange hingegen sorgt eine Sollbruchstelle dafür, dass sich bei einer Überlastung des Flugzeugrades die Verbindung zum Schlepper löst. Deshalb muss auch beim Schleppen leere Flugzeuge immer ein Techniker im Cockpit sein, um im Notfall auf die Bremse treten zu können. Und weil das beim Goldhofer-System nicht passieren kann, dürfen die Flugzeugschlepper auch doppelt so schnell unterwegs sein, nämlich bis zu 32 Stundenkilometer. Eine Einsparung wertvoller Minuten, die in der Fliegerei schnell mehrere Tausend Dollar bringen kann. Hinzu kommt ein weiterer Vorteil:

    "Circa ein Zehntel des maximalen Abfluggewichtes eines Flugzeuges lastet auf dem Bugrad. Bis zu 60 Tonnen sind das bei der A380. Und wir nehmen das auf, verteilen das Gewicht auf die Räder des Schleppers und generieren so, zusätzlich zum Eigengewicht des Schleppers, mit der Auflast, die nötige Traktion."

    Das heißt, dass das Gewicht des Flugzeugs selbst dafür sorgt, dass der Schlepper seine geballte Kraft über die Räder auf den Boden übertragen kann. Damit kommt er auch mit weniger Eigengewicht ohne Probleme von der Stelle. Für die Produktion bedeutet das: Es können mehrere Tonnen an zusätzlichen Bleigewichten eingespart werden.

    Laut Heitzer werden jährlich mehr als 50 Flugzeugschlepper im Memminger Werk gebaut. Drei verschiedene Leistungsklassen gibt es:

    "Unsere kleinsten Flugzeugschlepper haben nur einen 140-PS-Motor. Der größte Flugzeugschlepper, der auch eine A380 bewegen kann, der hat schon 680 PS oder ganz große in der 6-Rad-Variante mit 1360 PS. Das heißt, je größer das Flugzeug ist, desto höher muss die Motorisierung sein, um es bewegen zu können."

    Fast 2000 Arbeitsstunden braucht es, um einen Flugzeugschlepper zu bauen. Inzwischen hat Goldhofer für seine Produktpalette Kunden in mehr als 70 Ländern. Die nächste Herausforderung für das Memminger Unternehmen: die Zertifizierung ihrer Schlepper für das neue Flugzeug von Boeing, der 787. Die notwendigen Tests werden beim Erstkunden dieses Flugzeugtyps, der japanischen All Nippon Airways stattfinden.

    "Wir müssen vor Ort, in Japan, mit unseren Schleppern, die 787 mal vollgetankt, mal enttankt, mal schnell, mal langsam, mal links, mal rechts bewegen. Wir zeichnen die Brems- und Zugkräfte aber auch die Lenkkräfte auf und reichen das dann beim Hersteller Boeing ein."

    Doch Axel Heitzer ist zuversichtlich, dass der Flugzeughersteller grünes Licht gibt. Auch wenn einige Airportbetreiber noch vor den Anschaffungskosten zurückschrecken - so ein Flugzeugschlepper kostet mehr als eine halbe Millionen Euro -, die Zukunft gehört diesen stolzen Kraftpaketen. Davon ist auch Hubert Schaller, Vorstand der Firma Goldhofer überzeugt:

    "Wenn sie in ihrem Flugzeug sitzen und zur Startbahn rollen oder von der Landebahn zurück ans Gate kommen, dann laufen heute die Triebwerke der Maschinen, mit enormen Kosten und Kerosinausstoß. Langfristig werden da auch Flugzeugschlepper zum Einsatz kommen. Da werden sie zum Startplatz geschleppt und auch zurück geschleppt werden."